Negan (Jeffrey Dean Morgan) wird das Ende dieser Staffel sicherlich nicht mehr erleben. Zu lange schon treibt er sein Unwesen in der Zombie-Apokalypse und versucht, Ricks (Andrew Lincoln) Gruppe in die Verdammnis zu treiben. Zuletzt sah es jedoch ganz so aus, als verliert er trotz eines weiteren, sadistischen Masterplans jeglichen Rückhalt in den eigenen Reihen - allen voran von seiner Nummer 1: Simon (Steven Ogg). Ausbleibende Ergebnisse treiben den vermeintlich loyalen Handlanger zunehmend in eine Ecke des Verrats und des Widerstands, sodass er zuletzt sogar die Scavengers in einem beiläufigen Massaker auslöschte, ohne dem "big guy" von seiner Eigeninitiative zu berichten. Zudem gehört seit letzter Woche Dwight (Austin Amelio) wieder in den Kreis der Saviors, obwohl sein Herz nach wie vor für das Alexandria-/Hilltop-Lager schlägt. Zweifelsohne könnte er derjenige sein, der Negans bröckelndes Imperium endgültig zum Einsturz bringt.
Genau mit diesem spannenden Figurendreieck beginnt The Key, die 12. Episode der 8. Staffel The Walking Dead. Erschreckend dicht traut sich die Kamera an die Gesichter der der prominentesten Saviors und fängt dabei in unangenehmen Close-ups die unterschiedlichsten Reaktionen ein. Auf der seinen Seite wäre da Negans unverschämtes Grinsen, das weiterhin von Wahnsinn und Überlegenheit kündet, obgleich es zuletzt regelmäßig als Pose der Selbstüberschätzung entlarvt wurde. Auf der anderen Seite warten skeptische bis ängstliche Blicke. Während sich Simon wieder (halbherzig) dem Kommando der unberechenbaren Bestie untergeordnet hat, spielt Dwight eine Maskerade nach der anderen durch, um auf keinen Fall den Anschein zu erwecken, nicht gänzlich ins Lager der Retter zurückgekehrt zu sein. Ein unangenehmes Verhör mit Negan lässt zwar Zweifel an der Überzeugungskraft seines Schauspiels aufkommen, vorerst brennt es allerdings woanders.
Negan hält weiterhin an seinem Vorhaben fest, sämtliches Kriegsgerät in den Innereien der röchelnden Untoten zu tränken, was Beißer-König Greg Nicotero in seiner Eigenschaft als Regisseur mehr als genüsslich zelebriert. Während die Effizienz von Negans neuer Taktik bisher pure Behauptung bleibt, erreicht die Ekelquote diese Woche ungeahnte Höhen - und Negan kann seinen Lucille-Fetisch ungeniert ausleben, wenn er die Liebe seines Lebens in einem Eimer voller Gedärme auf dem Beifahrersitz neben sich positioniert. Am liebsten würde er wohl seinen Arm um den mit Stacheldraht verzierten, schlussendlich aber doch etwas dürren Baseballschläger legen. Die gute Laune ist nur von kurzer Dauer, denn kaum hat sich die Kolonne der Saviors auf den Weg zur Hilltop Colony gemacht, überrascht Rick seinen größten Feind mit einem waghalsigen Manöver und rammt volle Kanne mit seinem Wagen in Negans Gefährt, als wollte er ihn direkt auf der Straße zermalmen.
Nach all den vorsichtigen, wohlüberlegten und vor allem mit seinen anderen Mitstreitern abgestimmten Entscheidungen zieht Rick eine törichte wie erlösende Ego-Nummer durch und jagt Negan wie ein "little pig" durch die Gegend. Nachdem sich der Wagen des Bösewichts erst einmal überschlagen hat, erfolgt die Verfolgung per pedes, bevor es im Dunkeln eines verlassenen, heruntergekommenen Hauses zum atemberaubenden Showdown kommt. Waren da eben noch berührende Momente anlässlich des Wiedersehens mit Judith in Hilltop und ein kurzer, aufrichtig gemurmelter Austausch mit Daryl (Norman Reedus), verwandelt sich Rick in der zweiten Hälfte dieser Episode in einen hemmungslosen Berserker, der getrieben von Hass und Zorn auf sein Gegenüber einschlägt, als wäre er von Dämonen besessen. Negan wiederum flüstert mit klagender wie verführender Stimme durch die düsteren Gänge dieses Höllentors, ehe er sich in den Schlund des staubigen Infernos fallen lässt.
In einem epischen Moment, der ebenso der letzten Staffel von Game of Thrones entnommen sein könnte, entfacht Rick die todbringende Lucille wie ein Flammenschwert, das die Finsternis durchbricht, und richtet den Prügelstock gegen seinen ursprünglichen Besitzer. Dazu schickt Rick eine Horde hungriger Zombies in den Ring, um die Sache noch spektakulärer zu gestalten. Ein phänomenaler Albtraum, der zwar im Detail lange nicht so perfekt inszeniert wurde, wie er es hätte sein können, trotzdem in seiner abgründigen Düsternis gekonnt die zentralen Motive dieses lang erwarteten Zweikampfs zusammenführt und auffächert, sodass wir uns ebenso in einem Staffelfinale befinden könnten - nicht zuletzt aufgrund des bitteren Wechsels zum Rest der Saviors, die gekonnt von Simon manipuliert werden. Noch bevor Negan den wahren Grund erkennt, warum ihm keiner seiner Männer den Rücken freihält, hat Simon in Dwight einen Verbündeten für seine heimliche Machtübernahme gefunden.
Im Dialog der beiden Putschisten passieren die spannendsten Dinge zwischen den Zeilen, sodass bis zu einem gewissen Punkt zwar Einigkeit herrscht, darüber hinaus jedoch auch viel Ungewissheit - vor allem bei Dwight, der sichtlich damit kämpft, das Unausgesprochene richtig zu deuten. Schlussendlich sieht er im Putsch aber die Möglichkeit, die Saviors von Hilltop wegzuführen, bevor er Zeuge von Simons wahren Absichten wird. In einem fiesen Schachzug entpuppt sich der Handlanger als aufstrebender Antagonist, der genauso grausam wie Negan ist, wenngleich sein Fokus nicht auf süßlich-verdorbenen Späßen liegt, sondern auf dem konsequenten Durchgreifen in einem unerbittlichen Konflikt auf Leben und Tod. In seinen Augen stellt Ricks Gruppe einen Fehler dar, der sofort ausgemerzt werden müsse, ehe noch größerer Schaden entsteht. Womöglich findet der Endkampf gar nicht gegen Negan, sondern gegen Simon, den Retter statt.
Als wären diese aufregenden und sehr schön durchgeführten Entwicklungen nicht genug, wartet The Key mit einer weiteren Überraschung auf, die völlig aus dem Nichts kommt und nicht nur bei Maggie (Lauren Cohan), Michonne (Danai Gurira) und Co. für verdutzte Gesichter sorgen dürfte. Bei einem Austausch präsentiert sich ihnen die geheimnisvolle Georgie (Jayne Atkinson), die - ausgehend von ihrem Auftreten bis hin zu ihrem Kleidungsstil - bisher offenbar wenig von dem unaussprechlichen Grauen der Zombie-Apokalypse mitgekriegt hat. Gegen eine Kiste Schallplatten ist sie gewillt, den "Key to the Future" zu überreichen. Dabei handelt es sich um eine Ansammlung menschlicher Errungenschaften aus dem Mittelalter - die Zukunft aus der Vergangenheit sozusagen. Ab jetzt werden Windmühlen und Aquädukte gebaut! Immerhin muss es etwas geben, das nach dem Kämpfen kommt, wie Michonne in Anlehnung an Carl (Chandler Riggs) anmerkt.
Oh, und was ist eigentlich aus Negan geworden, nachdem sich Rick einfach so aus dem Staub gemacht hat? Der hat nun den Beifahrersitz eingenommen, während Jadis (Pollyanna McIntosh) das Steuer fest in ihren Hände hält. Herrlich! Und vielleicht gar nicht so uninteressant hinsichtlich der bevorstehenden Konfrontation mit Simon, der sich inzwischen mehr Feinde als Rick gemacht hat.
Die 8. Staffel von The Walking Dead wird sonntags in den USA auf AMC ausgestrahlt und ist hierzulande einen Tag später auf FOX und über Sky Ticket zu sehen. Unsere Besprechungen der einzelnen Folgen gibt es auch als Live-Stream und Podcast .
Was bisher geschah:
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 1: Gnade über Zorn
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 2: Wir kommen, um zu töten
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 3: Monster ohne Gewissen
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 4: Der König der Toten
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 5: Negan im Beichtstuhl
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 6: Rick, der zu viel redet
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The Walking Dead - Staffel 8, Folge 7: Nackte Skulpturen
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The Walking Dead - Staffel 8, Folge 8: R.I.P.
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 9: Ein Melodram am Ende aller Tage
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 10: Müllberge der alten Weg
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The Walking Dead - Staffel 8, Folge 11: Die Toten aus dem Sumpf
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