Resolute Rentner erobern unsere Kinos

08.10.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Sieht so euer Opa aus? Liam Neeson in Taken 2
Universum Film
Sieht so euer Opa aus? Liam Neeson in Taken 2
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Es gibt sie, die Kinogänger über 50, die aus einem kleinen Film einen großen Hit machen. Nur sehnen sie sich nicht nach den Action-Opas aus Taken 2 oder Expendables 2 . Spätestens seit letztem Sommer dürfte diese Erkenntnis zu den Studios durchsickern.

Wir können uns über vieles an Hollywood-Filmen aufregen, aber nicht dass es an alten Männern mangelt. Dieses Wochenende hat Liam Neeson (60) mit 96 Hours – Taken 2 im Alleingang die amerikanischen Kino-Charts pulverisiert. Die Rentner-Recken aus The Expendables 2 hatten es ihm vorgemacht und erst vor wenigen Tagen kündigte sich mit dem Trailer für Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben die Rückkehr des auch nicht mehr so jungen Bruce Willis in seiner Paraderolle als John McClane an. Mehr oder weniger muskelbepackte Männer über 50 sind zumindest im Kino so beliebt wie selten. Dabei werden ihre Eintritt zahlenden Altersgenossen als Zielgruppe völlig unterschätzt. Das könnte der Erfolg von Best Exotic Marigold Hotel und Wie beim ersten Mal bald ändern.

In Indien sind die Rentner los
Im Sommer diesen Jahres tummelten sich wieder einmal die Blockbuster und jagten Einspielrekorden hinterher. Die Zuschauer bekamen von den kostümierten Männern und Frauen nicht genug, so dass sich Marvel’s The Avengers, The Dark Knight Rises und The Amazing Spider-Man die Klinke in die Hand gaben. Die Zuschauer bilden jedoch nicht die ganze Wahrheit. Im Schatten der Big Budget-Produktionen machte es sich ein Film ganz besonders gemütlich: Best Exotic Marigold Hotel . In den USA startete der filmische Rentner-Ausflug nach Indien am selben Tag wie Marvel’s Avengers, allerdings in einem Bruchteil der Kinos. Der Höhepunkt von Marvel’s Phase I landete in über 4000 Kinos und sammelte auf heimischem Boden über 600 Millionen Dollar ein. Die exotische Dramödie mit Judi Dench, Maggie Smith, Tom Wilkinson und Bill Nighy startete in 27 Kinos. Im Verlauf seiner langen Spielzeit wurde Best Exotic Marigold Hotel in den USA auf 1233 Spielstätten ausgeweitet. Der Film schaffte es währenddessen nie in die Top 5 der amerikanischen Kino-Charts. Die Avengers für die 50+ Zielgruppe kamen trotzdem auf ein Einspielergebnis von 46 Millionen Dollar in den USA, 134 Millionen weltweit. Anders als bei Marvels Scooby Gang betrug das Budget jedoch nicht 220 Millionen Dollar, sondern knackige 10.

Best Exotic Marigold Hotel mauserte sich trotz des zungenbrechenden Titels zu einer der Erfolgsgeschichten dieses Sommers und das weil der Verleih Fox Searchlight seinen Streifen zu Beginn der Blockbuster-Saison als Gegenprogramm positionierte. Ein counter programming bot der Streifen für eine Zielgruppe, die im toten Winkel von Hollywoods Marketingmaschinerie liegt. Mit erwachsenen Zuschauern können die Studios seit Beginn der Teenie-zentrierten Blockbuster-Ära nicht recht umgehen oder sie versagen schlicht den Dienst. Prekärer fällt die Lage allerdings bei den Baby Boomern und deren Eltern aus. Der Generation 50+ hing bisher das Klischee der Kinomüdigkeit an. Am ersten Wochenende rennt diese Altersgruppe ganz sicher nicht zum Ticketschalter und ihr Popcorn-Konsum hält sich ebenfalls in Grenzen (NY Times). Mit Explosionen und jungen Menschen in lächerlichen Kostümen wird sie nicht vom Sofa gelockt, also warum es im sogenannten specialty-Segment überhaupt versuchen? Das scheint die Logik der Studiobosse zu sein. Dabei können Mundzumundpropaganda und die entsprechenden Stars in diesem Bereich Wunder wirken. Jack Nicholson etwa bewies dies in Ansätzen bereits in den 90ern (Besser geht’s nicht), später in der Erwachsenen-RomCom Was das Herz begehrt und schließlich gemeinsam mit Morgan Freeman in Das Beste kommt zum Schluss. Letztes Jahr entwickelte sich der Oscar-Abräumer The King’s Speech – Die Rede des Königs nicht zuletzt deswegen zum langlebigen Hit, weil er eine marginalisierte, aber zahlungskräftige ältere Zuschauerschaft in die Lichtspielhäuser lockte. Anders gesagt: Eure Oma wird sich über eine DVD des Films sehr freuen. Ich spreche da aus Erfahrung.

Veteranen vor und auf der Leinwand
Oft genug haben wir es bei diesen Erfolgsgeschichten mit Ausreißern zu tun. Best Exotic Marigold Hotel könnte allerdings einige studio heads wachrütteln. Er ist nämlich nicht allein. Vor ein paar Tagen startete Wie beim ersten Mal mit Meryl Streep und Tommy Lee Jones in den deutschen Kinos und lockte am ersten Wochenende 100.000 Zuschauer vor die Leinwände der Republik, die ganz sicher nicht im Visier des Schutzengel -Marketings standen. In den USA lief der Streifen über die sexuellen Turbulenzen eines älteren Ehepaars am selben Wochenende wie Das Bourne Vermächtnis und Die Qual der Wahl an. Bislang hat er dort 62 Millionen eingespielt. Die 100er-Marke dürfte weltweit in ein paar Wochen gebrochen sein. Seit ein paar Tagen schleicht sich zudem der 74-jährige Frank Langella in der Indie-Dramödie Robot and Frank – Zwei diebische Komplizen durch ausgewählte amerikanische Kinos und sammelt bedächtig, aber stetig das Geld seiner Altersgenossen ein.

Die Sylvester Stallones und Arnold Schwarzeneggers dieser Welt feiern mitsamt ihrer zur Karikatur verkommenen Actionkollegen einen zweifelhaften Karrierefrühling, der auf eine nostalgische Verklärung und mangelnde jugendliche Konkurrenz baut. Die unterhaltsame Ironie eines Films wie The Expendables 2 oder 96 Hours – Taken 2 besteht darin, dass alle Beteiligten nicht nur zu alt für diesen Scheiß sind, sondern sich völlig konträr zu unseren allgemeinen Vorstellungen vom Alter verhalten. Best Exotic Marigold Hotel, Wie beim ersten Mal und auch Robot & Frank füllen nun eine rentable Lücke. Sie kommen ebenso mit altgedienten Stars daher. Im Gegensatz zu den schießwütigen Kollegen blicken ihre Figuren, wenn auch nicht immer freiwillig, dem Herbst ihres Lebens mit erhobenem Haupt entgegen. Die zahlende Kundschaft, die sich hier endlich wiederentdecken darf, dankt es.

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