Gold, Schwänze, Muschis, Sadismus, Macht, Macht, Macht. Wer am Thron sitzt, der darf alles, und sei es noch so exzessiv, unmoralisch oder gar abstoßend grausam. Man kann ein Leben voller Ausschweifungen führen, und niemand kann etwas dagegen tun - denn wer ein Wort verliert, der wird zum Schweigen gebracht. Und wer gegen diese Methoden etwas vorzubringen hat, gleich mit dazu. Doch alles hat seine Kehrseite. So auch die Macht. Dass mit großer Macht große Verantwortung kommt, ist nicht nur ein klangvoller Spruch, sondern eine Weisheit, die nicht nur Spider-Man gut nützt, sondern auch Caligula sehr hilfreich gewesen wäre... wäre derjenige, der ihm dies unterbreiten würde, nicht sofort einen Kopf, oder einen Penis kürzer gemacht worden.
In den folgenden Absätzen werden massive Spoiler behandelt, wer also den kompletten Spaß an Caligulas extremen Lebensstil haben, sollte sich den Film (ungekürzt) ansehen, bevor er hier liest.
Es gibt viele Leute, die die Caligula-Verfilmung aus 1979 nicht mögen, und generell wird er als einer der größten Schundfilme der Kinogeschichte angesehen (kommerziell konnte er sein Budget zwar wieder einspielen, blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück). Selbst Regisseur Tinto Brass, Drehbuchautor Gore Vidal, Hauptdarsteller Malcolm McDowell und Nebendarsteller Peter O'Toole haben sich im Nachhinein vom Film distanziert. Kein Wunder: War das ursprüngliche Drehbuch noch eine ernstgemeinte Biografie (von dem Mann stammt u.A. der Klassiker Ben Hur), und zog von daher auch die hochkarätigen Schauspieler an, wurde bereits im Dreh vom Exploitationregisseur der Fokus auf Caligulas Sexualleben gelegt. Der echte Schock kam für alle wohl erst im letztendlichen Cut: Produzent und Penthouse-Gründer Bob Guccione ließ es sich nicht nehmen, den Film erheblich umzuschneiden und entgegen dem Willen aller Beteiligten unsimulierte Sexszenen hinzuzufügen. Letzten Endes wurde der Film als nicht ernstzunehmend abgetan und gilt gemeinhin als Sexfilmchen, und wird von Unwissenden oft gar als Porno bezeichnet.
Natürlich ist dies nur die halbe Wahrheit. Nur 6 Minuten von über 150 beinhalten explizite Sequenzen. Das wäre etwa so, als würde der eine Jump-Scare in Gesetz der Rache den Film zum Horrorschocker machen. Sex spielt zwar eine riesige Rolle in "Caligula", bezweckt aber weit mehr als nur bloße Befriedigung. Für mich ist es der ultimative Film über Exzess. Er geht dorthin, wo andere sich nur hinzeigen trauen, und übertritt diese Zone sogar noch. Er kennt kaum Grenzen, und das ist auch gut so, denn so wird er zum totalen Rausch aus Sex, Gewalt und Macht. Mehr und mehr und mehr und mehr. Die Hintergrundgeschichte ist vielleicht das Beste, was dem Film passieren konnte, selbst wenn man von der eigentlichen Intention abkam. Und trotzdem: es gibt einige Historienepen, aber nur einen wahrhaftigen "Caligula" (trotz Pseudo-Fortsetzungen) - und der ist die vielleicht abgefahrenste Geschichte von Aufstieg und Fall, die es gibt.
Es wird gesoffen, gehurt, gefickt, mit allem, was sich bewegt, mit Nymphen und Satyren, mit und gegen den Willen, es wird gemordet, geopfert, gewütet, kastriert, angepisst, geschändet, gefoltert, und das Ganze so frivol und mit so viel Gold im Arsch, dass es einfach nur mehr fies anzusehen ist. Aber warum all das? Das alles beginnt, als der alte Herrscher Tiberius entgegen aller Erwartungen den jungen Caligula zum Nachfolger ernennt, da keiner seiner nahestehenden Verwandten das Potenzial aufweist, in seine Fußstapfen zu treten.
Caligula, das bedeutet Stiefelchen, und kann repräsentativ dafür stehen, wie ernst man den Jungen bis zu diesem Zeitpunkt nahm. Bis zu diesem Zeitpunkt. Doch Tiberius macht einen Fehler: er führt den Stiefel viel zu früh in die Vorzüge des Imperatorlebens ein: beide betrachten eine sich munter im Gang befindende Orgie, und vor Caligulas Augen lässt er einen Verräter mit Wein volllaufen und ersticht ihn dann, dass zweierlei rote Säfte aus ihm heraussprudeln. Vollkommen getrieben vom Gedanken an diese Macht will er nicht länger abwarten, selbst den Siegelring und somit den Anspruch an das Imperium Rom in Händen zu halten. Es kommt freilich wie es kommen muss: aus Gier und wortwörtlicher Machtgeilheit bringt er Tiberius um und reißt somit die absolute Herrschaft über das Reich an sich.
Die folgenden Jahre werden Jahre der Ekstase. Alles gibt es im Überfluss: Alkohol, Scheiden, Schwänze und Gedärme. Wird am einen Tag noch eine monumentale Massenfickerei abgehalten, bei der es keinerlei Grenzen gibt, wird sogleich im Stadion ein Fest abgehalten, bei dem Gefangene im Boden vergraben und von einer mit riesigen Klingen ausgestatteten Gerätschaft mit lautem Knacks enthauptet werden. Das Stiefelchen lechzt, jauchzt und sabbert nach Blut und Genitalsirup. Es gibt keinen Zweifel: Caligula ist Gott. Und seine Muse ist die Nymphe Drusilla - seine geliebte Schwester.
Die Macht hat ihn wahnsinnig werden lassen. Oder war er immer schon wahnsinnig, und die Macht erlaubt es ihm nun, dies endlich auszuleben? Seine Befehle werden unsinniger, aber das darf ihm ja ohnehin niemand unterbreiten. Er lässt sein Lieblingspferd zum Senator aufsteigen, er befiehlt seinen Soldaten, Schilf anzugreifen und erklärt seine Tochter vor versammelter Menge zum Sohn. Wieso? Weil er es kann. Weil er die Macht hat, uneingeschränkt alles zu tun. Rom ist seine Erde, der Palast sein Olymp, sein Schwanz der Blitz, das Kolosseum sein Spielbrett und die Bevölkerung die Spielfiguren. Er regiert, wie er onaniert und holt sich am Gemächt der Macht einen runter.
Doch die Münze, die der Haupt Caligulas ziert, hat immer zwei Seiten. Auf der einen die laute Stimme des Imperators, auf der anderen das leise Flüstern derer, denen er zu laut wurde. Wo es Unterdrückung gibt, wird es Revolution geben, und jede Handlung hat Konsequenz. Wenn niemand mehr spurt, dann kann Macht verblassen. Und wenn es alle wollen, ist man vogelfrei. Das ist eine Lektion, die der selbst ernannte Gott nie gelernt hat - dass man Macht auch verlieren kann, wenn man sie missbraucht, und dann selbst bangen muss. Caligula wird auf Treppen erdolcht, in einem Umfeld so prunkvoll wie es ihm gerade gut genug war. Ein gescheiterter Traum von unbegrenzter Macht und Größe. Der Strudel aus rotem, weisem und durchsichtigem Nektar ist letztlich zum Stillstand gekommen. Vorerst.
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