Wenn wir über die Paddington-Filme reden, geht es oft um die gemütliche Atmosphäre, die liebenswerten Figuren und das clevere Bösewicht:innen-Casting. Wie eines von Wes Andersons Puppenhäusern lassen sich die ersten beiden Paddington-Filme aufklappen und zum Vorschein kommt eine detailreich gestaltete und mit vielen verspielten Elementen ausgestattete Welt, in der man sich nur wohlfühlen kann.
Paddington in Peru, der dritte Teil der Reihe, wagt sich aus dem verträumten Bilderbuch London heraus und geht in den dunkelsten Dschungel von Peru. Hier lauern Gefahren und Abenteuer – in ein Puppenhaus lässt sich das nicht mehr packen. Paddington wird von einem Schauplatz zum nächsten geschleudert und wandelt mehr denn je auf den Spuren von zwei Hollywood-Legenden: Buster Keaton und Charlie Chaplin.
Paddington in Peru ist ein Fest für alle, die sich nach Physical Comedy im Kino sehnen
Von Stromschnellen bis zu unheimlichen Ruinen, in denen wilde Tiere lauern: Um diesen Hindernisparcours zu meistern, hat sich Paddington einiges bei den Stummfilmikonen abgeschaut. Keaton und Chaplin stehen für eine brillante Kreuzung aus Action und Humor, die im heutigen Kino ausgestorben scheint. Selbst Stunt-Experte Tom Cruise konnte diese Physical Comedy in keinem Mission: Impossible-Film nachstellen.
Unter Physical Comedy versteht man den bewussten Einsatz von Mimik, Gestik und Körper als komödiantisches Element, oft im Zusammenspiel mit einem Gegenstand oder einer Situation, die eine Herausforderung darstellt und einen möglichen Kontrollverlust in sich birgt. Physical Comedy spielt direkt mit unseren Erwartungen und funktioniert – auch wenn Worte nicht verboten sind – vor allem auf visueller Ebene.
Perfekt für ein Medium, das in erster Linie über Bilder erzählt wird: Wenn Chaplin in Goldrausch versucht, ein Holzhaus auf einer Klippe in den Bergen zu balancieren, indem er von links nach rechts und dann rechts nach links rennt, ist das ein Paradebeispiel für Physcial Comedy. Auch Keaton, der in Der General verzweifelt einen Holzbalken nach dem anderen aus dem Weg einer fahrenden Dampflok schaffen will, gehört dazu.
An diesem Punkt können wir direkt den Bogen zu Paddington schlagen, denn Keaton und Chaplin gehören seit Beginn zur DNA der Reihe. Paddington tollpatschiges Auftreten ist im Grunde die digitale Antwort auf die teils halsbrecherischen, nicht selten aber auch mit optischen Täuschungen bewerkstelligten Stunts der Slapstick-Meister. Das actiongeladene Finale von Paddington 2 glänzt etwa mit Dampflokomotiven-Akrobatik.
Mehr Buster Keaton und Charlie Chaplin denn je: Paddington eifert seinen Vorbildern nach
Durch die Öffnung zum Abenteuerfilm verliert Paddington, die Filmreihe, zwar ein paar der wundervoll arrangierten Wes Anderson-Aufnahmen. Dafür offenbaren die aufwendigen Set-Pieces des dritten Teils deutlich mehr Möglichkeiten, um die Physical Comedy auf die Spitze zu treiben, mitunter sogar in direkter Anlehnung an die großen Vorbilder. Gerade Keaton taucht oft als filmische Referenz in Paddington in Peru auf.
Paddington als Chaos-Kapitän eines wankenden Schiffs könnte eine direkte Fortsetzung zu Keatons Kurzfilm Wasser hat keine Balken sein. Wenn später eine riesige Mauer auf ihn stürzt und er zufälligerweise genau da steht, wo jene Mauer ein Loch hat, ist das ein eindeutiger Verweis auf Steamboat Bill, jr., in dem eine Hausfassade auf Keaton kippt, der am Ende trotzdem erhobenen Hauptes aus einem Giebelfenster schaut.
Sogar die offensichtlichste Indiana Jones-Referenz – Paddington rennt vor einem riesigen Felsbrocken davon –, lässt sich auf ein Keaton-Werk zurückführen: In Buster Keaton, der Mann mit den 1000 Bräuten muss der Star gleich einer Armada losgelöster Felsbrocken entkommen, ganz zu schweigen von seinen, nun ja, 1000 Bräuten. Am verblüffendsten ist dabei, wie haptisch und echt sich das alles anfühlt.
Obwohl Paddington keine echte Person ist, die ihren Körper an einem Filmset verbiegen kann, sodass sich das zentrale Element der Physical Comedy unmittelbar vor der Kamera befindet, zündet jeder Gag. Sicherlich lassen sich mit Computern in der Postproduktion einige Wunder wirken, doch ein Blick ins gegenwärtige Blockbuster-Kino zeigt: Selten kommen dabei so greifbare, so packende Szenen heraus.
Was die Physical Comedy in den Paddington-Filmen darüber hinaus genial macht, ist ihre intuitive Wirkung. Jeder unscheinbare Moment hat Gewicht, erzählt eine kleine Geschichte und steht im Einklang mit dem Charakter der unterschiedlichen Figuren. Sofort ist man als Zuschauer:in involviert, sei es in einer lebensgefährlichen Situation oder einer amüsanten Pointe, die sich durch Bewegung in den Hintergrund schleicht.
Paddington in Peru zeigt, was das übrige Blockbuster-Kino fast komplett vergessen hat
Kein plumpes Spektakel, das kurz in den Film getragen wird und nach dem Szenenapplaus wieder verschwindet: Die Physical Comedy entsteht aus den Zügen der Figuren heraus, zum Beispiel aus Paddingtons Eifer. Im Grunde will er alles richtig machen, will vorbildlich und freundlich sein. In den meisten Fällen führt das aber zu einem Missverständnis, weil er als Bär keine Ahnung hat, welche Regeln in der Menschenwelt gelten.
Die vergnüglichsten Sequenzen sind die, die mit einer kleinen Beobachtung beginnen und sich bis zur kompletten Eskalation steigern. Bei der Flussfahrt in Teil 3 merkt Paddington, dass etwas an Bord nicht stimmt. Jeder Versuch, Herr der Lage zu werden, reitet ihn jedoch tiefer in die Patsche. Hilflos gefesselt an ein Steuerrad kullert er über das Deck, während das Boot unkontrolliert in alle Richtungen schwankt.
Dieses fein abgestimmte Spiel mit allem, was auf der Bildfläche passieren kann, ist sowohl Komödien als auch Action-Filmen verloren gegangen. Eine der wenigen Ausnahmen in jüngerer Vergangenheit war der Prolog von Wo die Lüge hinfällt, in dem sich Sydney Sweeney auf umständliche Weise unter dem Händetrockner verrenkt, nachdem sie den Wasserhahn versehentlich etwas zu enthusiastisch aufgedreht hat.
Tom Cruise entwirft derweil ein wuchtiges Action-Kino, das durch seine Raffinesse und Komplexität den Stunts von Keaton und Chaplin verbunden ist, sich aber selten für die gut gelaunte Verspieltheit und Leichtigkeit interessiert, die das adrenalingeladene Hin und Her auf der Leinwand gleichermaßen mühelos wie nervenaufreibend wirken lassen. Auch das Vermächtnis von Jackie Chan verblasst zunehmend.
Derbe Wortwitze und Brutalo-Action haben die Physical Comedy aus dem Kino verdrängt
Müssten die neueren Fast & Furious-Filme mit all ihrer Übertreibung nicht wie geschaffen für Physical Comedy sein? Überlegt mal, was das für einen Schwung in die inzwischen ermüdenden Materialschlachten bringen würde. Oder Deadpool & Wolverine mit seinem Meta-Ansatz? Warum speist sich der Humor hier hauptsächlich aus derben Dialogen, während sich die Action auf überstilisierte Gewaltausbrüche versteift?
Jim Carrey, der seinen Bösewicht Dr. Ivo Robotnik in den Sonic-Filmen in ein wahres Fest an Albernheiten verwandelt, bietet sich als Alternative an. An die Finesse der Paddingtons kommen die Verfilmungen der gleichnamigen Videospielvorlage allerdings nicht heran. Wir dürfen gespannt sein, was das Die nackte Kanone-Reboot mit Liam Neeson (und Sandra Hüller!) zu bieten hat, die uns Ende Juli im Kino erwartet.
Auf den ersten Blick wirkt Neeson wie der unpassendste Kandidat, um das Erbe von Leslie Nielsen anzutreten. Nicht zuletzt prägen grimmige Action-Thriller die letzten zwei Dekaden seiner Karriere. Von einem Johnny English oder einem Jacques Clouseau, der den rosaroten Panther jagt, könnte er kaum weiter entfernt sein. Aber vielleicht ergibt sich gerade aus dieser unwahrscheinlichen Kombination der Reiz.
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Vorerst hält Paddington, ein digitaler, aber sehr freundlicher Bär, die Fackel der Physical Comedy im Kino in die Höhe und beweist, wie unglaublich unterhaltsam es sein kann, wenn man bei Humor und Action im Film vor allem das Bild sprechen lässt, anstatt jeden Witz über Dialogstützen aus dem Drehbuch herzuleiten. Selbst beim Vorbeigehen kann man da hängenbleiben, weil sich die Magie schlicht aus Bewegung ergibt.
Paddington in Peru läuft seit dem 30. Januar 2025 in den deutschen Kinos.