Warum ihr Amazons Original-Serien nicht unterschätzen solltet

13.03.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Transparent, You Are Wanted  und Good Girls RevoltAmazon
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Gegenüber der Produktionswelle von Netflix sieht der Amazon Katalog noch recht schlank aus. Dennoch solltet ihr die Original-Serien des US-amerikanischen Streaminganbieters auf keinen Fall unterschätzen.

Wenn aktuell vom Zeitalter des Peak TV die Rede ist, dann ist Netflix durchaus dafür verantwortlich, dass sich dieser Eindruck regelmäßig bestätigt. Fast jeden Freitag veröffentlicht der US-amerikanische Streaminganbieter eine neue Eigenproduktion, die haargenau auf konkrete Länder und Zielgruppen zugeschnitten ist. Während The Crown zum Beispiel in Großbritannien für Eindruck sorgte, entpuppte sich Marseille als französisches Pendant zu House of Cards. Mit Dark steht zudem in absehbarer Zeit das erste deutsche Format vor der Tür, das auf Netflix seine Premiere feiern wird und auf das hiesige Publikum maßgeschneidert wurde. Auch Amazon wagt sich mit You Are Wanted an eine vergleichbare Eigenproduktion und hat sich für diese ambitionierte Unternehmung mit Matthias Schweighöfer ein richtiges Blockbuster-Gesicht gesichert. Doch abseits davon sieht das Angebot noch überschaubar aus - unterschätzen solltet ihr es trotzdem nicht.

Was bei Amazon zuerst auffällt: Die namhaftesten Titel gehören gar nicht ins hauseigene Programm, sondern sind Lizenz-Ware aus Übersee: Vikings, Preacher und Mr. Robot stammen ursprünglich von anderen Sendern und befinden sich bei Amazon lediglich im Vertrieb. Wo Netflix hierzulande Fargo und Better Call Saul besitzt, hat sich Amazon mit geschickten Manövern Into the Badlands, Halt and Catch Fire und The Girlfriend Experience gesichert, von jüngeren Coups wie Taboo und American Gods ganz zu schweigen. Die lizenzierten Serien überschatten mit ihrer Popularität geradezu die Original-Inhalte. Lediglich The Man in the High Castle, Mozart in the Jungle und Transparent gelingt es mit dem Start einer jeden neuen Staffel für Schlagzeilen zu sorgen, sei es durch polarisierende Werbung oder im Zuge diverser Preisvergaben. Dabei scheut Amazon keine Kosten und Mühen, um die Serien so dicht wie möglich mit den potentiellen Zuschauern zu entwickeln, noch dichter sogar als Netflix.

Mozart in the Jungle

Während Netflix gerne und unter Umständen auch voreilig auf einen Schlag einer Handvoll neuer Formate grünes Licht gibt, fühlt sich der Entstehungsprozess bei einer Original-Serie aus dem Hause Amazon komplexer an. So debütierten zum Beispiel die ersten Staffeln von Patriot, Sneaky Pete und Z: The Beginning of Everything, die bereits im Rahmen der Amazon-Pilot-Season 2015 vorgestellt wurden, erst zwei Jahre später in voller Länge. Aber gerade dieses Konzept der Amazon-Pilot-Season ist überaus interessantes und spannend. Finden bei den großen Networks in den USA - namentlich NBC, ABC, CBS, FOX und The CW - die Produktion und Bestellung neuer Serien unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, geht Amazon direkt auf die Zuschauer zu und präsentiert eine Reihe an Pilot-Episoden, über die im Anschluss abgestimmt werden kann. Setzt Netflix vorzugsweise auf Algorithmen, baut Amazon direkt auf die Meinung der Konsumenten, wenngleich eine längere Wartezeit der Preis dafür ist.

Gerade im Fall der jüngsten Amazon-Pilot-Season dürfte sich dieses nicht ganz unkomplizierte Verfahren allerdings mehr als gelohnt haben: Sowohl I Love Dick als auch Jean-Claude Van Johnson und The Tick sehen überaus vielversprechend aus und zehren extrem vom Publikums-Boost, der sich unmittelbar als Reaktion auf die Veröffentlichung der Pilot-Episoden im Internet verbreitete. Während Netflix über Nacht unzählige neue Formate aus den Boden stampft, ohne einen Großteil dieser Produktionen vorab zu bewerben, baut Amazon ab der ersten Minute eine Beziehung mit den Zuschauern auf, die sich später als Fans der ersten Stunde bezeichnen können und nicht verdutzt ins VoD-Programm schauen, wenn plötzlich The OA aus dem Nichts auftaucht, sondern gut vorbereitet in die Staffel einer lang erwarteten Serien starten. Ein durchaus wertvoller Vorsprung, besonders im Hinblick auf die anhaltende Serienflut, wo wir wieder beim Stichwort Peak TV und der Qual der Wahl wären.

Bei Amazon weiß der Zuschauer, was er bekommt, könnte folglich behauptet werden und der Rückschluss auf ausbleibende Überraschungen wäre die nächste logische Schlussfolgerung. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, denn selbst wenn eine Pilot-Episode bereits zwei Jahre im Voraus einen sehr konkreten Vorgeschmack auf das Kommende vermittelt, besitzen oftmals bereits diese ersten Minuten den Mut zur Lücke, der anderen Sendern fehlt und unerwartet eigenwillige Kreationen kommen zum Vorschein. So probiert sich Z: The Beginning of Everything beispielsweise an der klassischen Struktur einer prestigeträchtigen Dramaserie, wie sie bei AMC, FX, HBO und Co. locker 45 Minuten in Anspruch nehmen würde, und verpackt die Geschichte in schlanken 20- bis 30-minütigen Episoden. Red Oaks indes avanciert nicht nur zum Paradies für Filmemacher wie Hal Hartley, David Gordon Green und Amy Heckerling, sondern bietet auch eine angenehme Alternative im anhaltenden Nostalgie-Trend der 1980er Jahre.

Red Oaks

Dass Amazon darüber hinaus davon ebenfalls ein Gespür für den Nerv der Zeit hat, beweisen unter anderem Formate wie One Mississippi und Good Girls Revolt. Tig Notaros schwarzhumorige Dramedy versteht sich in der Tradition von semi-autobiographischen Serien wie Louie und Master of None, wie sie sich momentan sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern großer Beliebtheit erfreuen. Good Girls Revolt befand sich derweil auf dem besten Weg, das neue Mad Men zu werden, ehe die ruppige Absetzung diesem Traum ein jähes Ende setzte. Dafür hat sich Amazon in jüngerer Vergangenheit dem Fortbestand anderer Serien angenommen und sich etwa die ehemalige BBC-Produktion Ripper Street geschnappt, kürzlich ebenso die einstige Sat.1-Konstante Pastewka. Ein kluger Schachzug, immerhin ist Bastian Pastewka einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Comedy-Welle, wie sie in den 2000er Jahren die hiesige TV-Landschaft dominierte. Vergleichbar gekonnt vereinte Amazon letztes Jahr in The Grand Tour das ehemalige Top Gear-Team in einer Quasi-Sequel-Serie.

Was außerdem oft vergessen wird: Genauso wie Netflix hat sich der Streaminganbieter mittlerweile in eine attraktive Plattform für Filmemacher und Schauspieler aller Couleur verwandelt. Billy Bob Thornton konnte mit Goliath an den Erfolg von Fargo anknüpfen, während sich Woody Allen trotz kreativer Differenzen überwunden und sechs Episoden von Crisis in Six Scenes inszeniert hat. Als nächstes ist Nicolas Winding Refn an der Reihe, der bereits bei der Umsetzung von The Neon Demon erste Erfahrungen mit Amazon sammeln konnte und somit - im Gegensatz zu seinen schaffenswütigen Kollegen - wissen sollte, auf was er sich bei Too Old To Die Young eingelassen hat. Obendrein arbeitet Mad Men-Schöpfer Matthew Weiner aktuell an einer neuen Serie für Amazon, die mit Sicherheit genauso aufregend werden dürfte wie David O. Russells serielles Debüt, für das bereits Hollywood-Schwergewichte wie Julianne Moore und Robert De Niro als Hauptdarsteller bestätigt sind. Ja, Amazons Original-Serien solltet ihr definitiv im Auge behalten.

Welche ist eure liebste eigenproduzierte Serie aus dem Hause Amazon?

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