Nach eineinhalb Stunden Laufzeit sieht Hugh Jackman in Logan - The Wolverine aus, als hätte man einen Klumpen blutiges Hackfleisch in Menschenform gepresst. Auf seine alten Tage wird der krallenbewehrte Mutant in seinem vorerst letzten Abenteuer nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. Gleich zu Beginn wird auf ihn eingetreten, Kugeln durchbohren Logans Körper, Klauen zerreißen sein Fleisch und zu allem Überfluss boxt ihm ein kleines Gör ins Gesicht. Körperliche Qualen sind diesem Einzelgänger unter den Mutanten jedoch in die Wiege gelegt, spätestens seit das Weapon-X-Programm ihm ein Adamantium-Skelett verpasste. In Logan steht Hugh Jackmans Wolverine nun vor seiner bislang größten Herausforderung, seinem eigenen Körper. Er ist ein alter Mann, die Selbstheilungskräfte stocken, sein Mentor Charles Xavier (Patrick Stewart) braucht keinen Wolverine, sondern ein Pflegeheim. Die Mutanten in den USA wurden vom staubigen Boden gefegt. Darauf baut James Mangold mit seinen Autoren eine Hetzjagd auf, die den geborenen Jäger in die Defensive zwingt. Logan - The Wolverine braucht eine kleine Ewigkeit, um in Fahrt zu kommen. Er steckt voller fallengelassener Plotideen, diversen dummen Entscheidungen und halbgaren Referenzen an die politische Zeitgeschichte. Jackmans letzter Einsatz ist aber auch ein würdiger Abschluss seiner Amtszeit als erster und standhaftester Star, der im Superhelden-Boom geboren wurde. Mangold hat einen erwachsenen Wolverine-Film gedreht, erwachsen jedenfalls im besten Sinne des Wortes.
Logan spielt bekanntlich im Jahr 2029, in dieser Zukunft liegt unsere Gegenwart noch in Sichtweite. Der Ex-X-Man verdingt sich als Limousinen-Fahrer, kurvt mit Junggesellenpartys und besoffenen "USA-USA-USA"-Schreihälsen durchs Grenzland von Mexiko und den Staaten. Aus dem Radio tönen Verschwörungstheorien, die Alex Jones geschrieben haben könnte (sofern Jones seine Rants vorschreibt). Einzelheiten erscheinen unter einer futuristischen Lupe. LKWs rasen fahrerlos über Highways und auf Feldern sammeln riesige Maschinen die Ernte ein. Wolverine: Weg des Kriegers-Macher James Mangold und Kollegen stilisieren das gar nicht mal als Blade Runner-artige Dystopie. Konzerne, die genetisch manipulierten Mais herstellen und Menschen weiterentwickeln wollen, werben von TV und Plakaten. Doch scheint die Zukunft in der Welt von Logan schleichend angekommen zu sein. Die Regierung, Kernbestandteil der X-Men-Welt aus X-Men - Der Film, glänzt mit Abwesenheit. Gesetze über den Umgang mit Mutanten wären in diesem hochgezüchteten Kapitalismus nichts weiter als Flausen aus idealistischer Vergangenheit. Die Filmwelt, die Wolverine vor 17 Jahren betrat, ist dagegen ein Ponyhof.
Mutantengesetze braucht es sowieso nicht mehr. Die wenigen überlebenden Vertreter haben sich versteckt, so wie Logan, der mit dem sonnenscheuen Caliban (Stephen Merchant) einen an gefährlichen Anfällen leidenden Charles Xavier (Patrick Stewart) betreut. Als Logan den Auftrag annimmt, die kleine Laura (Dafne Keen) und ihre vermeintliche Mutter über die Grenze nach Kanada zu schaffen, beginnt ein Road Trip gen Norden durch die Weiten der USA. Ein paar nichtssagende Bösewichte (Boyd Holbrook und Richard E. Grant) haben es auf das Mädchen abgesehen. Es ist Experimenten entsprungen und zwar mit zwei süßen, kleinen tödlichen Klauen an jeder Hand. Da sehnt man sich nach den Tagen, als Brian Cox' William Stryker in X-Men 2 zu Wolverines dunkler Vaterfigur und einem einprägsamen Schurken aufstieg. Die Antagonisten liegen Bryan Singers X-Men-Reihe eindeutig besser als der durchwachsenen Wolverine-Trilogie, welche Deadpool verstummen ließ und den Silver Samurai per CGI abstumpfte.
Endlich steht etwas auf dem Spiel in einem Marvel-Film!
In Logans tiefen Wunden spiegelt sich allerdings die Gefahr wider, der es zu entkommen gilt. Das zermürbende Alter prägt Jackmans beste schauspielerische Leistung im Superheldengenre. Er humpelt und krümmt sich durch das Bild, da hat die eigentliche Action noch gar nicht angefangen. Und überhaupt: Endlich steht etwas auf dem Spiel in einem Marvel-Film! Über die höhere Altersfreigabe von Logan - The Wolverine wurde im Vorfeld Aufhebens gemacht. Tatsächlich ähneln die routiniert inszenierten und bodenständig choreografierten Actionszenen dem Treiben eines deregulierten Schlachthofs. Hugh Jackman jagt Logans Krallen durch Brustkörbe, Hälse und Köpfe, manchmal beim selben Gegner. Dabei laufen die Autoren Gefahr, die vielen Sünden, die an Logans Gewissen nagen, zu unterwandern. Warum sich schlecht fühlen für all die Toten, wenn der Film sich so genüsslich dem Gemetzel ergibt? Wolverines Selbstheilungskräfte sind Segen und Fluch. Erst sie ermöglichten die Weiterzüchtung zur Tötungsmaschine und das viele körperliche Leid in seinem zu langen Leben. Diese Marter erscheint im Endeffekt als überzeugenderer Katalysator seiner Läuterung als die gesichtslosen Henchmen, die er auch in seinem aktuellen Abenteuer erlegt.
Indem die Autoren bereit sind, Opfer zu bringen, gerät ihr Supheldenfilm jedoch nicht tumb. Gerade hier ist Logan den zahllosen Städte zerstörenden Abenteuern der Marvel- und DC-Universen voraus. Logan bewegt sich, wie die offen verehrten Westernvorbilder des Films, durch Steppen und Kleinstädte. Er trifft freundliche Fremde am Wegesrand und darf sogar helfen, ein paar Pferde einzusammeln und fiese Konzernvertreter zu verschrecken. Durch sein Setting bewegt sich der Wolverine-Film eher in der Nähe von gradlinigen Action- und Westerndramen denn der Superheldenkonkurrenz. Mein großer Freund Shane wird direkt zitiert, Perfect World, True Grit und Mann unter Feuer liegen in der Beziehung zwischen großen und kleinen Mutanten ebenfalls nah. Die Massenzerstörung von computergenerierten Großstädten wird durchs handfeste, erschöpfende Gemetzel ersetzt. Wichtiger noch: Logan - The Wolverine scheut sich nicht davor, Hauptfiguren sterben zu lassen. Die Toten bleiben liegen und sie müssen betrauert werden. Wir haben diesen Wolverine mit R-Rating sicherlich Deadpool zu verdanken. Die ironische Brechung der Gewalt versagen sich Michael Green, Scott Frank und Mangold jedoch größtenteils.
Es geht um etwas in Logan, und selbst wenn sich das mäandernde Drehbuch nicht immer en detail darüber im Klaren scheint, bietet der neue Wolverine eine willkommene Alternative zum Genre-Mainstream. Der verteilte sich seit dem Start von X-Men: Der Film schließlich auf sequelisierte Abenteuer für jede Altersgruppe und teils erbarmunglose (Punisher: War Zone), teils unterhaltsam überzogene Action (Ghost Rider 2: Spirit of Vengeance). Logan, der Film, jedoch scheut sich weder vor Blut noch Stille. Er kommt gerade in der zweiten Hälfte zu ersehnten Ruhepolen, als läge ein 17 Jahre dauernder Sprint hinter unserem Helden. Was auf Held und Filmgenre bedauernswerterweise zutrifft. Wie wenig sich das Drehbuch schlussendlich um die heiligen Kühe des Superheldenfilms, um Referenzen, Fan-Service und Erklärungen schert, hat etwas Bewundernswertes. Für kommende Marvel-Filme sollte dieser betont alleinstehende Franchise-Eintrag Vorbildcharakter annehmen. Nachdenklich und mit der gebotenen Härte nimmt das letzte Wolverine-Abenteuer mit Hugh Jackman von einer Epoche des Superheldenkinos Abschied. Ein harter, blutiger Schnitt. Endlich.
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