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Mein Lieblingsfilm ist Schokolade

21.11.2014 - 23:20 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
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Es gibt Filme, die sind wie nach Hause kommen. Dieser Satz ist ungefähr genauso pathetisch, wie es einige dieser Filme sind und doch ist er wahr. Dabei hat das oft gar nicht so viel mit der Qualität auf künstlerischer Ebene zu tun, es ist mehr eine Frage des feelings. Wenn das Leben eine Schachtel Pralinen ist, ist der Film eine Tasse heiße Schokolade.


Die Filme meiner Kindheit sind Dirty Dancing, Fackeln im Sturm und Die Dornenvögel einerseits, Krieg der Sterne, Beverly Hills Cop, Police Academy und alles, was Bud Spencer und Terence Hill gerdreht haben, andererseits. Was sich darin manifestiert, ist eher der Filmgeschmack meiner Eltern als der meinige. Wurde ich als Kind gefragt, was ich gucken möchte, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen: Arielle, die Meerjungfrau oder Die Schöne und das Biest. Wahlweise, zu Weihnachten war natürlich Drei Haselnüsse für Aschenbrödel dran, die erste Serie, an die ich mein Herz verloren habe, war selbstverständlich Prinzessin Fantaghirò und wenn ich krank war, musste meine Tante alle drei Teile Sissi vorbeibringen. Aber ich habe auch die Filme meiner Eltern geliebt. Ich habe die Wiederholung genossen und mit voranschreitenden Heranwachsen auch, wie ich jedes Mal etwas mehr davon verstanden habe. Ohne dass es mir bewusst war, habe ich bereits sehr jung begriffen, dass Filme sich mit jedem Ansehen verändern, weil sich deine Haltung dazu verändert, wie sich die Haltung zum Leben mit der Zeit verändert. Radikal und emanzipiert und schwer in der Pubertät konnte ich zum Beispiel den Lieblingsfilmen meiner Mutter, Die Brücken am Fluß oder Message in a Bottle, nie etwas abgewinnen.... besonders letzteren finde ich auch heute noch nicht so besonders, aber ich verstehe besser, was meine Mutter darin gesehen hat, weil ich sie besser verstehe. Ja, so ist das.

Der andere Faktor war natürlich, dass Filme in den 90ern noch sehr oft als Episoden Sonntag für Sonntag gezeigt wurden. Sich also jedes Jahr um die gleiche Zeit einzufinden und einem bestimmten Programm zu folgen, gab meinem Bild von Familienleben einen gewissen Rahmen. Außerdem hatte meine gesamte Familie schon immer ein Herz für Serie, angefangen bei Der Denver-Clan über Unsere kleine Farm bis hin zu Emergency Room, aber auch Ich heirate eine Familie war dabei. Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, wusste ich, dass meine Mutter mir erlauben würde, zu ihr aufs Sofa zu kommen und noch eine Weile mitzuschauen. Serien und Filme, dass muss ich jetzt wohl nicht mehr verdeutlichen, haben also schon sehr früh einen ganz besonderen Stellenwert bei mir eingenommen und ich glaube bis heute definiert sich ein Großteil meiner Beziehungen über die Lust am Schauen, Teilnehmen und Mitteilen.

Heute sehe ich Filme natürlich vollkommen anders, als ich es mit acht getan habe. Während ich Serien weiterhin primär zur Entspannung schaue, habe ich bei Filmen eine gewisse Schizophrenie entwickelt. Das hängt natürlich einerseits daran, dass ich von Haus aus sehr vielseitig geprägt bin - mein Vater sieht gern Uma Thurman beim Metzeln zu, aber auch Richard Gere und Susan Sarandon, wie sie zu The Book of Love tanzen - und zum anderen, dass ich inzwischen ein Bewusstsein dafür habe, dass ein Film ein Kunstwerk sein kann, oder eine Tasse heiße Schokolade. Am schönsten sind Kombinationen aus beidem, dann kommt Alles über Eva dabei heraus, aber ich möchte an dieser Stelle gern die Extreme abgrenzen:

Ich könnte jetzt Die Nonne nennen, Nacht und Nebel, Dead Man oder Breaking the Waves, alles Filme, die ich als ausgezeichnet wahrgenommen habe und immer wieder sehr gerne schaue (ich habe sie auch sämtlich auf DVD).... aber an einem verregneten Sonntagnachmittag lege ich sie eher selten rein. Wovon ich hier sprechen möchte, sind meine Seelenstreichler, ich werde jetzt also filmisch mal die Hose runter lassen, weil sich eventuell auch ein paar guilty pleasures dabei aufdecken.

Midnight in Paris: Heiße Schokolade mit Sahnehaube.

Midnight in Paris, so schokosüß es sein mag, hat eine Sahnehaube aus Kunst. Woody Allen ist nicht eben mein Spezialgebiet, seine Nabelschauen in der Großstadt New York waren sicherlich prägend für eine ganze Generation, Vicky Cristina Barcelona, falls man diesen represantativ für den neuen Allen nehmen will, fand ich ausgesprochen schnell vorbei. Midnight in Paris liebe ich. Diesen Film anzusehen ist Entspannung pur, auf eine andere Weise als das meditative Einspinnen in Form, Farbe und Klang einer Sofia Coppola und zugleich geht es von einer ähnlichen Basis auf: der absoluten Abgeklärtheit. Owen Wilson, den ich hier tatsächlich zum ersten Mal so richtig gerne mag, schwebt mit der Unantastbarkeit eines Kindes über die Leinwand: Klar hat er seine Sinnkrisen, aber ihm wird nichts passieren, er staunt und lächelt sich durchs Leben und wird quasi getragen von der unnachahmlichen Leichtigkeit der Musik, der Schönheit der Bilder und Menschen und Allens unverwechselbaren Einstellungen und Dialogen. Umrahmt von bis ins letzte Detail gut gecastetem Personal. Harmonisch rund und köstlich.

Love Actually: Chai Tee. Mit viel Milch.

Jedes Jahr um Weihnachten herum landet Tatsächlich ... Liebe in meinem DVD-Rekorder. Ich stehe dazu. Love Actually ist eher ein Chai als heiße Schokolade: Eine Kombination aus verschiedenem, die in sich stimmig ist. Während ich sie trinke, erlebe ich kleine Geschmacksexplosionen, zum Beispiel kann ich es nicht oft genug sehen, wenn Laura Linney sich tot-freut, weil sie den Bürohengst abbekommen hat, um ihn dann eben doch nicht zu kriegen. Alan Rickman und Emma Thompson kennen sich schon ein halbes Leben, für mich sind sie das beste Paar des Filmes. Leider kann ich den Chai nie ganz austrinken, weil ich das Finale vor dem Finale, wenn das kleine amerikanische Mädchen singt, als käme es direkt aus Las Vegas, immer ziemlich over the top finde.

Dogma: Schwarze Schokolade. Geht immer, wird nie alt.

Dogma ist ein Kultfilm und ich liebe ihn. Er ist meine schwarze Schokolade, die ich komplett aufesse, weil sie angeblich gesund ist und ich dabei kein schlechtes Gewissen zu haben brauche. Zum ersten Mal bemerkt, habe ich ihn irgendwann mitten in der Nacht, wollte eigentlich nur kurz mal reinschauen und plötzlich war es Morgen und der Film vorbei. Dabei fängt der Spaß für mich eigentlich erst an, wenn Alan Rickman die Hosen runterlässt und seine Auftritte gehören für mich ebenso zu den Highlights, wie die (hier wahrhaft) göttliche Salma Hayek. Wird der Film gelegentlich zur formelhaften Lektion über alternative Gottesbilder, die im übrigen weder sooo neu noch soo aufregend sind? Absolut. Aber hey: Der Film heißt Dogma. Mit Premierenjahr 1999 ist er im Übrigen nur 3 Jahre älter als meine kleine Schwester.... die ist heute fast zwanzig und somit nicht mehr klein und auch Dogma ist keine Revolution mehr, hat aber im Look nicht nachgelassen (vermutlich weil er immer schon schön-trashig war) und auch die Sprüche werden nicht alt, das zählt.

Das geheime Fenster: Rührschokolade mit Bodensatz

Niemand versteht, warum ich Das geheime Fenster so gerne mag, aber ich finde es ist ein Film, der unter die Kategorie "unaufregend zu genießen" fällt. Nesquik-Schokolade zum selbst anrühren. Vielleicht habe ich einen inneren Nerv, der gut auf King-Stories anspringt, vielleicht weil Johnny Depp (damals noch) ziemlich heiß aussieht. Ich weiß, der Film hat Mängel, aber ich möchte heute über seine Pluspunkte sprechen: John Turturro. Wer den New-Yorker nur als überdrehtes Rumpelstilzchen Seymour Simmons aus Transformers kennt, weiß nicht wen er vor sich hat. Der Mann ist schräg, lässig, cool und für meine Begriffe absolut glaubwürdig als psychophatischer Redneck. Wenn es keinen guten Grund gibt, sich Das geheime Fenster anzusehen, John Turturro ist einer. Um ihn direkt mal zu zitieren: fair is fair und was fair is muss fair bleiben. Abgesehen davon ist der Plot vermutlich recht vorhersehbar, weder inhaltlich noch visuel, noch was das Genre selbst angeht wird hier wirklich Neues erzählt. Und doch findet Regisseur David Koepp seine Momente; die abrupten Wechsel von dem Hotel im Schneesturm zu der abgeschiedenen Waldhütte im Sommer helfen, die Realitätsverschiebungen der Hauptfigur nachzuvollziehen, die nachträglich implementierten Elemente machen Sinn und gerade über das was oft nicht gezeigt wird, wird eine moderate und doch überzeugende und konsequent auf einem Level gehaltene Spannung aufgebaut. Leider weiß man zu schnell was das Ende sein wird, aber sein wir ehrlich: Am Boden der Nesquick-Schokolade hängen doch immer die Klumpen nicht ganz aufgelösten Schokopulvers, das schmälert den Genuss nicht zu sehr.

Schokolade geht immer, es kommt auf die Sorte an

Ich habe Filme, die mich zum Weinen bringen: Familiensache ist einer davon. Es geht um das Krebssterben einer Frau und die Konflikte zwischen Mutter und Tochter. Die Mutter ist Meryl Streep, mehr muss man dazu nicht sagen. Natürlich drückt dieser Film sehr offensichtlich auf die Tränendrüse, aber gelegentlich brauche ich genau das: Einen Grund ein paar Tränchen zu vergießen und danach sieht alles schon wieder besser aus. Wenn ich noch nicht vollkommen überzeugt bin, schaue ich mir Little Miss Sunshine an. Was ich damit sagen will: Das Großartige am Kino ist, dass es für jeden Mensch und für jede Stimmung den richtigen Film gibt. Wenn jemand behauptet keine Filme zu mögen, glaube ich ziemlich sicher, dass er einfach noch nicht den richtigen gesehen hat. Filme spiegeln uns und wir sind alle Narzissten. Wir finden keine Antworten auf Fragen in diesen Spiegeln, aber wir sehen darin, was wir gerade brauchen, das hilft nicht wirklich akut weiter, bringt aber Ordnung ins System. Genau aus diesem Grund, kaufen wir Filme, statt sie nur im Kino zu sehen: Wir wollen sie uns aneignen. Manche sehen wir uns zu unterschiedlichen Anlässen an, manche werden zum Ritual. Jedesmal kann man etwas Neues entdecken und entdeckt darüber im Umkehrschluss etwas Neues über sich. Das war so als ich neun Jahre alt war und wird wohl auch immer so bleiben.


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