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Martin Scorsese: Mafiosi, Geistliche und der amerikanische Traum

17.11.2018 - 02:57 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Martin Scorsese bei den Dreharbeiten zu "Silence"
Concorde Filmverleih GmbH
Martin Scorsese bei den Dreharbeiten zu "Silence"
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Martin Scorsese wird heute stolze 76 Jahre alt. Er gehört zweifellos zu den wichtigsten und einflussreichsten Filmemachern überhaupt. Seit über 50 Jahren macht er Filme. Feiert mit uns einen der großen Vertreter des New Hollywood!

Martin Charles Scorsese wurde am 17. November 1942 in New York City geboren. In einer Stadt, die in vielen seiner Filme (wie "Taxi Driver", "New York, New York" oder "Gangs of New York") eine wichtige Rolle spielt. Er wuchs in Little Italy auf. Seine italienischen Wurzeln und seine berühmten Mafiafilme ("GoodFellas" oder "Casino") lassen ihn bei Fans von Filmen zum organisierten Verbrechen ganz hoch im Kurs stehen. Die italienisch-amerikanische Weltsicht sind jedoch nur einer, wenn auch bedeutender Aspekt der Themen, mit denen sich Scorsese in seinen Filmen beschäftigte. Religiöse Motive lassen sich häufig in seinem Werk finden, zum Beispiel in "Die letzte Versuchung Christi" oder "Silence". Auch biografische Filme ("Wie ein wilder Stier" oder "Aviator"), Komödien ("King of Comedy") und Dokumentarfilme ("The Band" oder "Bob Dylan - No Direction Home") sind in seiner Filmografie enthalten.

Zwischen den späten 1960er und frühen 1980er Jahren kam es in den USA zu einem Umbruch. Eine neue Generation von jungen Filmemachern entwickelte eigenständige Wege Filme zu machen - abseits der großen Filmstudios. Martin Scorsese war einer von ihnen und prägte das amerikanische Kino nachhaltig.

Scorsese arbeitete im Laufe seiner Karriere häufig mit den gleichen Schauspielern zusammen. Robert De Niro (8 Filme) und Leonardo DiCaprio (5 Filme) fallen einem da sofort ein. Aber beispielsweise auch Harvey Keitel (5), Joe Pesci (3) oder Daniel Day-Lewis (2) traten mehrfach in Scorseses Werken auf.

Einige Community-Mitglieder haben sich im Rahmen der Aktion Textgeschenke zum Geburtstag mit einigen wenigen Filmen Scorseses befasst und kleine Texte dazu geschrieben, die wir euch hier nun gesammelt und in chronologischer Reihenfolge präsentieren möchten. Feiert mit uns das heutige Geburtstagskind. Alles Gute, Marty.

Iamthesword: Martin Scorsese und der amerikanische Traum

I love studying Ancient History and seeing how empires rise and fall. They sow the seeds of their own destruction.


The American Dream (Symbolbild)

Amerika zu verstehen ist nicht leicht (zumal wenn man wie wir nicht von da kommt). War es nie, wird es auch nie sein. Aber gerade in diesen Wochen und Monaten und Jahren erscheint uns das Land besonders fremd, erscheint die Illusion einer transatlantischen Einheit (der sogenannte "Westen") besonders brüchig. Umso mehr sucht man nach Anhaltspunkten, die einem dabei helfen können, dieses seltsame Land jenseits des Atlantiks zu begreifen. Aber man sucht nicht allein. Immer wieder begegnet einem ein älterer Herr mit dunkler Brille und buschigen Augenbrauen, Martin Scorsese.

Auch er versucht zu verstehen. Und um zu verstehen schaut er sich jene Amerikaner an, die dieses Land verkörpern. Seine Veteranen und Sportler, seine Banker und Millionäre, seine Gangster und Entertainer. Sie alle, so erzählt uns Scorsese, verbindet eines: Sie jagen den Amerikanischen Traum, das große Versprechen auf dem Amerika gebaut ist. Das großartigste Land der Welt. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Nichts ist unmöglich. The pursuit of hapiness.

Scorseses Protagonisten sind Suchende, sie alle suchen auf die ein oder andere Art den amerikanischen Traum. Jordan Belfort, Henry Hill, Charlie Cappa, Sam Rothstein wollen vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen. Howard Hughes versucht die Grenzen des (technisch) Machbaren zu überschreiten. Jack LaMotta sucht nach einem Weg aus dem Millieu seiner Kindheit, er möchte kein "white trash" mehr sein - ähnlich (und doch ganz anders) wie Alice Hyatt. Rupert Pupkin, Jimmy Doyle und Francine Ewans suchen Anerkennung und hoffen sie im rauschenden Applaus der Glitzerwelt des Showbusiness zu finden. Und Travis Bickle sucht das Amerika der Freiheit und der Werte, dass er angeblich in Vietnam verteidigt hat, um den dort erlebten Schrecken einen Sinn zu geben. Es ist das Vertrauen in den Amerikanischen Traum, dass sie alle vereint.

Doch hier liegt der Haken. Denn die großen Hoffnungen der Figuren sind zu groß, um in Erfüllung zu gehen. Trotz seiner sportlichen Erfolge kann Jack LaMotta seine Herkunft nicht ablegen. Rupert Pupkin bleibt die Anerkennung seines Idols ebenso verwehrt wie der Ruhm des Publikums. Charlie Cappa endet schwer verwundet an einem Straßenrand in New York. Und Travis Bickle findet ein dreckiges, korruptes Amerika, das es nicht wert ist, verteidigt zu werden. Und selbst, wenn das Ziel (scheinbar) erreicht ist, ist der Erfolg nicht von Dauer und fordert einen hohen Preis: Henry Hill und Sam Rothstein verlieren ihr bisheriges Leben (und einen Teil ihrer Familie), Howard Hughes seine geistige Gesundheit, Jimmy Doyle und Francine Evans ihre Liebe zueinander. Selbst Jordan Belfort, der trotz Gefängnis glimpflich davongekommen zu sein scheint, wurde von seinen Freunden verraten und fristet sein Dasein als Motivationscoach. Allein bei Alice Hyatt scheint zumindest Möglichkeit eines glücklichen Lebens am Horizont auf, aber nur, falls sie ihre Variante des American Dream - von der Kellnerin zur Sängerin - irgendwann begräbt (was offen bleibt).

Der Amerikanische Traum ist ein Heilsversprechen, eines, dass so groß ist, dass die in es gesetzten Erwartungen gar nicht erfüllt werden können. Und aus dem Scheitern der Hoffnungen erwächst Enttäuschung, die sich viel zu oft in Gewalt äußert, nicht nur beim um sich schießenden Travis Bickle, nicht nur beim sein Idol entführenden Rupert Pupkin, nicht nur beim seine Frau prügelnden Jack LaMotta, sondern ganz real: durch Rohrbomben in Paketen, Angriffe auf Journalisten, Hatecrimes und prügelnde und (mit Autos) mordende Rechtsradikale. Impressionen aus einem Land, das von seinem eigenen Heilsversprechen an den Abgrund getrieben wird.

P. S.: Einmal hat sich der Erfolg dann doch eingestellt. Einer von Scorseses Protagonisten hat alles erreicht: Murray aus seinem Studentenfilm "It's not just you, Murray!". Ein Männlein mit eher fragwürdiger Haartracht und seltsamen Krawatten, der gerne damit angibt, wie reich er ist. Murray hat nicht nur Geld, er hat auch politischen Einfluss. Murray ist ein Gangster.

Stefan Ishii über "Taxi Driver" (1976)

All the animals come out at night - whores, skunk pussies, buggers, queens, fairies, dopers, junkies, sick, venal. Someday a real rain will come and wash all this scum off the streets.

"Taxi Driver" (1976)

Travis Bickle. 26 Jahre alt. Einsamer Ex-Soldat; wahrscheinlich Vietnamkriegsveteran. Leidet unter Depressionen und chronischer Schlaflosigkeit. Travis geht in Pornokinos. Er sagt: "Loneliness has followed me my whole life. Everywhere. In bars, in cars, sidewalks, stores, everywhere. There's no escape. I'm God's lonely man... June 8th. My life has taken another turn again. The days can go on with regularity over and over, one day indistinguishable from the next. A long continuous chain. Then suddenly, there is a change."

Er wird Taxifahrer, der alles und jeden durch ganz New York fährt. 12-Stunden-Schichten; jeden Tag. Ganz egal. Travis verliebt sich in die Wahlkampfhelferin eines New York Senators, Betsy. Eine andere Welt, die er nicht versteht und die ihn nicht versteht. Düstere, gewalttätige Fantasien und Gedanken sind die Folge. Sich aufstauende Frustrationen. Die Welt muss vor dem ganzen Dreck beschützt werden: Huren, Stinktier-Muschis, Arschlöcher, Transen, Schwule, Dopers, Junkies, Kranke, Korrupte. Irgendwann kommt ein echter Regen und wäscht den ganzen Müll von den Straßen. Travis will dieser reinigen Regen sein. Die Menschen, wie die 12-jährige Prostituierte Iris, müssen vor all dem Scheiß gerettet werden. Er trainiert. Bewaffnet sich. Er sagt: "Too much sitting has ruined my body. Too much abuse has gone on for too long. From now on there will be 50 pushups each morning, 50 pullups. There will be no more pills, no more bad food, no more destroyers of my body. From now on will be total organization. Every muscle must be tight."

"Now I see it clearly. My whole life is pointed in one direction. I see that now. There never has been any choice for me." Travis ist ein Retter. Ein Mann. Ein Held. Richtig?

TommyDeVito über "After Hours - Die Zeit nach Mitternacht" (1985)

I mean, I just wanted to leave, you know, my apartment, maybe meet a nice girl…and now I gotta DIE for it?!

"After Hours" (1985)

1983 wollte Vollblut-Cineast Martin Scorsese, der zu diesem Zeitpunkt mit Grosstaten wie seinem wilden Stier oder dem schlaflosen Taxifahrer schon in die Annalen der amerikanischen Filmgeschichte und vor allem der New Hollywood-Bewegung eingegangen war, sich einem weiteren Herzensprojekt widmen. Basierend auf dem gleichnamigen Roman des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis wollte Scorsese "Die letzte Versuchung Christi" auf die Leinwand bannen. Doch schon früh stand das Projekt unter keinem guten (biblischen) Stern und so musste der Italoamerikaner und nichtpraktizierende Katholik seine filmische Vision zu Grabe legen. Eine Auferstehung gab es dann irgendwann doch noch. Ein bisschen länger als drei Tage dauerte es jedoch, bis Willem Dafoe als der an sich und seiner Mission zweifelnde Messias auf der Leinwand zu sehen war (1988 kam "Die letzte Versuchung Christi" in die Kinos und wurde prompt zu einem der kontroversesten Filme aller Zeiten).

Da der erste Anlauf 1983 gescheitert und Scorsese offensichtlich voller Tatendrang war, drehte er in der Zwischenzeit zwei andere Werke und das erste davon ist nicht nur besser als der skandalöse Jesusfilm, sondern gehört aus meiner Sicht sogar zu den besten in der ganzen Filmographie des Martin Scorsese: "After Hours" (deutscher Titel: "Die Zeit nach Mitternacht").

Ganz nach der Redensart «when life gives you lemons, make lemonade» wählte Scorsese ein teilweise plagiiertes Drehbuch des 26-jährigen Joseph Minion ("Vampire's Kiss") aus, sorgte mal so eben dafür, dass der eigentlich vorgesehene Regisseur (ein gewisser Timothy Burton) durch das Interesse des "Taxi Driver"-Regisseurs schnell und vollkommen freiwillig seinen vorgewärmten Regiestuhl wieder räumte. Fügte inspiriert von seiner damaligen Frustration und von Franz Kafka ¬ man vergleiche auf der Basis dieses Wissens die aus dem "Prozess" bekannte Parabel "Vor dem Gesetz" mit der Szene vor dem Club ¬ hier und da noch etwas zum Drehbuch hinzu. Ein Drehbuch, welches wohl schon zuvor einen ziemlich ungewöhnlichen, leicht surrealistischen und ja einen ¬ keine Sorge, für einmal passt dieses zu häufig gebrauchte Adjektiv wirklich – einen durchaus kafkaesken Ton hatte. Und er engagierte als Kameramann erstmals Michael Ballhaus, eine Kollaboration, die uns später noch Höhepunkte und Augenschmaus wie "The Age of Innocence" oder "Casino" bescheren sollte. Ballhaus’ Kameraführung in "After Hours", insbesondere im furiosen Auftakt, ist ein Vorgeschmack auf die kinetische, äusserst agile und an manchen Stellen schon fast hyperaktive Regie (natürlich in Kombination mit Thelma Schoonmakers Schnitt), die Scorsese Jahre später beispielsweise in "Bringing Out the Dead" (noch so eine unterbewertete Perle) auf die Spitze führen wird. Selbst ein herunterfallender Schlüssel wird in "After Hours" vom Team Scorsese/Ballhaus virtuos eingefangen.

Im Mittelpunkt der häufig unterschätzten ¬ oder vielmehr übersehenen ¬ pechschwarzen Komödie steht der von Griffin Dunne (der 1981 vom "American Werewolf in London" zerfledderte Kumpel) gespielte Programmierer Paul Hackett. Hackett, der einen langweiligen, überraschungsarmen Job hat, trifft nach Feierabend in einem Café eine junge Frau namens Marci (absolut bezaubernd: Rosanna Arquette). Indem er sich Ihr durch ein «gemeinsames» Interesse an Henry Miller ein Date erlogen hat, kann er ihre Telefonnummer ergattern und ein Treffen bei ihr vereinbaren. Doch als er sich auf den Weg macht und sein einziges Bargeld in Form einer 20-Dollar-Note in einer wilden Taxifahrt aus dem Fenster und ins urbane Dunkel fliegt, da ist für den Zuschauer bereits klar, das wird keine unbeschwert-charmante Romanze (oder um hier willkürlich "Game of Thrones" zu zitieren: «If you think this has a happy ending, you haven't been paying attention.»)

Was nun beginnt ist nämlich Hacketts Odyssee durch die Nachtszene der von Scorsese über Jahrzehnte wieder und wieder mit neuen Facetten inszenierten Szenerie New Yorks. Keine Einstellung ist für mich dabei so sinnbildlich für diese einzigartige, skurrile Komödie, wie eine in einem öffentlichen WC an die Wand gekritzelte Zeichnung eines Mannes, an dessen erigiertem Penis sich ein Hai festgebissen hat. Auch wenn ich "After Hours" schon mehrmals gesehen habe, so frage ich mich an dem Punkt doch jedes Mal, ob Paul Hackett am Ende vielleicht ähnlich schlimm dastehen wird.

Auch kann solch ein Bild bei Männern relativ schnell Kastrationsängste hervorrufen und dies ist auch im Film wiederzuerkennen: Durch den ganzen Film zieht sich eine Bedrohung für die männliche Hauptfigur und die scheint häufig in sexuellem Interesse von aussen ihren Beginn zu haben. Eine Art bedrohliche Weiblichkeit aus der subjektiven Sicht Hacketts ist zu erkennen. Immer wenn Hackett sich einer Frau annähert (oder sie sich ihm), scheint er sich damit in Gefahr zu bringen und jede Frau wirkt für ihn mit der Zeit noch irrationaler, noch verrückter und noch fataler. Jedwede Kommunikation und Interaktion mit einem anderen Menschen ¬ vor allem einer Frau ¬ führt schnell zu Missverständnissen und Streitereien, daraus folgt bald Wut, schliesslich wird daraus Gewalt und insgesamt entsteht daraus ein tiefer, schwarzer, beängstigender Strudel, ein Mahlstrom, dessen Sog man nicht entrinnen kann. Zumindest nicht in der Zeit nach Mitternacht, in der seltsame Dinge passieren…

«I’m having a really…really bad night and, uh, I can’t seem to find anyone who will…just sit with me…without yelling at me or somethin’.» - Paul Hackett

Zwischen all dem Misstrauen steckt aber in Einzelmomenten und kleinen, feinen Details, ein Sehnen nach zwischenmenschlichem Kontakt und zärtlicher Annäherung im anonymisierten, einsamen Grossstadtdschungel. Nebenbei ist auch interessant, dass die spirituelle Sinnsuche, die in der "Versuchung Christi" damals nicht zustande kam, in Ansätzen auch in "After Hours" anzutreffen ist. Ohnehin finde ich, dass die religiösen Lieblingsthemen wie beispielsweise das (für die Figuren mitunter gefährliche) Sehnen nach Erlösung sich durch den Grossteil seiner Werke ziehen (nicht nur durch die explizit religiösen Filmen wie "Kundun" oder "Silence").

Nicht vergessen möchte ich zum Schluss noch den Komponisten, Howard Shore, der wie Ballhaus zum ersten, aber glücklicherweise nicht letzten Mal mit Scorsese zusammenarbeitete. Sein Score, der wiederum mit einer sehr geglückten Musikauswahl Scorseses kombiniert wurde, ist, ähnlich wie einige seiner Arbeiten für David Cronenberg, eher minimalistisch und trägt mit seinem repetitiv-tickenden Sound die perfekte, paranoide musikalische Begleitung für die Rastlosigkeit Hacketts und das alptraumhafte Unheil, das im Dunkeln der Stadt lauert, bei.

"After Hours" ist ein grossartiger Film und umso beeindruckender, wenn man nochmals bedenkt, dass es sich um eine Art «Zwischenprojekt», ja fast eine Fingerübung, handelt, welche nur aufgrund des Scheiterns eines dem Regisseur mehr am Herzen gelegenen Films zustande kam. Und dennoch ist es ein unverschämt starker Film, der auch nach mehrmaliger Sichtung nichts von seiner Wirkung verliert. Herzlichen Glückwunsch zum 76sten, Marty, ich freue mich schon auf deinen nächsten Film ¬ selbst wenn es nur eine «Fingerübung» sein sollte.

Cooper über "GoodFellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia" (1990)

"GoodFellas" (1990)

Hier auf Moviepilot wird immer wieder gerne Geburtstagen von Actricen, Darstellern, Regiseurinnen/Regisseuren, Komponisten und Kameramännern/-frauen gedacht.
Für gewöhnlich lese ich solche Kommentare. Dieses Mal jedoch möchte ich mich beteiligen. Das liegt weder am Regisseur noch daran, dass ich dessen große Werke als prägsam empfinde. Ich hatte einfach Lust darauf und die Gelegenheit bot sich mir aufgrund der geplanten (leider jedoch nicht zustande gekommenen) Erstsichtung des Filmes "Kundun". Eine Alternative bot sich in Form des zweiten Anschauens von "GoodFellas".

Martin Scorsese, du weitbekannter Regisseur mit deiner durchaus nicht unüblichen Vorliebe für häufige Zusammenarbeiten mit talentierten Größen der Schauspielkunst.
Für deine Kinofilme mit Robert De Niro war ich oft noch zu jung oder gar nicht auf dieser Welt. Später sah ich ein paar deiner großen Erfolge in meiner Pubertät und frühen 2000ern. Die spätere und äußerst fruchtbare, wiederholte Zusammenarbeit mit Leonardo DiCaprio bekam ich dagegen zeitnah mit - wenngleich ich hier ebenfalls keine Kinobesuche erlebte. Ich gestehe, dass mich wohl keines deiner Werke ins Kino locken kann.

Viele Bekannte und Freunde lieben und zitieren deine Filme. Manche lernen Szenen auswendig und viele Werke erhalten großen Zulauf popkulturellen Einfluß hatten oder gar Filmhistorie geschrieben haben, bin ich dagegen deutlich weniger emotional an dich gebunden, werter Martin.

Ich habe viele deiner Regiearbeiten nicht gesehen. Die Werke "Hexenkessel", "GoodFellas" und "Casino" gelten als Mafia-Trilogie. Thematisch zusammenhängend? Dies war mir nicht bekannt. Ich bin gewissermaßen ahnungslos, dein Werk und deine Bedeutsamkeit betreffen. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich viele deiner Filme nie gesehen habe, doch ein Werk beeindruckte mich tatsächlich mehr, als die anderen der meinerseits Gesehenen.
Darin wird kritisch, offen und reflektiv ein potentieller Werdegang und das gefährliche, durchaus auch Entbeerungen beinhaltende Leben als Handlanger und Zuarbeiter für die italienische Mafia im Amerika der 50er bis 80er eindrucksvoll ausgebreitet.

Wo mich "Casino" als Teen nicht angesprochen hat und mir die vielgelobte "Pate"-Trilogie gänzlich uninteressant vorgekommen ist, da weckte "GoodFellas" mein Interesse und darauf folgend auch Begeisterung. Das ist etwas Besonderes, denn weder dein "Taxi Driver", noch die anderen gesehenen Werke konnten mich so fesseln.

Unter den elf mir bekannten Filmen von dir, da sticht "GoodFellas" heraus. Womöglich liegt das an dessen Erzähltempo? Nein. Denn ich brach deinen "Wie ein wilder Stier" nach wenigen Minuten ab und quälte mich bis zum enttäuschenden Ende von "Bringing Out the Dead". War es vielleicht nur die damals wie heute ungewohnt-exzessive Verwendung von 'Voice Over' bei deinen US-Mafios? Nicht wirklich, denn für gewöhnlich schätze ich 'Show, don't tell' mehr, als das Kommentieren aus dem Off. Vermutlich bekam 'GoodFellas' einen Stein bei mir ins Brett durch die Dekonstruktion des Gangsterlebens?!

Was nach dem Verlust der Illusion von Gangsterwürde, eigenen Regeln, Zusammenhalt, Familienehre und Respekt meiner Auffassung nach bleibt, dass ist dein womöglich bester Film, wenngleich er heute weit weniger bekannt ist, als deine großen und aktuelleren Erfolge gegen Ende der 90er bis zu "The Wolf of Wall Street".

Ich beglückwünsche Dich zu 76 Lebensjahren und zähle mich zu den Personen, die hellhörig werden bei Projektspekulationen und tatsächlich in Produktion gehenden Werken.

"Anders zu leben kam für uns nicht in Frage. Ähm. Diese Guten Leute, die in Scheissjobs für erbärmliche Löhne arbeiteten und jeden Tag die U-Bahn nehmen mussten und sich sorgen, um ihre Rechnungen machten. Die waren für uns tot!..."

Der in ablenkender Opulanz der Szene eingelullte Betrachter muss schon genau aufpassen, wenn ihn spätere Entwicklungen der Story nicht völlig unvorbereitet treffen sollen.

"Wenn man zu einer Bande gehört, sagt einem niemals jemand, dass man dich umbringen will. So läuft das nicht. Es gibt keine großen Auseinandersetzungen oder Flüche, wie im Film. Deine Mörder kommen mit einem Lächeln. Sie kommen als deine Freunde und Leute, die sich dein ganzes Leben um dich gekümmert haben und sie kommen immer dann, wenn man ganz unten ist und ihre Hilfe am nötigsten braucht."

Am Ende dieser mit Monologen im Off immer wieder Erläuterungen gebenden Elegie aus drei Jahrzehnten Mode, Musik, Niedergang des manchmal verklärten und doch schonungslosen Gangsterlebens passiert noch etwas Unerwartetes.
Ein letzter Monolog zu untermalenden Bildern geht in eine Verhandlung vor Gericht über und mündet in die direkte Rede an den Zuschauer gewandt.

Dies wäre in manchen Filmen anderer Regisseure der perfekte Abschluß. Bei Martin Scorseses "GoodFellas" war natürlich noch ein enthüllender Abschied notwendig. Das unerbittliche Schicksal muss gezeigt werden.

Wie, wenn nicht mit einer desillusionierenden Szene, könnte der Film sonst das künftige Schicksal in Form eines früher so verabscheuten Lebens münden? Die Trennung von Zuschauer und sympathisierten Gangster kann einzig durch eine Annäherung überbrückt werden, die zugleich Ablehnung wie Annahme darstellt. Henry Hill will leben und selbst wenn dieses Dasein ihm als der schwerste Teil erscheint, so stellt es die einzig mögliche Form eines Überlebens dar, die sein eingeschlagener Pfad als Gangster ihm lassen kann. Der aufregende, wilde, brutale Pfad muss verlassen werden!

Aus den köstlichen Spaghetti mit Marinarasoße werden Eiernudeln mit Ketchup! :D

Mit dieser Ironie verlassen wir einen in die Kamera und dem Zuschauer entgegengrinsenden Ray Liotta, der letztlich allen für ihn bedeutsamen Werten abgeschworen hat. Ein anständiges Leben erwartet ihn. Henry Hills Eltern wären vermutlich erleichtert. Sein irischer Vater hätte ihm ganz sicher mit gequältem und zugleich triumphierenden Grinsen gesagt: "Siehst du Sohn, letzten Endes kommt man zum Überleben nicht um das Richtige herum!"

Ich stelle mir Henry vor, wie er seinem Vater noch immer trotzt: "Ich habe wenigstens gelebt! Nur durch meinen Weg fand ich meine Frau und nur mit ihr und unseren Kindern kann ich leben! Scheiß auf alle Anderen!"

Tja. Der Abspann zu irgendwie unpassend scheinender Rockmusik enthüllt, dass das wahre Leben in aller Härte zuschlagen kann, auch dann, wenn man glaubt, bereits alles verloren zu haben. Die Realität ist halt kein Film!

Amarawish über "Zeit der Unschuld" (1993)

You gave me my first glimpse of a real life. Then you asked me to go on with the false one. No one can endure that.

"Zeit der Unschuld" (1993)

Der junge, gut situierte Anwalt Newland (absolut charismatisch: Daniel Day-Lewis) hatte sich erst kürzlich mit einer nicht weniger angesehenen unschuldigen Jungschönheit des Adels (Winona Ryder) verlobt. Ein Ansuchen um rechtlichen Beistand lässt die Wege der unkonventionellen Cousine seiner Angebeteten, Madame Olenskas (Michelle Pfeiffer) und Newlands sich kreuzen. Geflüchtet aus einer unglücklichen Heirat in Europa bittet sie um die Scheidung. Gesellschaftlich natürlich als ein großes Tabu angesehen versucht er ihr dies auszureden. Es folgen zahlreiche Unternehmungen ihren Ruf aufgrund ihres skandalösen Wunsches wiederherzustellen. Ihr Ablehnen der gesellschaftlichen Konventionen entfacht in ihm eine Sympathie und schnell wachsende Leidenschaft, der er anfänglich versucht zu entfliehen. Als Liebhaber von guter Literatur, mit großen Interesse an fremden Orten und Gesprächen abseits der sonstigen Oberflächlichkeit der gehobenen Gesellschaft erkennt er allerdings in ihr seine wahre Begierde und Wunschpartnerin. Aller Traditionen und Gespött zum Trotz zieht er in Erwägung seine frisch entbrannte Liebe zu leben. Doch hatte er nicht mit dem zahlreichen Augenpaaren seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft gerechnet, die gekonnt die Stimmung zwischen den beiden erahnen, letztendlich wohl erkennen und dies gekonnt zu verhindern wissen. Einschließlich seiner Zukünftigen und späteren Gattin, die immer im richtigen Moment die frisch entflammten Hoffnungen zu Nichte macht, um die Regeln der Verhältnismäßigkeit einzuhalten.

Letzten Endes ist sein gelebtes Leben das eines loyalen Ehemanns und Vaters, der alles aufgibt, um den Schein des Perfekten nach außen zu wahren und seiner Gattin das zu schenken, was sie sich immer gewünscht hatte: Ein einfaches, zufriedenes Leben nach der gesellschaftlichen Norm.

Alles was bleibt ist die Erinnerung an gelbe Rosen, die einst unausgesprochene Emotionen versinnbildlichten und ein abstrakter Traum des Nichtgelebten, der im Laufe der Jahre im Nebel des Alltäglichen langsam zu verblassen scheint.

* * * *

Auch wenn Martin Scorseses "The Age of Innocence" sicherlich nicht das erste Werk aus seiner Filmografie ist, welches man bei seiner Erwähnung zuerst nennen würde, ist es nun doch einer meiner Favoriten. Es zeigt seine Fähigkeit seine nuancierten Verstrickungen menschlichen Handelns und Fühlens spannend umzusetzen. Er entführt in eine Kultur, die ebenso verführerisch schön ist wie ihre Rituale. Scorsese erschuf ein ergreifendes Porträt einer Gesellschaft, die streng an ihre Regeln gebunden ist und eine Zeit darstellt, wo die Realität der des Herzenswunsches meist im Wege stand. Einmal mehr wurde ich gut unterhalten und doch ist es weniger eine Überraschung als eine angenehme Genugtuung, dass auch dieser Film ein kleines Meisterwerk ist. Alles Gute zum Geburtstag!

Adrian.Cinemacritics über "The Departed" (2006)

Do you want to be a cop or look like a cop?

"The Departed" (2006)

Ein Thriller, der sich um ein doppeltes Spiel dreht, mag für sich allein schon für eine potenziell spannende Geschichte sorgen, doch Perfektionist Martin Scorsese (alles Gute zum Geburtstag!) legt dem allem noch eine Schippe drauf. Was passiert, wenn man zwei doppelte Spiele in einem Kriminalfilm voller messerscharfer Dialoge, unerwarteten Wendungen und nervenzerreißender Spannung verpackt? Dann hat man "The Departed", einer der simpleren, aber nicht weniger genialen Filme von einem der größten Filmemacher unserer Zeit.

Billy Costigan, grandios gespielt von Leonardo DiCaprio (du hast so viel früher die Trophäe verdient, alter Freund), arbeitet als Undercover-Bulle in der Gang von Frank Costello (den wohl niemand anders ansatzweise so abstoßend und sympathisch zugleich gespielt hätte als Jack Nicholson), während Colin Sullivan (so unglaublich hassenswert wie seit langem nicht mehr: Matt Damon) sich bei der Polizei einnistet, um seinem kriminellen Boss zu unterstützen. Während die meisten Filme von Scorsese bis zum Rand hin mit Nebenhandlungen, Charakteren und Konflikten gefüllt sind, konzentriert sich der Film nur auf dieses Katz-und-Mausspiel zwischen den Cops und den Kriminellen. Und das Ergebnis ist nicht minder spannend oder unterhaltsam als eine weitere Rise-and-Fall-Story der Marke Scorsese. Wenn diese beiden Welten immer wieder aufeinander treffen, sei es aus der Sicht des Wolfs im Schafspelz oder dem Schaf im Wolfspelz, ist es zu keiner Zeit langweilig. Denn eins ist uns Zuschauern klar: Einer von beiden wird irgendwann mal auffliegen. Die Zeitbombe wurde schon am Anfang der Geschichte gezündet und wir warten nur darauf, dass sie explodiert. Die Dialoge heben sich wie wir es bei Scorsese gewohnt sind von klassischen Konversationen ab und sind so schön anzuhören wie die zahlreichen Songs, die ununterbrochen im Hintergrund zu hören sind. Ohne sie würden dem Film unter anderem der herrlich pechschwarze Humor fehlen, der diesem spannende Kriminaldrama die passende Würze gibt und uns neben den spannenden Szenen mal hin und wieder herzlich oder nervös lachen lässt. Wenn der Film eines kann, dann ist es seine Zuschauer zu fesseln und sie hin und wieder sogar förmlich ins Gesicht zu schlagen, wenn er zulässt, dass die Geschichte einen ganz anderen Verlauf nimmt als erwartet. Wer sich im letzten Akt nicht verraten fühlt, der hat vermutlich schon alles gesehen.

Wieder einmal ist die Kollaboration des dynamischen Duos Scorsese und DiCaprio geglückt. "The Departed" ist ein spannend erzählter Krimithriller, den ich mir immer wieder ansehen kann. Das Beste, was ein Film tun kann, ist in mir das Verlangen zu wecken, ihn ein weiteres Mal einzulegen und zu genießen. Während heutzutage die meisten Kinofilme nach dem ersten Besuch in Vergessenheit geraten, ist es immer wieder schön, ein paar Werke um sich zu haben, die die Zeit überdauern und selbst nach über einem Jahrzehnt noch Freude bereiten und faszinieren.

Amon über "Shutter Island" (2010)

Which would be worse - to live as a monster, or to die as a good man?

"Shutter Island" (2010)
Ganze acht Jahre ist es mittlerweile her, dass es einen Freund und mich ins Kino unseres Vertrauens zog, um den neuesten Film von Regie-Legende Martin Scorsese in der Vorpremiere zu erleben: Shutter Island. Für 2 Stunden verloren wir uns gemeinsam mit den Charakteren in der geheimnisvollen Welt von Shutter Island und tauchten mit ihnen immer tiefer in die Geheimnisse des Ashecliffe Hospitals ein.

Im Zentrum der Handlung von Shutter Island stehen die beiden U.S.-Marshals Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) und Chuck Aule (Mark Ruffalo), die in einer psychiatrischen Klinik, welche auf dem Titel gebenden Eiland befindet, einen neuen Fall aufklären sollen. Unseren beiden Protagonisten wird jedoch schnell bewusst, dass irgendetwas an diesem Ort nicht mit rechten Dingen zugeht. Da ein aufziehender Hurrikan eine Rückkehr zum Festland unmöglich macht, beginnen Teddy und Chuck mit ihren Nachforschungen. Bereits nach kurzer Zeit wird ihnen klar, dass die Klinik ein Geheimnis birgt, denn es scheint so, als seien hier verbotene Experimente an den Insassen der Einrichtung durchgeführt worden. Darüber hinaus beginnt Teddy allmählich, sich zu verändern, denn er wird von Erinnerungsfetzen seiner eigenen traumatischen Vergangenheit heimgesucht.

Für die Adaption des gleichnamigen Romans versammelte Regie-Legende Martin Scorsese ein hochklassiges Ensemble vor der Kamera, dem neben unseren beiden oben bereits erwähnten Hauptdarstellern ebenfalls Oscar-Gewinner Ben Kingsley angehört. Der Psycho-/Noir-Thriller ist dabei bereits die vierte Zusammenarbeit des Duos Scorsese-DiCaprio. Seine Schauspieler trieb unser heutiges Geburtstagskind dabei zu Höchstleistungen an und stimmte den Cast auf die Arbeiten an Shutter Island mit gemeinsamen Sichtungen der Klassiker Goldenes Gift von Jacques Tourneur sowie Alfred Hitchcocks Vertigo ein. Darüber hinaus machte er seinen Hauptdarstellern klar, dass Charaktere in Noir-Geschichten stets ihr Päckchen in Form von ungelösten Probleme oder verdrängten Traumata mit sich herumtragen. Die Figuren in solchen Filmen sind somit alles andere als perfekt, was besonders bei DiCaprios Teddy deutlich wird, der sich mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert sieht und dessen gesamte Identität im Angesicht der Angst, welche er auf Shutter Island durchleidet, ins Wanken gerät.

Scorsese gelingt es dabei meisterhaft, uns Zuschauern Teddys Angst greifbar, erfahrbar zu machen. Behilflich sind hierbei besonders die von ihm gewählten Perspektiven, die in ihrer Komposition an Kubrik und Hitchcock erinnern. Mit Shutter Island zollt Scorsese Genre-Klassikern Tribut und erschafft gleichsam ungemein spannende Bilder, die uns in ihren Bann schlagen. Der Schauplatz des Psychothrillers flößt den Charakteren und somit auch uns stets viel Angst ein, ist er doch mal beklemmend eng, mal schwindelerregend hoch. Hinzukommen die an die Küste der Insel peitschenden Naturgewalten, die unsere Protagonisten noch weiter in die Enge treiben. Mit Shutter Island gelang Martin Scorsese ein einvernehmendes Werk, das nicht nur gekonnt mit unseren Ängsten spielt, sondern uns ebenso in die Irre führt, denn wir wissen, ähnlich wie Teddy, nicht genau, was in der Anstalt wirklich geschieht; es gibt keinen zuverlässigen Erzähler, niemanden, dem wir wirklich vertrauen können und somit verbleiben wir, wie Teddy, am Ende fragend und suchend nach der Antwort zurück auf die Frage: Was genau ist passiert?


* * *

Im Rahmen des Schreibzusammenschlusses "Textgeschenke zum Geburtstag" sind bereits einige tolle Artikel zusammengekommen. Eine Übersicht läßt sich in einer Liste finden. - Neue Autoren und Mitschreiber sind natürlich immer gerne willkommen. Kontaktiere einfach Amarawish oder Stefan Ishii! Oder schaue in unsere Planungsliste!

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