Natürlich hängen an einem Film, der über 10 Jahre immer wieder beworben, angeteasert und in Interviews besprochen wird, gewisse Erwartungen. Umso mehr, wenn sie von dem Mann geschürt werden, der den wohl besten Actionfilm der 90er Jahre gedreht hat: James Cameron hat mit Terminator 2 – Tag der Abrechnung einen Meilenstein abgeliefert, der dramaturgisch, stilistisch und mit seinen bahnbrechenden Spezialeffekten Publikum und Kritiker zurecht begeisterte und auch heute noch beeindruckend ist.
Geh da weg, ich seh den Eisberg nicht!
Nach Terminator 2 kam leider eine ganze Weile nichts. Und dann kam etwas, das wohl die wenigsten erwartet hatten: The biggest chick-flick-ever made. Titanic. Cameron nutzte eine der beeindruckensten Katastrophen des 20. Jahrhunderts und machte daraus eine Fototapete für eine himmelschreiend kitschige Love-Story, die kein sozialromantisches Klischee ausließ und selbst Disney-Filme wie Ken Loach -Dokudramen wirken ließ. Und dazu dieses Lied, das alleine als Rechtfertigung des South-Park-Songs “Blame Canada” ausreicht.
Doch das sinkende Schiff machte Cameron endgültig zum Star. Bzw. zum “King of the World”, wie er in einem Anfall von Understatement bei der Oscarverleihung in die Menge rief. Titanic war ein Megablockbuster ein Ereignis das selbst Menschen ins Kino lockte, die seit Quax, der Bruchpilot kein Lichtspielhaus mehr von Innen erlebt hatten.
Ich bin dann mal weg
Keine leichte Aufgabe, nach so einem Film weiterzumachen. Einsam ist es an der Spitze und in alle Richtungen geht es nur bergab. Cameron entging dem Erwartungsdruck, indem er im wahrsten Sinne des Wortes abtauchte. Außer einigen Dokus, in denen er die Zuschauer auf Du und Du mit Lisa der leuchten Seeanemone brachte, ums Wrack der Titanic herum schwamm oder in Jesus Grabkammer herumstocherte, war es recht ruhig um den König der Welt. Okay, er produzierte die Serie Dark Angel, um eine Agentin die keine Mimik hat und nach zwei Staffeln abgesetzt wurde.
Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen
Doch dann kam Avatar – Aufbruch nach Pandora. In Interviews erzählte Cameron immer wieder, dass er die Story schon 1994 geschrieben habe, aber erst jetzt umsetzen könne. Er habe gewartet, bis die Technik mit seinen Visionen mithalten konnte. In weiteren Anfällen akuter Bescheidenheit beschrieb er Avatar als den Film, der das Kino revolutionieren und die 3D-Technik auf ein völlig neues Level heben würde. Zu sehen bekäme das Publikum photorealistische Bilder, die nicht mehr von tatsächlich gefilmten Landschaften und Schauspielern zu unterscheiden wären. Die Fangemeinde erbebte vor Erregung. Harry Knowles soll angeblich spontane Orgasmen erlebt haben, wenn er nur das Wort Avatar hörte.
Das kann doch nicht dein Ernst sein!
Dann kam der erste Trailer. Und die Filmwelt sagte: WTF? Schlumpfblaue Katzen hopsten durch den Dschungel, die Story klang nach Winnetous Rückkehr und selbst Adolf Hitler war alles andere als amüsiert.
Schlimmer noch: Der Film wurde nicht als Actionspektakel des T2-Machers beworben, sondern als “Vom Regisseur von Titanic”. Und Cameron, der aber sowas von im Einklang mit seiner femininen Seite ist, wird nicht müde in Interview zu betonen, er habe ein Chick-Flick gedreht. Ein gefühlvolles Werk. Einen 300 Millionen Dollar Frauenfilm. Mit wichtiger ökologischer und spiritueller Botschaft.
Wenn jetzt noch Celine Dion singt, wäre das wirklich ein Grund sich zu erschießen. Und das sage ich als jemand, der den Film schon in seiner ganzen Pracht von gefühlten sieben Stunden in 3D erleben durfte.
Avatar: Eine filmische Lavalampe mit Greenpeace-Sticker
Okay, es sind nur zweieinhalb Stunden, aber da die Story locker auf den Rand eines großzügig bedruckten Bierdeckels passen würde, bedeutet das dennoch ganz schön viel Leerlauf. Ganz ehrlich: Avatar nervt, denn er ist ein einziges oberflächliches CGI-Showreel ohne einen Hauch von interessanter Geschichte, echten Charakteren oder origineller Ideen.
Nach einer zehnjährigen Schwangerschaft mit schreiend lauten Geburtswehen, in denen wir versprochen bekamen, dass Cameron das schönste, brillanteste und intelligenteste Baby des Planeten auf die Welt bringen würde, entpuppt sich das Kind als Bastard von Kevin Costner und Shrek.
Inhaltlich wird ekligster Ethnokitsch verhandelt, dessen brachiale Holzhammermetaphorik und süßliche Kitschoptik an Leute appelliert, die ihr Geld freiwillig für Indianer-Häuptlingszitat-Poster, Fantasyplakate mit galoppierenden Einhörnern, vor dem Mond springende Delphine, traurige Harlekine, Panthergipsbüsten, Traumfänger, Räucherkerzen und Walgesangs-CDs ausgeben.
Welcome to the Uncanny Valley of the Dolls
Keine Idee ist neu, kein Gefühl ist echt. Cameron – der schon 1994 zu Protokoll gab, er habe die Geschichte aus allem zusammengeschrieben, was er als Kind toll fand – jongliert ungelenk mit Versatzstücken von Romantik, Indianerfilm und Kolonialismuskritik und degradiert sie zu Abziehbildern. Seine Botschaft geht nicht tiefer als: Eingeborene für Öl totmachen und Bäume umhauen ist irgendwie nicht so gut, weißt du? Jede Folge von “Captain Planet and the Planeteers” servierte ihre Botschaften subtiler.
Als fanatischer Technikapologet, der er ist, wirkt Camerons Hohelied auf den Einklang mit der Natur doppelt verlogen. Denn mit irgendeiner Form von Natur hat diese absolut digitale und digital-aussehende, aseptische Scheinwelt mal so gar nichts zu tun. Alles ist überperfekt, jeder Grashalm, jedes Staubkorn, jeder Nachtfalter möchte das schönste Element im Bild sein.
Doch Perfektion wirkt steril und abstoßend. Die Realität hat immer Fehler, Gebrauchsspuren, Anzeichen von Verfall. Die wahre Faszination der Realität und auch der ja angeblich von Cameron zelebrierten Natur ist eben, dass sie nicht aussieht wie aus einem Hochglanzprospekt, dass sie Ecken und Kanten hat und nicht zehnmal durch Photoshop geschubst wurde. Eine Welt ohne Fehler, in ewiger Harmonie und mit so verklärt dargestellten Aushilfsnaiven, die nur aus Postkartenmotiven besteht, ist für mich eine Horrrorvorstellung, deren Bombadierung ich nur begrüße.
Kein Wunder, dass alles in dieser plastinierten Kitschwelt seinen eigenen USB-Anschluss hat. Von den glimmernden Duftbäumchen bis zu den Flugechsen, die in dieser “Der mit dem Wolf tanzt”-Variante die zu zähmenden Wildpferde ersetzen.
3D ersetzt den Tiefgang
Die viel gerühmte 3D-Technik bleibt leider ebenfalls hinter den Erwartungen zurück: Wirklich gut funktioniert sie nur in den wenigen real gedrehten Szenen im Camp der Marines, der Renderdschungel bleibt bei allem Aufwand seltsam flach und wird in den hektischen Verfolgungsszenen auch gern mal unübersichtlich. Der gigantische Unterschied zu den anderen 3D-Werken, die wir in diesem Jahr bestaunen durften, ist allenfalls gradueller Natur. Cameron schmeißt nicht ständig Steine in den Zuschauerraum, aber das haben Oben und Coraline auch nicht getan.
Erträglich wird das Ganze lediglich in der letzten halben Stunde, wenn Cameron seinem ganzen verlogenen Pazifistengesäusel entsagt und sich auf das konzentriert, was er kann: Actionpornographie. Der Kampf der Powersmurfs gegen die Marines bietet – auch wenn es nie realistisch aussieht – einige schicke Momente.
Wenn sich auch der Held mit den Ureinwohnern Pandoras verbündet, es bleibt das ungute Gefühl, dass hier wieder einmal der weiße Held die dummen Kaffer in den Kampf führen muss, weil sie sich aus eigener Kraft nicht retten können. White Mans Burden, wie weiland im Lande Narnia. Wenn Worthington seine Motivationsrede hält und zum Kampf aufruft, weiß man nicht, ob er gleich “Wir sind Sparta!” oder “Wir kämpfen für unseren Independence Day” rufen wird.
Wären nicht Sigourney Weaver und der im Grunde erzsympathische Sam Worthington ab und an mal live zu sehen, es gäbe wenig, was die Saga um die Botoxkatzenmenschen erträglich machen würde. Deren differenzierte Mimik in den Realszenen ist es auch, die immer wieder vor Augen führt, wie künstlich und mimisch eingeschränkt die digitalen Wesen trotz des gewaltigen Fortschrittes immer noch sind.
Und falls mich die letzte halbe Stunde ein wenig mit der schwülstigen Langeweile, den schleimigen Gefühlsheucheleien und der halbgaren Erlösermetaphorik versöhnt hatte, so brachte mich das Finale von im Ethno-Singsang gruppenknuddelnden Na’vi dann endgültig dazu aufzuspringen und zu gehen, ehe die ersten Töne des furchtbaren Abspannsongs verklungen waren.
Aber immerhin: Noch kaufen die Na’vi keine Manolo Blahnik-Schuhe. Und Robert Pattinson war auch nicht dabei. Ich bemühe mich ja das Positive zu sehen.