The Walking Dead Staffel 6 - Ärgerlich und großartig zugleich

06.04.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Quo vadis, Rick Grimes?AMC
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Das Finale der sechsten Staffeln von The Walking Dead flimmerte vor ein paar Tagen über die Bildschirme. Zeit also, um ein Fazit aus dem Verlauf der letzten 16 Episoden zu ziehen. Was hat uns begeistert? Was war weniger überragend?

Die Frust über den großen Cliffhanger der sechsten Staffel von The Walking Dead ist groß. Doch nicht zum ersten Mal im Verlauf der letzten 16 Episoden ist ein vergleichbarer Aufschrei zu vernehmen. Bereits in Thank You, der dritten Episode der sechsten Staffel, opferten die Autoren Glenn (Steven Yeun) in einem gewagten Cliffhanger-Stunt, der sich im Nachhinein jedoch als pure Farce entpuppte, für erregte Gemüter sorgte und vom eigentlichen Kern der Geschichte ablenkte. Es scheint gelegentlich so, als wollten Showrunner Scott M. Gimple und sein Team die Fans der AMC-Serie absichtlich trollen - so dreist wird der bei seriellen Formaten übliche Mechanismus zur Spannungssteigerung ausgebeutet. Gleichzeitig sind diese Endnoten einer jeden Episoden nur schmückendes Beiwerk und die sechste Staffel von The Walking Dead hatte noch viel mehr als reißerische, aber kurzlebige Augenblicke zu bieten.

Morgans (Lennie James) Ankunft in Alexandria markiert den Ausgangspunkt der jüngsten Abenteuer in der Zombie-Apokalypse. Zuvor war er kurz in der ersten sowie der dritten Staffel zu sehen. Schon an dieser Stelle wird ein Gros der Themen ausgerollt, die The Walking Dead zuletzt dominierten. Kann sich ein Mensch (im Angesicht der vonstattengehenden Ereignisse) überhaupt wandeln? Die zentrale Fragestellung ist geschickt gewählt und liefert gerade in einer apokalyptischen Welt wie der von The Walking Dead unerschöpfliches Konfliktpotenzial, das konkret in Form eines Konflikts zwischen Morgan, Rick (Andrew Lincoln) und Carol (Melissa McBride) aufgearbeitet wird. Alle drei besitzen aufgrund ihrer Erfahrungen jeweils unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema und halten felsenfest an diesen fest. Immerhin erfordert der Ernst der Lage konsequente Richtlinien.

The Walking Dead

Morgan, der seine Frau und seinen Sohn auf grausame Weise verloren hat, vertritt nach seiner Begegnung mit dem moralischen Wegbegleiter Eastman (John Carroll Lynch) die Auffassung, dass alles Leben kostbar ist - und, dass sich der Mensch wandeln kann. Mit dieser Position steht er in Alexandria jedoch ziemlich alleine da: Sowohl Rick als auch Carol haben sich den Regeln der unerbittlichen Zeitumstände angepasst - ja, Rick geht nach der Konfrontation mit des Wolves noch einen Schritt weiter: Er will nicht mehr derjenige sein, der seine Familie verteidigt, sondern derjenige, der präventiv auf jegliche Bedrohung vorbereitet ist, wenngleich dieser Umstand bedeutet, dass er fortan selbst zum Killer wird und seine Feinde im Schlaf mit dem Dolch ersticht. Morgan kann diese Vorgehensweise selbstverständlich auf keinen Fall befürworten. Das Verhältnis zwischen den einstigen Freunden verändert sich schlagartig in eine angespannte und trotzdem respektvolle Beziehung. Und dieser sensible Umgang mit den Figuren ist großartig.

Außerdem erweitert ab diesem Moment ein zweites, zentrales Motiv das Geschehen, nämlich der Aufstieg und Fall des Rick Grimes. "I want to show you the new world, Carl", sagt der einstige Sheriff irgendwann zu seinem Sohn und offenbart somit endlich eine Motivation, die über das nackte Überleben hinausgeht. "Make sure you got something worth dying for", heißt es gleich in der ersten Episode der sechsten Staffel, in der letzten entgegnet Carol diesem Satz aus Rositas (Christian Serratos) Mund allerdings: "If you care about people, there are people to protect, there are people that you will kill for. If you don't want to kill ... or if you can't ... then you have to get away from them." Besonders im Bezug auf Morgan ergibt sich ein Dilemma. Er hat sich vom sterbenswilligen Zweifler in einen Beschützer des Lebens verwandelt und im Fall eines Wolves sogar bewiesen, dass sich ein Mensch wirklich wandeln kann.

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Um das Leben einer Person zu retten, die ihm wichtig ist, sieht er sich im Finale jedoch gezwungen, sein "All life is precious"-Mantra über Bord zu werfen und eine Entscheidung zu treffen, die er nie wieder rückgängig machen kann. Natürlich greift hier die zynische Ader von The Walking Dead, denn es geht darum, wie Menschen zerbrechen. So zum Beispiel auch Carol, die sich zum Schluss gänzlich von den Lebenden und aus dem Leben zurückziehen will, weil sie es nicht mehr ertragen kann. Genau hier wird die Serie Robert Kirkmans Comics gerechter denn je: Von Anfang an ging es darum, herauszufinden, wie weit Menschen gehen würden - und ja, auch wie sehr sie sich verwandeln - um in der Zombie-Apokalypse zu überleben. Dementsprechend wurde Rick, der sich zuvor komplett von sich selbst entfremdet hat, von Negan (Jeffrey Dean Morgan) gebrochen - zumindest in der Theorie, denn jener verhängnisvolle Cliffhanger im Finale verwährt den Aufschlag und zerstört die Dramaturgie.

Ärgerlich ist dieser Ausgang der sechsten Staffel vor allem deswegen, weil er den Aufbau des sonst überaus ordentlich strukturierten Staffelbogens im letzten Atemzug unvollständig erscheinen lässt. Angefangen bei den ersten acht Episoden, die sehr schön um die Problematik der Zombie-Herde vor Alexandria sowie die zunehmende Gefahr durch die Wolves konstruiert waren, bis hin zu den letzten acht Episoden, die ganz beiläufig Negan als ultimativen Endgegner etablierten, ohne ihn auch nur ein einziges Mal (außer am Ende) zu zeigen: Alles, wirklich alles hat sich auf diesen einen Moment konzentriert, ähnlich wie in den Comics. Doch während sich bei Robert Kirkman die gesamte Energie, die sich zuvor angestaut hat, mit dem Umblättern der nächsten Seite entlädt, löst sich der große, perfekt inszenierte Höhepunkt der sechsten Staffel (vorerst) im dunklen Nichts auf. Wichtig ist nicht, wer gestorben ist. Wichtig wäre nur gewesen, zu sehen, wie sich in Ricks Augen der Einschlag jenes Ereignisses spiegelt.

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Abseits davon treibt die sechste Staffel das Konzept von The Walking Dead äußerst lobenswert ans Limit und wagt einen Blick in Abgründe, jene Welt, in der die Grenze zwischen Mensch und Monster verschwindend gering wird. Es ist die Poesie des Weltuntergangs, die The Walking Dead momentan so reizvoll macht, vor allem in seinen ruhigen Passagen, wo die Last des Erlebten die Figuren nahezu erdrückt. Seien es die stimmungsvollen Montagen zu Johnny Cash-Songs oder der Nebel, der das nasse Laub auf den menschenleeren Straßen unter sich begräbt: Scott M. Gimple versteht die Mythologie der Geschichte und hat dem Format in den vergangenen Staffeln zur eigenen Identität verholfen. Sie sechste Runde tut dem keinen Abbruch und lässt sich rückblickend auf keinen Fall auf die wenigen Augenblicke reduzieren, wegen derer im Anschluss Tumblr und Reddit explodieren.

The Walking Dead erzählt viel mehr, manchmal ganz offensichtlich, manchmal aber auch nur zwischen den Zeilen, wenn die Autoren etwa auf die feinen Nuancen des Ensembles zurückgreifen, das sich aktuell wohl in seiner ausgeglichensten Phase befindet. Unter Umständen reicht ein einziger Blickwechsel, um eine Geschichte anzudeuten, die so groß und gewaltig ist, dass einem ein Schauer über den Rücken läuft. Die Frage nach einem baldigen Ende der Serie stellt sich dennoch: Wie abgründig können die Geschehnisse noch werden, bevor sie (wieder) in Redundanz verschwimmen? So gut sich The Walking Dead darin versteht, die frustrierende Planlosigkeit der Zombie-Apokalypse einzufangen, irgendwann muss der letzte Tag auf Erden kommen. Es wäre überragend, wenn das passiert, solange die Serie noch derartiges Feuer hat.

The Walking Dead

Alle Recaps zur sechsten Staffel von The Walking Dead:

The Walking Dead - Staffel 6, Episode 1: First Time Again
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 2: JSS
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 3: Thank You
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 4: Here's Not Here
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 5: Now
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 6: Alway Accountable
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 7: Heads Up
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 8: Start to Finish
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 9: No Way Out
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 10: The Next World
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 11: Knots Untie
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 12: Not Tomorrow Yet
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 13: The Same Boat
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 14: Twice as Far
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 15: East
The Walking Dead - Staffel 6, Episode 16: Last Day on Earth

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