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Filme sind meine Droge

01.06.2015 - 10:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Auch der Wunsch nach einer kompletten Filmsammlung kann ungezügelte Ausmaße annehmen.
Stefan Ishii
Auch der Wunsch nach einer kompletten Filmsammlung kann ungezügelte Ausmaße annehmen.
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"I just can't get enough." Das gilt für mich - und wahrscheinlich für viele andere hier bei Moviepilot auch - insbesondere für Filme. Diese wundervolle Ausdrucksform, die Kunst und Unterhaltung in den unterschiedlichsten Ausprägungen vereinen kann, sind meine Droge. In meinem zweiten BMIYC-Artikel möchte ich darauf eingehen, welche Formen von "Filmsucht" es bei mir gibt und von einigen der heftigsten Ausbrüche dieser unersättlichen Gier nach Filmkost berichten.

Manch einem mag es merkwürdig erscheinen: Sind Filme eine Droge? Kann man nach Filmen süchtig sein? Oder immerhin kurzzeitige Anfälle von "Ich-muss-jetzt-soviele-Filme-wie-möglich-schauen" durchleben? Das Wort "Sucht" trifft es ja im eigentlichen Wortsinne nicht so richtig. Der Konsum (selbst der übermäßige) führt normalerweise nicht zu längerfristigen, negativen Begleiterscheinungen; höchstens zu chronischem Schlafmangel oder ähnlichem. Aber meine Liebe zu Filmen nimmt manchmal durchaus suchtartige Formen an: "I just can't get enough."

Für viele Menschen heutzutage werden wahrscheinlich eher Fernsehserien zur Sucht. Auch wenn ich persönlich kein großer Freund von Serien bin, so gibt es natürlich auch bei mir einige Beispiele, wo ich Serien verschlungen habe und einfach nicht aufhören konnte zu schauen. Die erste Serie, der ich hemmungslos verfallen war, dürfte eindeutig Twin Peaks gewesen sein. Diese Serie von David Lynch und Mark Frost übt noch bis heute eine unglaubliche Faszination auf mich aus. Twin Peaks ist bis dato die Serie, die ich am häufigsten gesehen habe. Später gab es nur noch selten Fernsehserien, die mich wirklich derart begeistern konnten. Es gibt wohl zwei Gründe dafür, dass ich mit einer Serie wirklich mal nicht aufhören kann. Der erste Grund dürfte hauptsächlich im Konzept einer durchgängig verlaufenden Handlung liegen. Quasi ein sehr langer Film, den man einfach so schnell wie möglich zu Ende schauen möchte. In dieser Hinsicht wären für mich zum Beispiel Damages – Im Netz der Macht oder die Anime-Serie Neon Genesis Evangelion zu erwähnen. Der zweite Grund ist schwerer zu erklären. Eine Serie kann mich komplett vereinnahmen, wenn sie eine gewisse Faszination auf mich ausübt. Und da komme ich auch schon zu meinen zwei Lieblingsserien: Six Feet Under - Gestorben wird immer und The Wire. So unterschiedlich sie sowohl inhaltlich als auch stilistisch sein mögen, eines haben beide Serien gemeinsam: Eine große Fülle an vorzüglich ausgearbeiteten Charakteren, die mir sehr ans Herz gewachsen sind.

Aber trotzdem ist es in meinem Fall einfach ein Fakt, dass ich eher selten Fernsehserien verfalle. Mein Ding sind nunmal Filme. Ich liebe sie einfach. Egal welches Genre. Egal wie lang. Ob Stummfilm oder in schwarz-weiß? Egal! Egal aus welchem Jahr. Und ganz sicher egal aus welchem Land: Ich liebe Filme aus Japan, Deutschland, Korea, Dänemark, Spanien, Ungarn, Türkei, China, Frankreich, Italien, Taiwan, Island, Portugal, Australien, Großbritannien, Schweden, Südafrika, Irland, Russland, Argentinien, Finnland, Chile, den USA, Kanada, Brasilien, Neuseeland, Norwegen, den Philippinen, Bosnien, Vietnam, Österreich, Thailand, Polen, der Schweiz, der Tschechischen Republik, Israel, Mexiko, Griechenland, Indien, Belgien, Kolumbien, Iran, Niederlande, Peru, Rumänien, Venezuela oder was mir noch so in die Finger und vor die Augen gerät. Doch warum und wann haben Filme das Potential, eine ausgewachsene "Sucht" bei mir auszulösen? Im Folgenden möchte ich auf einige Gründe und Beispiele eingehen.

Filmographien von bestimmten Regisseuren

Die wahrscheinlich häufigste Form von Filmsucht entwickle ich von Zeit zu Zeit, wenn ich einen neuen Regisseur für mich entdecke. Sobald ich einmal das Glück habe, im richtigen Moment einen sehr guten Film eines Regisseurs zu sehen, kann es absolut vorkommen, dass ich innerhalb kürzester Zeit große Teile von dessen Filmographie durchschaue. Dann wird nach jeder verfügbaren DVD oder Blu-ray des Filmemachers der Wahl gesucht - oder auch mal das Internet nach Möglichkeiten durchforstet, da es dort insbesondere bei älteren Filmen ja durchaus viel zu entdecken gibt. Aber am liebsten ist es mir natürlich immer noch, die kleinen Schätze im Regal stehen zu haben.

Im Moment habe ich einen relativ starken Verlangensanfall nach Filmen vom Japaner Mikio Naruse (dazu gibt auch eine Liste von mir). Ansonsten fallen mir noch drei markante Beispiele zur Regisseursucht ein: Christian Petzold, Rainer Werner Fassbinder und Claude Chabrol. Mein erster Petzold-Film war Gespenster und dieses Werk hat mich einfach umgehauen. Zusammen mit Der Himmel über Berlin von Wim Wenders ist Gespenster bis heute der für mich beste deutsche Film überhaupt. Nachdem ich also diesen Film sah, hatte ich innerhalb einer Woche insgesamt fünf oder sechs Werke von Petzold verschlungen: Darunter Yella, Wolfsburg oder Die innere Sicherheit. Glücklicherweise startete zu dieser Zeit sogar dessen neuester Film Jerichow in den Kinos; klar Pflichtprogramm. Und ich liebte sie alle... Petzolds Erzählweise, wie er mit Figuren umgeht oder die verwendeten Schauplätze zu einem äußerst wichtigen Bestandteil seiner Filme ausarbeitet begeistern mich ungemein.

Bei Claude Chabrol hatte es andere Gründe, weshalb ich innerhalb von etwa zwei Wochen ungefähr 15 Filme von ihm sah. Welcher Film jetzt tatsächlich der erste war, kann ich gar nicht mit absoluter Genauigkeit bestimmen, aber es war auf jeden Fall ein Film aus den späten 1960ern oder frühen 70ern: Zwei Freundinnen, Der Schlachter oder Blutige Hochzeit. Insbesondere Chabrols Werke aus den 70ern finde ich einfach nur großartig: Die Bissigkeit, der Humor und das Feindbild der Bourgeoisie machen seine Filme so unglaublich interessant; quasi sowas wie eine französische Variante von Alfred Hitchcock, nur mit einem bitterbösen Augenzwinkern. Andere Filme, die folgten, waren genauso großartig wie jene zuvor genannten; beispielsweise Der Riß, Das Biest muß sterben oder Vor Einbruch der Nacht.

Interessanterweise ließen mich alle hier aufgeführten Regisseure - sowohl Petzold, Fassbinder als auch Chabrol - neben ihren grandiosen Filmen auch jeweils mindestens eine Schauspielerin für mich entdecken, die ich heute zu meinen Lieblingsdarstellerinnen zähle. Bei Petzold ist dies natürlich Nina Hoss; im Falle von Chabrol die faszinierende Stéphane Audran. Bei Fassbinder sind es sogar gleich mehrere Damen: Hanna Schygulla, Margit Carstensen und mit Abstrichen auch Barbara Sukowa oder Irm Hermann. Interessanterweise hatte ich bisher jedoch nie Anfälle von Filmsucht, die durch Schauspieler ausgelöst wurden. So wichtig sie zwar für Filme sein können, wirklich ein Hauptgrund für den Wunsch einen Film zu schauen, sind Schauspieler bei mir generell eher selten.

Kino

Einer anderen Form von Verlangen musste ich leider in letzter Zeit oft widerstehen, weil mir keine Zeit dafür übrig blieb: Das Kino. Im Grunde ist das Schauen von Filmen im Kino doch noch immer das Größte - "Dafür werde Filme gemacht." Natürlich nicht, weil ich moderne 3D-, Ton- oder Bildtechnik auf großer Leinwand bewundern möchte. Ehrlich gesagt, hat mich der technische Aspekt nie interessiert. Selbst die Bilder des 70mm-Formates haben mich eigentlich nicht so beeindruckt, wie es wohl bei vielen anderen Kinogängern der Fall war. Ich liebe es einfach, mich in einem (möglichst leeren) abgedunkelten Kinosaal mit einem gewissen Gefühl von Ausgeliefertsein von einem Film, seiner Atmosphäre oder seiner Geschichte einnehmen und faszinieren zu lassen. Natürlich kann dies auch auf dem heimischen Sofa passieren, aber wahrscheinlich nicht in dem Ausmaße wie es im Kino möglich ist. Vielleicht hätten Filme wie Das Turiner Pferd (2011) von Béla Tarr, Can Go Through Skin (2009) von Esther Rots oder Kommt Regen, kommt Sonnenschein (2011) von Lee Yoon-ki zuhause nicht die 10-Punkte-Wertung von mir bekommen. Interessant: In den letzten 10 oder 15 Jahren habe ich tatsächlich (sowieso schon selten genug) nur dann die volle Wertung verteilt, wenn ich die entsprechenden Werke auch im Kino gesehen habe.

Wenn ich in letzter Zeit mal (und diese Gelegenheiten werden nun langsam wieder häufiger, weil unsere Zwillinge größer werden) die Chance auf einen Kinobesuch bekomme und mich auch fit genug dazu fühle, dann nutze ich dies sehr gerne aus und schaue zwei Filme am Stück.

Und dann gibt es ja noch diese 10 Tage Anfang Februar in Berlin! Wer mich kennt, weiß was dann ansteht: Es wird Urlaub genommen und Frau und Kinder werden zur Schwiegermutter geschickt. Naja, eigentlich machen sie es freiwillig, um mir diese Sache zu ermöglichen (wofür ich unglaublich dankbar bin), weil meine Frau glücklicherweise weiß, wieviel mir das bedeutet. Und dann wird für eine kurze Zeit mein Leben ausschließlich dem Kino gewidmet. Exzessiv! Und meinem Verlangen wird fast uneingeschränkt nachgegeben... Wer nicht weiß, wovon ich spreche, kann ja mal einen Blick in meinen Blog werfen.

Die Filmsammlungsproblematik

Ein weiterer Grund, warum es bei mir zu einem extremen Ausbruch an ungezügelter Filmschaueritis kommen kann, liegt an einem größer werdenden Stapel an noch zu schauenden DVDs oder Blu-rays. Irgendwann kommt es immer mal wieder zu dem Punkt, an dem ich endlich den Entschluss fasse, erstmal keine neuen Filme mehr zu kaufen und zunächst nur noch welche zu schauen, die hier ungesehen herumliegen. Dann werden auch gerne mal (so es die Zeit zulässt) drei bis vier Filme am Tag geschaut. Und es ist mir in solchen Fällen sogar sehr recht, wenn die Filmauswahl dann sehr durchmischt ist: Nach einem französischen Nouvelle-Vague-Film, kann ein amerikanischer Thriller folgen oder ein deutscher Familienfilm oder ein asiatischer Unterhaltungsfilm... Leider endet eine solche Phase relativ schnell wieder; aber immerhin hilft es mir, diesen ominösen Stapel nicht ins Unendliche auswuchern zu lassen.

Und wo ich schon bei DVDs und Blu-rays bin: Eine umfangreiche Filmsammlung, egal ob nun DVD, Blu-ray oder sonst ein Format, kann zu einer anderen Form von "Ich-bekomm-den-Hals-nicht-voll" führen. Der Wunsch nach einer möglichst kompletten Filmsammlung führt bisweilen zu einem nicht immer gesunden Kaufverhalten. Die Sammlung meiner Lieblingsregisseure möchte vervollständigt werden. Fast alle verfügbaren Werke meiner mir liebsten Filmemacher befinden sich in meiner Sammlung: Yasujirô Ozu, Michelangelo Antonioni, Kim Ki-duk, Rainer Werner Fassbinder, Luis Buñuel, Claude Chabrol, Terrence Malick, Ingmar Bergman, Wong Kar Wai, François Truffaut, Wim Wenders, François Ozon, Werner Herzog, Lars von Trier, Jean-Luc Godard, Stanley Kubrick, Christian Petzold, Michael Haneke, Eric Rohmer, Béla Tarr, Michael Cimino, Paul Thomas Anderson, Alejandro González Iñárritu, Jim Jarmusch, Alfred Hitchcock, Krzysztof Kieślowski, Tom Tykwer, Woody Allen, Francis Ford Coppola, Yimou Zhang, Susanne Bier, David Lynch, Hirokazu Koreeda, Pedro Almodóvar, Martin Scorsese, Steven Soderbergh, Julian Schnabel, Jia Zhang-ke, Aleksandr Sokurov, Theodoros Angelopoulos, Claude Sautet, Luc und Jean-Pierre Dardenne, James Ivory, Orson Welles, Bernardo Bertolucci, Michael Mann, David Fincher, Per Fly usw. usf. Derzeit und in näherer Zukunft stehen noch Werke von Mikio Naruse, Roberto Rossellini und Jacques Rivette auf dem Einkaufszettel, weil ich von ihnen noch nicht allzu viele Werke im Regal habe. Bei den von mir sehr geliebten Im Kwon-taek und Lee Yoon-ki wird es eher schwierig; von den zwei Koreanern habe ich leider noch keinen einzigen Film zuhause.

Da viele Filme in Deutschland nicht veröffentlicht wurden, greife ich auch mal auf Import-Produkte zurück. Das alles führt zu zwei unschönen Begleiterscheinungen meiner Sucht: Zum einen kostet eine solche Sammlung natürlich nicht wenig Geld. Und zum anderen benötigt eine solch umfangreiche Anhäufung an Filmen ungemein viel Platz. Da können nicht alle Hüllen so schön sortiert zu bewundern sein, wie es auf dem Artikelbild zu sehen ist. Viele meiner DVDs liegen hinter anderen Filmen in Regalen verborgen. Das macht eine schnelle Suche nach bestimmten Werken nicht immer einfach.

War's das?

So, das sind wohl die wichtigsten Formen von Filmsucht, die ich an mir beobachten konnte. Wahrscheinlich gibt es noch einige mehr... Oder vielleicht kennt ihr noch andere? Jedenfalls ist es wahrscheinlich klar geworden, wie sehr ich der Filmwelt verfallen bin. Aber um das zu erkennen, bedarf es eigentlich nicht dieses Artikels. Da reicht wohl ein Blick auf die Anzahl meiner Filmbewertungen hier bei Moviepilot! "I just can't get enough."

* * *

Auch ihr, liebe Leser, könnt bei dem Projekt "Blog Me If You Can" mitmachen und etwas zu dem nächsten Monatsthema schreiben. Wie das funktioniert, erfahrt ihr in den FAQs. Das Thema für den 1. Juli lautet übrigens "Naturgewalt". Wenn ihr Interesse habt, meldet euch doch einfach bei chita91 oder Grimalkin!

Alle weiteren Texte zum Thema "I just can't get enough" findet ihr hier:

Grimalkin: Enter the Mind

chita91: The Great Gatsby und der Traum vom Glück

Laudania: Addicted to movies, oder: Die Sucht nach Filmen

Jorah: Onkel T und die Liebe zur Musik

Absurda.: Michael Bay, der Zuschauer und der American Dream - Eine Hassliebe

Martin Canine: Am Gemächt der Macht

JohnyvsSherlock: Suchtverhalten in Film und Serie (1)

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