Bei sonnigem Wetter und perfekten Temperaturen in der unmittelbaren Nähe eines kilometerlangen Sandstrands fällt es manchmal schwer, vier- bis fünfmal täglich die steilen Marmorstufen in die Tiefen des C.I.D, dem größten der drei Standorte des Festivals des amerikanischen Films, hinabzusteigen. Fast 1500 Menschen finden in diesem gigantischen Auditorium einen Sitzplatz. Meistens lohnte sich der Trip in die Welten der großen Leinwand jedoch.
Während der
Festival-Woche verwandelt sich das kleine Nest Deauville in eine wahrhaftige
Kino-Metropole. Die gesamte Bevölkerung besteht aus Journalisten, Paparazzi,
Cineasten und zielstrebigen Autogrammjägern. Meine Woche begann mit einem
unangenehmen Augenkontakt mit Jessica Chastain und endete mit einem Blick auf Mick Jagger. Dazwischen hielt Will Ferrell eine Dankesrede auf Französisch
(Merci, merci beaucoup. Je m’appelle Will. Où est la gare?...) und stimmte mit dem
vollen Saal Sur le Pont D’Avignon an, Ray Liotta scherzte mit seiner Übersetzerin
(Your husband must hate you, because you remember everything!) und Pierce Brosnans Frisur saß wie immer perfekt. Das Highlight war jedoch eine Konferenz
mit dem legendären Regisseur John McTiernan, der das Publikum über fast zwei Stunden
durch Schlüsselszenen aus seinen Filmen führte und faszinierende Anekdoten zum
Besten gab. Er verriet zum Beispiel, dass der gesamte dritte Akt von Predator
an einem Abend neu geschrieben und am darauffolgenden Tag komplett gedreht
wurde, da Arnold Schwarzenegger nach Hause musste. Die Details zu seinen neuen Projekten bleiben allerdings geheim.
Preise für Whiplash und The Good Lie
Die Hauptattraktion waren allerdings die Filme selbst.
Die Qualität der Werke war dieses Jahr nicht herausragend, doch das Programm
bot einige tolle Entdeckungen. Der Wettbewerb war vielfältig, abwechslungsreich
und bot Filme aus einer Reihe von Genres. Der einzige erkennbare Trend war eine
Tendenz zu jungen Protagonisten. Mehr als die Hälfte der vierzehn Filme im
Wettbewerb beschäftigten sich mit den Problemen von Teenagern und jungen
Erwachsenen. Darunter auch der große Gewinner des Festivals, Whiplash, der
seiner Favoritenrolle gerecht wurde. Das Publikum feierte Regisseur Damien Chazelle und Star Miles Teller minutenlang mit der einzigen Standing Ovation
des Festivals. Der Publikumspreis war dem Musikfilm damit schon einmal sicher. Dazu
kam der, nicht unverdiente, große Preis der Jury. Es war die einfache, aber gerechtfertigte Entscheidung. Das Psychoduell zwischen einem
jungen Jazz-Drummer (Teller) und seinem ausfälligen Lehrer (J.K. Simmons in
seiner bisher besten Rolle) ist unglaublich intensiv und packend erzählt und wird seinem Titel (deutsche Übersetzung: Schleudertrauma) mehr als gerecht. Wer
hätte gedacht, dass Percussion so blutig sein kann? Bis zum deutschen Kinostart
am 19. Februar 2015 werdet ihr sicherlich noch einiges über diesen Film hören.
Bei der Wahl des Jury-Preises haben sich Präsident Constantin Costa-Gavras und seine Kollegen allerdings einen großen Aussetzer erlaubt. The Good Lie vom kanadischen Regisseur Philippe Falardeau (den ich wegen Monsieur Lazhar eigentlich mag) war für mich das schwächste Werk im gesamten Wettbewerb. Der Film über vier sudanesische Flüchtlinge, die nach Amerika kommen, kann sich nicht zwischen ernsthaftem Drama, unehrlicher Rührseligkeit und Komödie entscheiden und enttäuscht auf ganzer Linie. Die Geschichte wird aus der Position des Priviligierten erzählt und wir sollen über die Unbeholfenheit der Neuankömmlinge lachen, doch der Humor hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Die Schauspieler geben ihr Bestes, doch das Resultat ähnelt eher einem zweistündigen Spendenaufruf von Bono als einem Kinofilm.
Weitere
Auszeichnungen
Da lob ich mir
die jüngere Jury (darunter Harry-Potter-Star Clémence Poésy und Freddie Highmore), die den iranischen Vampir-Thriller A Girl Walks Home Alone at Night auszeichnete.
Der außergewöhnlichste Film im Wettbewerb spielt mit einer Vielzahl von Genres (Neo-Noir,
Exploitation, Spaghetti-Western, Horror) und besticht durch stechende Schwarz-Weiß-Bilder und einen bemerkenswerten Soundtrack. Der Debütfilm von Ana Lily Amirpour (der einzigen Frau im Wettbewerb) ist nicht perfekt und wird
nicht jedem Kinogänger gefallen, doch er ist tausendmal interessanter als The
Good Lie.
Der Preis der internationalen Kritik ging derweil an David Robert Mitchell für seinen Horror-Streifen It Follows. Der sehr unterhaltsame Film über eine Gruppe von Teenagern, die von einer rätselhaften (und langsamen) Kraft verfolgt werden, kombiniert die schaurige Atmosphäre der alten Werke von John Carpenter mit einem polierten, zeitlosen Look. Das Resultat ist einer der besten Horrorfilme des Jahres, den ihr euch in einem Kino mit einem guten Soundsystem ansehen solltet.
Ein Sonderpreis ging an den eher prätentiösen Things People Do mit einem sehr unsympathischen und unbeholfenen Wes Bentley in der Hauptrolle. Möglicherweise wurde mit dieser Auszeichnung die Ausdauer des Regisseurs Saar Klein belohnt, der die ganze Woche in Deauville verbrachte, sich alle Filme ansah und sämtliche Fragen der Festivalbesucher geduldig beantwortete.
Zwei meiner persönlichen Favoriten gingen derweil leider leer aus. Cold in July begeisterte durch seinen pechschwarzen Humor und den grandiosen Auftritt von Don Johnson in seiner Red Bitch, der offensichtlich einen Heidenspaß mit der Rolle hatte. Fans von texanischen Akzenten, dummen Gesichtsausdrücken und blutiger Rache kommen hier voll auf ihre Kosten. Komplett anders, aber ähnlich stark ist The Better Angels von A.J. Edwards. Der Regisseur hat sein Handwerk unter der Obhut von Terrence Malick (der hier produziert) gelernt und der Einfluss des Mentors ist deutlich erkennbar. Mit poetischer Einfühlsamkeit inszeniert er die jungen Jahre des Abraham Lincoln. Spirituelle Orgelmusik und Naturbilder sind ihm dabei wichtiger als die Handlung, doch die überwältigenden Emotionen ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Außerdem kann ich den bewegenden Liebesfilm Love is Strange empfehlen.
Dokus und
Premieren
Außerhalb des
offiziellen Wettbewerbs gab es mit der Ausnahme des langweiligen James Cameron’s Deepsea Challenge 3D nur sehenswertes zu sehen. Life Itself ist ein rührendes,
sentimentales Porträt des Filmkritikers Roger Ebert, bei dem mir die Tränen nur
so aus den Augen strömten. Fans des Journalisten und Autoren sollten unbedingt
die Augen für die Doku offen halten. Falls ihr euch eher für Sport und/oder den
Kalten Krieg interessiert, solltet ihr euch Red Army über die sowjetische
Eishockey-Mannschaft ansehen.
Bei den Premieren überraschten mich Chef, Land Ho! und Infinitely Polar Bear positiv mit ihrem Charme, doch mein Highlight war Camp X-Ray. Das Kammerspiel dürfte die letzten Zweifler vom schauspielerischen Talent der Kristen Stewart überzeugen, die hier als Gefängniswärterin in Guantanamo Bay dem Insassen Peyman Moaadi (Nader und Simin - Eine Trennung) die Stirn bietet. Ein sehr intelligentes Drehbuch, das mehr Fragen als Antworten liefert, und eine geschickte Inszenierung machen den Film von Peter Sattler zu einem gelungenen Regiedebüt. Den Namen dieses Filmemachers solltet ihr euch merken.
Ich hatte eine großartige Woche in der Normandie und in den kommenden Wochen und Monaten erwartet euch demnach eine Vielfalt von Filmen für jeden Geschmack. Viel Spaß im Kino!
Auf welchen der Deauville-Filme freut ihr euch am meisten?