7 Gründe, Ingmar Bergman zu lieben

08.02.2011 - 08:50 Uhr
Berlinale Countdown 2011
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Über Ingmar Bergman zu schreiben bedeutet, sich in den unendlichen Texten, Abhandlungen und Meinungen zu verlieren, die es zum Thema gibt. Dieser Artikel versucht stattdessen, dem Regisseur weniger bis fast unbekannte Fassetten abzuringen.

Wie die Ingmar Bergman-Ausstellung, die im Augenblick in Berlin gastiert, wollen auch wir einen persönlichen und weniger analytischen Licht auf den legendären Regisseur werfen. Die Berlinale feiert Ingmar Bergman mit einer Retrospektive, die neben der Ehrerbietung auch eine Entdeckung des schwedischen Meisterregisseurs ermöglicht. Über keinen Filmemacher wurde so viel gesprochen, geschrieben, diskutiert, analysiert und keiner wurde so exzessiv auseinander genommen wie Ingmar Bergman. Das Schaffen dieses Mannes galt schon immer als schwierig, kalt oder gar langweilig – zumindest aus Sicht von Nicht-Cineasten. Vielleicht können folgende sieben Gründe den Berührungsängsten etwas entgegenwirken.

1. Seiner Zeit voraus
Ein kleines Stück Papier, das für sich selbst und seinen Verfasser spricht. Geschrieben 1960 von Ingmar Bergman an die Oscar-Academy: "Sehr geehrte Damen und Herren, da Wilde Erdbeeren nicht für die “Oscars” angetreten ist, glaube ich, wäre es falsch, den Film zu nominieren. Daher möchte ich das Nominierungs-Zertifikat zurückgeben. Ich habe festgestellt, dass die “Oscar”-Nominierungen eine für die Filmkunst demütigende Institution darstellt und bitte Sie darum, in Zukunft davon befreit zu werden weiterhin von der Jury mit Nominierungen bedacht zu werden."

2. Ein Mensch festgehalten für die Ewigkeit
2007 wurde das Bergman-Archiv des Schwedischen Filminstitutes in das Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen. Somit wurde nicht bloß das Schaffen des Regisseurs geehrt, sondern – wenn wir uns darüber bewusst werden, dass Ingmar Bergman so offen wie kaum ein anderer seine persönlichen Erfahrungen, sein Leben und sein Innerstes in seinen Filmen preisgab – sein ganzes Dasein als existenziell und für die Menschheit wertvoll definiert. Eine Leistung, die ihn mit Legenden der Menschheitsgeschichte wie Michelangelo oder Beethoven gleichsetzt.

3. Getrieben und verfolgt
Ingmar Bergman galt seit jeher als ein sehr gefühl- und auch temperamentvoller Mensch. Berühmt-berüchtigt ist die Anekdote, dass er aus Protest und Wut gegenüber der Filmzensur drei Einzelbilder eines erigierten Penis in den Vorspann von Persona schnitt. Seine emotionale Vielschichtigkeit machte dem Regisseur vor allem im Alter zusehends zu schaffen. So war er als alter Mann ein von Furcht getriebener Mann, der die Dämonen, die ihn peinigten, auf einem kleinen Zettel festhielt. Der Dämon der Katastrophen, der Dämon der Angst – vor Hunden, Katzen, Insekten, Vögeln oder Menschen – oder der Dämon des Zorns. Aber auch die Dämonen Kontrolle, Pedanterie oder Pünktlichkeit machten ihm zu schaffen. Nur einen Dämon ließ ihn zeitlebens in Frieden: der Dämon des Nichts, der die Angst vor Ideen- und Fantasielosigkeit verkörperte.

4. Gestatten, Bergman
Nur eine simple Silbe trennte die beiden Exportschlager der schwedischen Filmindustrie. Ingrid Bergman, die berühmtesten Schauspielerin Schwedens und Star von Filmen wie Casablanca stand Ingmar Bergman gegenüber, dem berühmtesten Regisseur des Landes. Die Verwechslung der beiden Ikonen blieb über ihren Tod hinaus erhalten. Eine Zusammenarbeit ließ lange auf sich warten. Erst die letzte Kinorolle in Herbstsonate führte die Schauspielerin mit ihrem Namensvetter zusammen. Ein kleiner Kommentar am Rande: die erste Silbe “Ing” geht auf eine germanische Gottheit zurück. Bei Ingmar steht das “mar” für “berühmt”, “rid” für “Schönheit”. Zufall oder Schicksal?

5. Bergman und Welles, zwei Titanen wie Feuer und Eis
Die Beziehungen von Regisseuren untereinander gilt als schwierig. Besonders wenn zwei so gegensätzliche Filmemacher aufeinander treffen wie Ingmar Bergman und Orson Welles. Bergman über Welles: „Ein total überschätzter Filmemacher, ein Betrug, total leer. Citizen Kane oder Der Glanz des Hauses Amberson, total langweilig!“ Welles im Gegenzug über Bergman: „Es gibt eine ganze Anzahl Bergman Filme, da wäre ich lieber tot, als die bis zum Ende anzuschauen.“
Die Gründe für die gegenseitige Abneigung sind schnell gefunden: Bergman war ein strenger, handlungsarmer und kammerspielartiger Geschichtenerzähler, der seine Filme vor seine Person stellte. Welles dagegen war ein dramatischer, opulenter, technisch innovativer Filmemacher, der das Rampenlicht suchte wie Motten das Licht. Der eine schuf mit 28 sein Meisterwerk, aber verlor danach zusehends seine Leidenschaft, verdingte sich mehr schlecht als recht für seinen Unterhalt und wird heute auf vier bis fünf Filme reduziert. Der andere wurde erst mit fast 40 Jahren als wegweisender Filmemacher anerkannt, aber von da an kannte sein Ansehen kein Halten mehr, was seine gesamtes, umfangreiche Filmografie adelte.

6. Wenn Idole ihr Idol verehren
Ingmar Bergman bekam 1997 die “Palme der Palmen” von anderen namhaften Regisseuren verliehen, die größte Ehre, die ihm je zu Teil wurde, was ihm den Titel des besten Regisseurs aller Zeiten einbrachte. Doch es geht nicht um die Namen derer, die ihren Respekt Ingmar Bergman zollten, sondern um die Worte, die die Meister des Kinos an den schwedischen Filmemacher richteten. Es fällt schwer, bei der Durchsicht der Briefe – die unsere Idole an ihr Idol richteten – nicht vor Ehrfurcht zu erstarren. Die Bergman-Ausstellung in Berlin lässt nur einen kleinen Blick in diesen Austausch der Ikonen zu, aber die Liste derer, die sich zu Bergman bekannten, entbehrt nicht einem gewissen Surrealismus: Billy Wilder, Andrei Tarkowski, Woody Allen, Francis Ford Coppola, David Lynch, Chan-wook Park, Steven Spielberg oder Martin Scorsese, um nur ein paar zu nennen.

7. Stanley Kubrick als Fanboy
Der beeindruckendste aller Ehrerbietungen stammt von einem Regisseur, der sich ebenfalls regelmäßig im cineastischen Wettrennen um den Titel des besten/beliebtesten/einflussreichsten Regisseurs der Nachkriegsgeschichte wiederfindet: Stanley Kubrick. 1960 schrieb ein 32-jähriger Kubrick, kurz nachdem er mit Spartacus einen beachtlichen Erfolg verbuchen konnte, seinem großen Idol Ingmar Bergman einen Brief. Ein Schreiben, wie ihn Fans tagtäglich an ihre Vorbilder richten und die sie auf Sockeln stellen, so hoch und so unerreichbar, wie sie nur Fanaugen sehen können. “Ihre Interpretation des Lebens haben mich auf eine Weise bewegt, wie mich noch keine Filme vorher bewegt hatten. Ich glaube, Sie sind der größte Regisseur unserer Zeit. Davon abgesehen, erlauben Sie mir zu sagen, dass Sie unerreicht sind, was die Erzeugung von Stimmung und Atmosphäre, die Feinheiten in der Regieführung, die Vermeidung des Offensichtlichen und die Aufrichtigkeit ihrer Charakterisierungen betrifft.”

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