Mein erstes Mal ... mit einer Plansequenz

21.03.2011 - 09:02 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Mein erstes Mal ... mit einer Plansequenz
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Mein erstes Mal ... mit einer Plansequenz
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Zum zweiten Mal erinnern wir uns nun zurück an ganz besondere Filmerlebnisse. Heute liegt unser Augenmerk auf der Königskategorie der Inszenierung: Plansequenzen.

Plansequenzen gehören zu den am schwierigsten umzusetzenden und schönsten stilistischen Mitteln, die dem Filmemacher zur Verfügung stehen. Diese sehr langen Einstellungen, in der eine komplette Handlungseinheit des Films stattfindet, ohne durch Schnitte aufgebrochen zu werden, ermöglichen den Schauspielern weitaus mehr Raum zum Spielen. Aufgrund der meist mit einer langsamen, ausgeklügelten Kamerafahrt begleiteten Einstellung entsteht eine mit Schnitten nicht zu erreichende inszenatorische Ruhe und Tiefe. Außerdem wird dem Auge des Zuschauers weitaus mehr Freiheit zugestanden, was zu einer individuelleren Wahrnehmung führt. Mit dem richtigen Timing werden Plansequenzen zu kleinen Erlebnissen. Wir erinnern uns an unser erstes Mal…

Sebastian bekam große Augen im Club
Die erste meisterliche Plansequenz, an die ich mich bewusst erinnere und sie auch als solche wahr nahm, entspringt dem Mafiaepos GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia. Kameralegende Michael Ballhaus brachte uns nicht nur die berühmte 360-Grad-Ballhaus-Fahrt, ihm gelang in dem Film von Martin Scorsese auch eine beeindruckende, knapp 3-minütige Plansequenz. Als Ray Liotta als Mafioso Henry mit seiner Begleitung Karen durch den Hintereingang den Nachtclub Copacabana betritt, durch die Küche bis hin zum eilig aufgestellten Tisch für die beiden, dachte ich nur eines: Wow! Die haargenau getimte, meisterliche Einstellung gibt Karen eine Einführung in die mächtige Welt von Henry – und wir sind mittendrin und spüren dieses Gefühl genau so.

Oliver erinnert sich vor allem an Alfred Hitchcock
Noch ehe mich Robert Altman mit der minutenlangen Plansequenz zu Beginn von The Player begeisterte, hatte ich bereits Cocktail für eine Leiche von Alfred Hitchcock gesehen. Damals wusste ich allerdings noch nichts von Plansequenzen und dass es ungewöhnlich war, lange Szenen in einem einzigen Take zu drehen – geschweige denn von den Schwierigkeiten, die der Choreographie einer solchen Szene innewohnen. Und so konzentrierte ich mich als Kind völlig auf die Handlung und bemerkte kaum, dass der ganze Film nur aus fünf langen Takes bestand und erfuhr erst später, als ich dann begann, Filmbücher zu lesen, von der Besonderheit dieses Films.

Paul war begeistert von fernöstlicher Action
In meinen Augen gibt es mindestens zwei herausragende Arbeiten im bereich der Plansequenz:
Hard Boiled von John Woo aus dem Jahr 1992 beinhaltet die finale Schießerei in einem Krankenhaus. Yun-Fat Chow und sein Kollege stürmen in das Hospital und erledigen auf zwei Etagen die komplette Mannschaft des Waffenhändlers mit diversen Handfeuerwaffen und Granaten und legen ebenso noch Faust- und Trittkämpfe mit drauf. Dabei wurde die komplette 5-minütige Szene in einem Zug gedreht, musste aber insgesamt 4 Mal gedreht werden. Auf der deutschen DVD findet man nur eine geschnittene Version dieser Szene (welch eine Ironie, oder?), die soweit herunter gekürzt ist, dass es kein Augenschmaus mehr ist.
Eine zweite wirklich umwerfende Plansequenz findet sich am Anfang von Boogie Nights, inszeniert von Paul Thomas Anderson, in dem in ca. 4 Minuten ein Nachtclub und alle dazugehörigen Charaktere in einer einzelnen Einstellung eingeführt werden. Die Kamera bewegt sich aus einer Kranfahrt in eine Steadycam-Fahrt über, die von Außen in den Club hineinleitet und uns dort umher führt. Eine wirklich grandiose Inszenierung aller beteiligten Schauspieler und Filmemacher, die sich wirklich sehen lassen kann.

Hanna war fasziniert von Zerstörung und Chaos
Ich erinnere mich nicht genau daran, was die erste Plansequenz war, die ich bewusst gesehen habe, aber nur zu gut erinnere ich mich an an das erste Mal, dass eine Plansequenz mir den Atem raubte. Es handelte sich um eine Szene in Abbitte, als James McAvoy als britischer Soldat an den Strand von Dünkirchen gelangt und auf ein Meer von Soldaten, Zerstörung und Chaos trifft. Während mich der Film bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht richtig zu fesseln vermochte, starrte ich fassungslos auf die Leinwand, als die Kamera über den Strand glitt, vorbei an Pferden, Fahrzeugen und 1000 Komparsen, mal verweilte, mal weiterschwenkte, einen gesamten Männerchor umrundete und schließlich mit einem letzten Blick auf die gesamte Szenerie endete. Untermalt von dem zurecht mit dem Oscar ausgezeichneten Soundtrack von Dario Marianelli wirkte die fünfeinhalb minütige Plansequenz auf mich gleichzeitig bedrückend und wunderschön.

Orlindo begeht Rufmord
Wenn ihr es unbedingt wissen wollt, meine Plansequenz-Jungfräulichkeit ging auf Kosten des Spice Girls Musikvideo “Wannabe”. Jetzt ist es raus. Aber um zumindest so zu tun, als hätte ich auch was cineastisch Wertvolles beizutragen, füge ich noch meine letzte bewusste Plansequenz hinzu: In ihren Augen. Sie beginnt mit einem Kameraflug über ein Fußballstadion, in welchem ein Spiel ausgetragen wird – übrigens eine komplett digitale Szene – und taucht danach fließend in die Zuschauermenge unter, wo die beiden Hauptdarsteller bereits warten, sich eine beeindruckend gefilmte Verfolgungsjagd mit ihrem Verdächtigen zu liefern – von der digitalen Eröffnung mit dem Kameraflug abgesehen, ist die Szene ein nach klassischer Manier inszeniertes, bis ins letzte Detail durchchoreographiertes Meisterstück.

Welche Plansequenz blieb euch das erste Mal in Erinnerung?

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