2008 - Die Wiederentdeckung eines Meisterwerks

16.04.2012 - 08:50 UhrVor 13 Jahren aktualisiert
2008 wurde Metropolis in Buenos Aires wiederentdeckt
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2008 wurde Metropolis in Buenos Aires wiederentdeckt
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2008 ist doch noch gar nicht so lange her, werdet ihr jetzt vielleicht denken. Doch der in diesem Jahr wiederentdeckte Film spannt einen Bogen über fast das ganze vorangegangene Jahrhundert.

Was dem Einen Moloch und verwerflicher Sündenpfuhl, ist dem Anderen eines der faszinierendsten sozialen Gefüge der modernen Lebenswelt. Ob jedoch pro oder contra, in jedem Fall bieten Großstädte eine nahezu unwiderstehlich in den Bann ziehende Kulisse für Filme jedes erdenklichen Genres. Der Verschwörungsthriller in New York City, die Liebesgeschichte in Paris, die Teeniekomödie in Los Angeles oder der spannungsgeladene Actionstreifen quer durch Rio de Janeiro – immer spielt die Metropole eine Hauptrolle. Und wenn real existierende Städte den Regisseuren nicht ausreichen, werden eben Neue erfunden: Gotham City zum Beispiel, oder Naboo aus Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung. Oder eben Metropolis.

In der großen Stadt
Fritz Lang, der weltweit gefeierte Regisseur von Die Nibelungen: Siegfried, drehte 1927 einen der frühen Science-Fiction-Klassiker, der bis heute in jedem ernstzunehmenden Filmkanon auftaucht. In Metropolis lebt eine strikt in zwei Klassen unterteilte Gesellschaft, die sich erst bei drohender Zerstörung durch einen Maschinenmenschen gegenseitig annähert. Natürlich kommt auch dieser Film nicht ohne ein Liebespaar aus, das sich mit allerhand Klassenunterschieden, Verwechslungen und anderen Katastrophen herumschlagen muss.

Für sein rundum gigantisch anmutendes Projekt scheute Fritz Lang weder Kosten noch Risiken. Neue Techniken wie Mehrfachbelichtungen, übereinander kopierte Negative oder Stop-Motion beherrschte er aus dem FF, und auch die lange Produktionszeit hielt ihn nicht von seinem Perfektionismus ab. „Acht Tage Arbeit für zehn Sekunden Film“, bemerkte schnaufend sein Kameramann Günther Rittau, dem die ermüdende Aufgabe zufiel, für die Szenerie der Hauptverkehrsader um die 300 Modellautos nach jeder Einzelaufnahme um Millimeter vorwärtszuschieben.

Fritz Lang – unverstandenes Genie?
Von heute aus betrachtet, traf Metropolis genau den Ton der Zeit. Gebäude im Bauhaus-Stil, Orientierung an der boomenden Metropole New York und die Thematik ganz im Geiste der Epoche des Expressionismus erinnern an die Roaring Twenties, und das Auftauchen bislang unbekannter Erfindungen wie Roboter, Bildtelefone und Einschienenbahnen spricht für euphorische Begeisterungsstürme. Doch bei Publikum und Kritikern fiel der Film 1927 eiskalt durch. Die zweieinhalbstündige Fassung war den schon damals reizüberfluteten Zuschauern wohl einfach zu sperrig und der berühmte Kritiker Siegfried Kracauer verurteilte Metropolis gar als „protonationalsozialistisch“.

An dieser Stelle könnte die Geschichte von Metropolis zu Ende sein: ein technisch gut gemachter Film, Liebling heutiger Filmwissenschaftler, über die Jahre in Vergessenheit geraten. Doch nicht umsonst ist dieser Artikel mit der Jahreszahl 2008 überschrieben. Fritz Lang kürzte nämlich seinen gefloppten Film um eine gute halbe Stunde und vernichtete einen großen Teil seiner Originalversion. Seit 1961 versuchen Filmschaffende die als verschollen geltende, herkömmliche Fassung zu rekonstruieren. Und so beginnt ein Puzzlespiel, das sich über Jahrzehnte hinzieht.

Ein filmisches Puzzlespiel
Sowjetische Filmrollen wurden zuerst mit Fragmenten aus dem Prager Filmarchiv ergänzt, bevor 1971 in Ostberlin die kompletten deutschen Zwischentitel neu eingefügt werden konnten. Die originale Filmmusik konnte 2001 neu eingespielt werden und noch fehlende Stellen im Film wurden durch Kommentartexte und Standbilder überbrückt. Die UNESCO ließ es sich trotzdem nicht nehmen, Metropolis in der neuen Rekonstruktion als ersten Film überhaupt in das Weltdokumentenerbe aufzunehmen. Doch noch immer fehlte rund ein Viertel des Werkes.

Es war der Juli 2008, als sich schließlich eine Neuigkeit lawinenartig über die Filmwelt ergoss: eine 16-mm-Positivkopie! Die verloren geglaubte Original-Auslandsfassung hatte all die Jahre im Museo del Cine in Buenos Aires, Argentinien gelegen und konnte nun die Version von 2001 fast vollständig ergänzen.

Später Ruhm ist besser als gar kein Ruhm
Pünktlich zur 60. Berlinale feierte das neue, alte Metropolis im Berliner Friedrichstadtpalast mit Orchesterbegleitung, in der Frankfurter Alten Oper, als Liveübertragung auf Arte und als public viewing vor dem Brandenburger Tor seine Premiere, wo sich trotz Minusgraden eine beachtliche Zahl von Interessierten einfand.

Auch heutige Regisseure haben neben den analytischen Filmwissenschaftlern Metropolis nicht vergessen. Das Stadtdesign aus Metropolis inspirierte Ridley Scott beispielsweise zu Blade Runner, Tim Burton setzt in Batman eine berühmte Kampfszene des Films neu in Szene und Das fünfte Element zitiert die Erweckung des Maschinenmenschen. Noch fehlen restliche acht Minutender Originalversion dieses filmgeschichtlichen Meilensteins, doch wer weiß schon, in welchen Archiven dieser Welt noch Filmrollen vor sich hin schlummern, wartend auf ihre Neuentdeckung.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 2008 bewegte:

Sechs Filmleute, die gestorben sind
22. Januar 2008 – Heath Ledger, der großartige Joker aus The Dark Knight
02. Februar 2008 – Barry Morse, Bruno aus Asylum – Irrgarten des Schreckens
05. April 2008 – Charlton Heston, Zeitgenosse von Jesus in Ben Hur
26. Mai 2008 – Sydney Pollack, Regisseur von Jenseits von Afrika
26. September 2008 – Paul Newman, der Billardprofi aus Die Farbe des Geldes
13. Oktober 2008 – Guillaume Depardieu, französischer Schauspieler und Sohn von Gérard Depardieu

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – No Country for Old Men von Joel Coen und Ethan Coen (Bester Film, Regisseur)
Goldener Löwe – The Wrestler von Darren Aronofsky
Goldene Palme – Die Klasse von Laurent Cantet

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
The Dark Knight von Christopher Nolan
Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels von Steven Spielberg
Kung Fu Panda von Mark Osborne und John Stevenson

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
07.-16. August 2008 – in Georgien bricht Krieg im Konflikt um Südossetien aus
08.-24. August 2008 – in Peking finden die Olympischen Sommerspiele und diverse Proteste gegen die chinesische Tibet-Politik statt
15. Dezember 2008 – n/a wird zum ersten schwarzen Präsidenten der USA gewählt

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