Politik & Tätschelei - Alles wie immer beim Oscar

23.02.2015 - 10:30 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Boyhood, Grand Budapest Hotel, Still Alice, Die Entdeckung der Unendlichkeit, Birdman
AMPAS, Universal, Polyband, Fox,
Boyhood, Grand Budapest Hotel, Still Alice, Die Entdeckung der Unendlichkeit, Birdman
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Auch Neil Patrick Harris ist nur so stark wie seine Autoren, was die Oscars 2015 in aller Genüge zur Schau stellten.

Viermal hat Neil Patrick Harris die Tony Awards moderiert, zweimal die Emmys. Neil Patrick Harris ist ein Profi, der bei seinen besten Auftritten Professionalität in Lässigkeit und Lässigkeit in Natürlichkeit verwandelt. Der geborene Showman, wie ihn die Oscars zuletzt bei ihrer unterhaltsamsten Inkarnation am 22. Februar 2009 in Gestalt von Hugh Jackman zu bieten hatten. Bei seinem ersten Auftritt als Oscar-Moderator vergangene Nacht wirkte Harris überspannt, schien er in seiner Professionalität stets darum bemüht, die Oberhand zu gewinnen über ein nicht zu rettendes Drehbuch. Abgespeist mit furchtbaren Wortspielen und einem Running Gag, den selbst Bob Hope als altbacken zurückgewiesen hätte, blieb nichts weiter übrig, als den Unterhaltungswert in den Preisen zu suchen.

Wer nun darauf gehofft hatte, ein spannendes Rennen zwischen Birdman und Boyhood zu erleben, der wurde enttäuscht. 4 zu 1 lautete das Endergebnis, das weitgehend den Entscheidungen der Berufsverbände von Regisseuren, Produzenten, Schauspielern und Kameramännern folgte. Richard Linklaters 12-Jahres-Projekt musste sich mit dem Oscar für die Beste Nebendarstellerin (Patricia Arquette) begnügen, wohingegen Alejandro González Iñárritu als Regisseur, Produzent und Autor gleich drei Oscars an einem Abend gewann, der vierte ging im zweiten Jahr in Folge an Birdman-Kameramann Emmanuel Lubezki. Auf dem Papier verblüfft allenfalls die Anzahl der Oscars für Whiplash (3) und einer der vier Grand Budapest Hotel-Preise (Beste Musik: Alexandre Desplat), während der Gewinner des Besten Animationsfilms sowieso niemanden so richtig interessierte, weil Die Legende der Prinzessin Kaguya nie eine Chance und The Lego Movie keine Nominierung hatte (es wurde Disneys Baymax - Riesiges Robowabohu). Aber befriedigten die Oscars je auf dem Papier? Womöglich jene Autoren, die den amerikanischen Film in irgendeiner der vielen Krisen verorten, zum fünften Mal in Folge gewann schließlich ein Regisseur, der nicht aus den USA stammt.

Mehr: Das sind die Oscar-Preisträger 2015

Neil Patrick Harris wurde von seinen Autoren vielleicht im Stich gelassen und selbst seine Auftakt-Musiknummer wirkte unverhältnismäßig statisch und miserabel inszeniert, sobald Jack Black und Anna Kendrick sich die Bühne mit dem Host teilten. Doch die geladenen Gäste verwandelten den Oscar 2015 in ein erinnerungswürdiges Ereignis, ganz ohne Pizza im Publikum und Millionen-Selfie mit Bradley Cooper. Die verdiente und im Grunde konkurrenzlose Gewinnerin Julianne Moore gab die beste Begründung, sich nach einem Oscar zu sehnen: fünf Jahre mehr in der Lebenserwartung. Es gab Reden, die ihre eigenen Filme übertrumpften. Graham Moore zum Beispiel gewann den Drehbuchoscar für das Alan Turing-Biopic The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben und setzte zum emotionalen Plädoyer an: "Als ich 16 war, habe ich versucht mich umzubringen. [...] [Dieser Preis] ist für das Kind da draußen, das sich seltsam fühlt oder anders - bleib seltsam, bleib anders als die anderen." J.K. Simmons, dessen Rede in Deutschland einer Bildstörung zum Opfer fiel, rief alle Zuschauer auf, sich bei ihren Eltern zu melden: nicht per E-Mail, nicht per SMS, per Telefon! Was schrecklich kitschig klingt, aber nicht, wenn es J.K. Simmons sagt, der gerade einen Oscar in der Hand hält. Laura Poitras würdigte bei der Entgegennahme ihres Preises für den Besten Dokumentarfilm (Citizenfour) Edward Snowden und alle Whistleblower. Patricia Arquette wähnte sich gar auf einer Demo für gleiche Rechte und Bezahlung von Frauen. Es war fraglos einer der Höhepunkte der Verleihung, weil ihr Aufruf aus tiefstem Herzen zu kommen schien, ein Quell, aus dem diese Oscar-Verleihung zu selten schöpfte. Selma, am Ende des Tages mit ebenso vielen Oscars wie Boyhood versehen, drückte der Verleihung seinen Stempel auf. Standing Ovations gab für den Besten Song von Common und John Legend. Der eine verwies in der Dankesrede auf die Demokratieproteste in Hongkong und die zeitlose Botschaft Martin Luther Kings, der andere auf die beträchtliche Anzahl von inhaftierten Schwarzen in den USA im Jahr 2015.

Es waren nicht die "politischen Oscars", dafür verhallten die Botschaften zu oft ohne bemerkenswerte Reaktion im Auditorium, aber durchaus Oscars, die ausgerechnet dann fesselten, wenn sie politisch wurden. Dazwischen wartete Stoff für die üblichen Memes, etwa der tätschelnde John Travolta, der von Scarlett Johansson und Idina Menzel die Finger nicht lassen konnte. Der wird bis zum nächsten Jahr collage-mäßig durch den Pixel-Kakao gezogen, bis er wieder eingeladen wird, um sich zu entschuldigen und beiläufig ein neues Meme zu kreieren. John Travolta, der verkannte Social Media-Gott?

Dass bei alledem nun Birdman mit seinen vier Oscars als großer Sieger in die Geschichte eingeht, wird im Rückblick allerhöchstens Birdman schaden, nicht den "Verlierern" des Abends. So viele gab es davon sowieso nicht, immerhin gewann jeder der acht Beiträge in der Auswahl für den Besten Film mindestens einen Oscar. Nun steht das digitale One-Take-Wunder von Alejandro González Iñárritu in einer Linie mit The Artist, Argo und 12 Years a Slave, ein bisschen filmisches Aufatmen, ein selbstkritischer Klopfer auf die Academy-Schulter irgendwo zwischen dem bedeutungsschwangeren Formalismus Steve McQueens und der Showbiz-Hommage via Stummfilm-Gimmick. Wie sagte noch Michael Keaton auf der Bühne, bevor der Vorhang fiel: "Hey, es ist einfach schön hier zu sein. Ach, wem mach ich was vor? Es ist ein Riesenspaß!"

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