1988 - Weihwasser & Kruzifix vs. Martin Scorsese

12.12.2011 - 08:50 Uhr
Die letzte Versuchung Christi sorgte 1988 für religiöse Proteste
Universal Pictures / moviepilot
Die letzte Versuchung Christi sorgte 1988 für religiöse Proteste
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Heute erinnern wir uns in unserer Filmgeschichtsrubrik Markante Momente an das Jahr 1988. Damals reagierten viele Gläubige mit Protesten auf den Film Die letzte Versuchung Christi von Martin Scorsese.

„Das ist ohne Frage der blasphemischste, der respektloseste, der satanischste Film, der je gedreht wurde. Ich glaube fest, dass wenn dieser Film in die Kinos kommt, der Staat Kalifornien in den Ozean fallen wird.“, erzürnte sich Mutter Angelica während eines Interviews auf ihrem eigens gegründeten TV-Sender Eternal World Television Network. Die Nonne vom Orden der Armen Klarissen der ewigen Anbetung meinte diese Annahme bitterernst und sprach damit nicht einmal nur für sich selbst.

Im Sommer 1988 standen plötzlich mit hoch erhobenen Plakaten riesige Menschenmengen vor den Toren der Paramount Studios und vor Kinosälen im ganzen Land. Fernsehsender berichteten regelmäßig von den Tumulten und ein vormals beliebter Regisseur brauchte plötzlich Bodyguards. Und das alles wegen eines Films, der Themen behandelte, die für viele Menschen seit jeher existenziell sind: Die letzte Versuchung Christi.

Jesus Christus als Familienvater
Während der Siebziger Jahre war Martin Scorsese als Regisseur von New York-Filmen wie Hexenkessel oder Taxi Driver bekannt geworden und wollte nun unbedingt den Roman von Nikos Kazantzakis verfilmen. Fünf Jahre lang musste er darum kämpfen und durfte nach einigen Rückschlägen mit dem Dreh beginnen. Unter der Auflage, danach einen kommerziellen Film zu verwirklichen, der später mit Kap der Angst folgen sollte. Doch vorher musste sich der Regisseur noch einige Anschuldigungen gefallen lassen.

In Die letzte Versuchung Christi zeigte Martin Scorsese Jesus (Willem Dafoe) in erster Linie als Menschen aus Fleisch und Blut, der Bedürfnisse und Träume genauso kennt wie Zweifel an sich selbst und seinem Auftrag. Im Film steigt er vom Kreuz und führt ein Leben mit der vormals verschmähten Maria Magdalena (Barbara Hershey), zeugt Kinder und wird zu einem zufriedenen alten Mann bis er auf dem Sterbebett von seinen Jüngern an seine eigentliche Mission erinnert wird und sich das normale Leben als Vision entpuppt.

Menschlich oder Göttlich?
Ein globales, erfolgversprechendes Sujet, könnte der Unbedarfte denken. Dieser hat jedoch die Rechnung ohne die Katholiken gemacht. Mittlerweile steht das Werk auf Platz 6 der Liste der 25 kontroversesten Filme aller Zeiten der Entertainment Weekly. In der Tat berührt Die letzte Versuchung Christi eine Frage, die so alt ist wie das Christentum selbst: ist Jesus Christus, der Gottessohn, Heilsbringer, Erlöser, Messias nun ein Mensch oder ein Gott? Oder vielleicht doch Beides?

Während die frontale Darstellung von Nacktheit im Film in der ganzen Welt für Aufregung sorgte, protestierten die Menschen ganz besonders in den USA dagegen, Jesus als einen fehlbaren Zweifelnden von seiner menschlichen Seite zu zeigen, der auch noch – Sodom und Gomorrha – der schnöden Fleischeslust nachgab. Während sich also auf den Straßen der Protest formierte, gab der geächtete Martin Scorsese ein Interview nach dem anderen. Er sah seine Darstellung natürlich in einem ganz anderen Licht: „Die letzte Versuchung Christi ist nicht die Sexualität, es ist auch keine Macht, es ist das Leben eines ganz normalen Menschen. Sexualität ist ein Teil dieses Geschenks. Und ich glaube, das ist es wohl, was viele fundamentalistische Gruppen stört.“

„Sturm im Weihwasserglas“ titelte der Spiegel
Doch trotz der nüchternen Argumentation – gewalttätige Proteste häuften sich, auf ein französisches Kino wurde ein Brandanschlag verübt und in Chile wurde der Streifen gleich ganz verboten. Auch in Deutschland gingen zahlreiche Beschwerden bei der Deutschen Film- und Medienbewertung ein. Die absurde Besonderheit: ein Großteil der Kritik kam bereits vor dem Kinostart, da kirchliche Blätter schon vorab zum Protest gegen den Film aufriefen. Dabei konnte dem Regisseur nicht einmal vorgeworfen werden, für das Thema keinen Sinn zu haben. Martin Scorsese, der einige Zeit lang selbst Priester werden wollte, hatte seinen Darstellern sogar das Rauchen am Set verboten um sensible Paparazzifotos zu vermeiden.

All der Ärger um Die letzte Versuchung Christi hielt jedoch diverse Filmemacher nicht davon ab, später ähnliche Themenkomplexe aufzugreifen. So zeigte Mel Gibson in Die Passion Christi ausführliche Folterszenen und Ron Howard spekulierte in der Romanverfilmung The Da Vinci Code – Sakrileg über die Anwesenheit Maria Magdalenas auf Leonardo Da Vincis Letztem Abendmahl.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1988 bewegte:
Drei Filmleute, die geboren sind
07. Juni 1988 – Michael Cera, der junge Vater aus Juno
24. August 1988 – Rupert Grint, der rothaarige Ron aus Harry Potter und der Feuerkelch
14. Dezember 1988 – Vanessa Hudgens, die schöne Gabriella aus High School Musical

Drei Filmleute, die gestorben sind
07. Januar 1988 – Trevor Howard, Major Calloway aus Der dritte Mann
05. September 1988 – Gert Fröbe, der Firmenbesitzer aus Die Dreigroschenoper
27. Dezember 1988 – Hal Ashby, Regisseur von Harold and Maude

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Der letzte Kaiser von Bernardo Bertolucci (Bester Film, Beste Regie)
Goldener Bär – Das rote Kornfeld von Yimou Zhang
Deutscher Filmpreis – Der Himmel über Berlin von Wim Wenders

Drei wichtige Ereignisse des deutschen Films
28. Januar 1988 – Kinostart von Geierwally von Walter Bockmayer
10. März 1988 – Ödipussi von Vicco von Bülow hat gleichzeitig Uraufführung in Ost- und Westberlin
26. November 1988 – Erstmalige Vergabe der Europäischen Filmpreise in Berlin

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
27. Februar 1988 – Pogrom in der aserbaidschanischen Stadt Sumqayıt an Armeniern
15. Mai 1988 – die UdSSR beginnt mit dem Rückzug aus Afghanistan
21. Dezember 1988 – eine Boeing 747 stürzt in Folge eines Terroranschlags über Lockerbie ab

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