Es lässt sich nicht leugnen: Der Start von Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht war von ebenso viel Angst wie Vorfreude begleitet. Was, wenn Amazons milliardenteures Fantasy-Epos sich am Ende als Reinfall entpuppen würde? Was, wenn es mehr den Hobbit-Filmen als der Herr der Ringe-Trilogie ähneln würde? Diese Sorge gehört nun der Vergangenheit an. Denn gekonnt zieht die Serie uns zurück nach Mittelerde.
Keine Sorge, die Herr der Ringe-Serie ist nicht wie ihre Trailer
Die Reise nach Mittelerde an sich ist noch lange keine Garantie für gelungene Fantasy-Unterhaltung. Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie lehrte uns, dass epische Fantasy nicht nur auf Bombast und Detail-Liebe, sondern auch auf eindringliche Figuren angewiesen war. Seine Hobbit-Filme vergaßen das und stellten Effekte über das "Fühlen" einer geliebten Welt. Entsprechend hoch war die Sorge, nachdem Amazons Serien-Trailern zwar viele Hochglanzbilder, aber kaum Charakter-Einblicke boten. Zum Glück ist die Serie nicht wie ihre Trailer.
Seht euch den Trailer zur Serie Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht an
Licht und Dunkel, Gut und Böse, liegen in Tolkiens Welt nah beieinander, was auch Amazons Serie als roten Faden aufgreift. Galadriel (Morfydd Clark) nimmt uns mit in eine Welt, die einen verheerenden Krieg hinter sich hat. Das Böse in Form des schrecklichen Gegners Morgoth wurde besiegt.
Die meisten Elben glauben, nun endlich Frieden zu haben. Nur Galadriel kann ihr Bauchgefühl nicht ignorieren, dass irgendwo noch ein Schatten lauert. Ein Schatten namens Sauron, der einst Morgoths schlimmster Diener war. Es ist eine Bedrohung, die sich in der Serie nur langsam zeigt, ihre düsteren Arme aber heimlich in alle Regionen und Völker von Mittelerde ausstreckt.
Der Einstieg der ersten zwei Folgen lässt sich Zeit und das ist auch gut so. Denn auf diese Weise bleibt Raum, um zugleich die vielen Kulturen und Hauptfiguren des neuen Mittelerdes (tausende Jahre vor Frodo Beutlin) behutsam neu zu entdecken: die Elben, die Hobbit-ähnlichen Harfüße, die menschlichen Südländer und die Zwerge.
Die Ringe der Macht: Die Kunst der großen und kleine Momente
Die Zeit zur Entfaltung sollte aber nicht als Nichtstun missverstanden werden: Es dauert nicht lange, bis Amazons Herr der Ringe-Serie die ersten (aber längst nicht letzten) epischen Momente auspackt. Visuell bestechend sorgt der Kampf gegen einen Eistroll oder die Flucht vor einem Seeungeheuer (über und unter Wasser) für eine ordentliche Portion Adrenalin-Ausschüttung. Doch Die Ringe der Macht versteht von Anfang an, dass Größe allein nicht alles ist.
Jeder kann sich Holzbalken nehmen und daraus vier Wände und ein Dach zimmern – fertig ist das Haus. Doch erst wer Schnörkel in die Stützbalken dieses Hauses schnitzt und es mit Leben füllt, kann es zu einem Heim mit echtem Charakter machen. Das tut die Herr der Ringe-Serie mit ihrem gelungenen Worldbuilding. Neuseelands atemberaubenden Landschaften und einer gigantischen unterirdischen Zwergen-Stadt stellt sie die Liebe zum Detail gegenüber. Seien das nun die filigrane Stickereien auf Kostümen, fremdländische Holz-Leitern mit versetzten Trittstufen, fantastisch-gruseliges Ork-Make-up oder beiläufige Gesten wie eine Schwert-Sprunghilfe beim Elben-Kampf.
Dass Die Ringe der Macht das richtige Maß an Herr der Ringe-Film-Hommage und Eigenständigkeit findet, ist ein Kunststück für sich. Saurons Rüstung, die Bauwerke in der Elben-Hauptstadt Lindon und Insekten-Kommunikation mögen an Peter Jacksons Mittelerde-Vision erinnern. Aber es gibt ebenso viele aufregende neue Facetten zu entdecken,
von Holzrüstungen bis zu Nomaden-Versteckspielen. Kenner:innen des Werks von J.R.R. Tolkien kommen außerdem mit kleinen Verweisen auf ihre Kosten. Doch Fan-Hintergrundwissen ist nie Pflicht, sondern vielmehr ein unauffälliger Schmuck im neuen Herr der Ringe-Haus.
Um ein Gefühl für eine Welt zu bekommen, braucht es jedoch mehr als nur tolle Kostüme, Sets, Action und Effekte. Es braucht glaubhafte Charaktere. Mittelerde ist nichts ohne die Liebe zu den Figuren. Und auch die hat Die Ringe der Macht. Zum Glück.
Mittelerdes Herz schlägt in der Brust der Charaktere
Wenn wir mit Aragorn, Frodo, Legolas und Eowyn nicht mitgefiebert hätten, wäre jede noch so gewaltige Schlacht in Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie umsonst gewesen. Das gleiche gilt auch für die Hauptfiguren der Serie Die Ringe der Macht. Trotz der Masse der 38 neuen Herr der Ringe-Stars gelingt es den Serienschöpfern John D. Payne und Patrick McKay, sie innerhalb kürzester Zeit mit echten Persönlichkeiten zu versehen.
Statt Mittelerde-Spielsteine, die nur die Serie im Kampf gegen Sauron voranbringen sollen, erblühen die Individuen durch Charakter-Momente vor unseren Augen zu Figuren mit Ecken und Kanten. Ein Beispiel: Wir lernen Elrond (Robert Aramayo) als Elben-Politiker in Lindon kennen. Er hat Karriere-technisch noch Luft nach oben, aber zugleich ein Selbstbewusstsein, das ihn genau dorthin bringen könnte. Sein Stolz schimmert durch, wenn er lautlos eine von ihm geschriebene Rede beim Vortrag des Hochkönigs mitspricht.
Dass Charaktere am besten durch ihre Beziehungen definiert werden, zeigt sich in Die Ringe der Macht an Elrond formvollendet: Als Herold von Elbenkönig Gil-galad (Benjamin Walker) passt ihm seine unerwartete "Versetzung" an die Seite des Elbenschmieds Celebrimbor (Charles Edwards) zunächst wenig, doch er macht das Beste daraus. Jenseits seiner Ambitionen zeigt seine Anteilnahme an Galadriels Zweifeln eine weichere Seite seines Charakters. Erst im Zusammenspiel mit seinem "alten Freund", dem Zwerg Prinz Durin (Owain Arthur), rastet Elrond in Folge 2 aber richtig ein: Er ist ein Elb mit Stärken und Schwächen. Wie es sich für eine facettenreiche Figur gehört.
An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Twitter Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung
Gleiches lässt sich am restlichen Mittelerde-Personal beobachten: Von der störrisch-traurigen Elben-Kriegerin Galadriel über das neugierige Harfuß-Mädchen Nori (Markella Kavenagh) bis zur menschlichen Heilerin Bronwyn (Nazanin Boniadi), die noch von der dunklen Vergangenheit ihrer Vorfahren belastet wird, erschafft Amazons Serie nach und nach Protagonisten, an die wir unser Herz hängen können. Dass ambivalente Figuren wie der vom Himmel gefallene Fremde (Daniel Weyman) oder der Floß-Reisende Halbrand (Charlie Vickers) noch in beide Seiten von Gut und Böse ausschlagen können, steigert wiederum die Rätsel-Freude.
Amazons Herr der Ringe-Serie trifft den richtigen Ton
Dass Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht als Serie auf 5 Staffeln angelegt und bis zum Ende durchgeplant ist, spüren wir schon in den ersten Folgen. Der enorme Tolkien-Unterbau ist da, ohne uns mit allzu vielen Informationen auf einmal zu überlasten. Da stört es nicht weiter, dass wir am Ende von Episode 2 noch nicht einmal alle Figuren kennengelernt haben (die Númenorer fehlen beispielsweise noch).
Amazons Fantasy-Serie ist wie ihr betörender Soundtrack * – episch, ohne reißerisch daherzukommen. Sie trifft den richtigen eigenen Tonfall, um sich von anderen ähnlichen Genre-Formaten (wie House of The Dragon oder The Witcher) abzuheben. Erinnerungen an die Hobbit-Trilogie können wir nach diesem starken neuen Herr der Ringe-Auftakt getrost in den Hinterkopf verbannen. Die Segel sind gebläht, die Reise ins Licht hat begonnen.
Dieser Serien-Check entstand auf der Grundlage der ersten zwei (von acht) Folgen der 1. Staffel von Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht. Die Amazon-Serie startet am Freitag, den 2. September 2022 bei Prime Video mit einer Doppelfolge und wird anschließend mit einer Episode pro Woche am Freitag gezeigt.
Podcast: Die Herr der Ringe-Serie muss Mittelerde retten
Am 2. September startet die teuerste Serie aller Zeiten bei Amazon Prime Video: Der Herr der Ringe - Die Ringe der Macht. Darin kehren wir erstmals seit Peter Jacksons Hobbit-Filmen zurück nach Mittelerde.
An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externe Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung
In dieser Episode diskutieren Jenny und Esther darüber, was die Serie erreichen muss, um die enttäuschenden Hobbit-Filme vergessen zu lassen. Sie klären aber auch ein paar wichtige Fragen zur Handlung, für alle, die nach den Trailern noch keinen Überblick haben.
*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links erhalten wir eine Provision.
Was erhofft ihr euch von Amazons neuer Herr der Ringe-Serie Die Ringe der Macht?