Kiss the Cook ein grundsolider Feel-Good-Film. Am Anfang türmen sich zwar die Konflikte, doch recht schnell wird klar, dass es aus der unglücklichen Situation einen einfachen Ausweg gibt, der nur erfordert, dass die Figuren über ihren eigenen Schatten springen. Eine Geschichte, wie wir sie schon unzählige Male gesehen haben. Im Kontext von Jon Favreaus Karriere versteckt sich hier jedoch ein Marvel-Trauma.
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Kiss the Cook läuft heute Abend um 20:15 Uhr auf Arte. Aus diesem Anlass haben wir uns den Film noch einmal genauer angeschaut und einige spannende Parallelen zu Jon Favreaus Arbeit als Blockbuster-Regisseur in Hollywood ausgemacht, besonders im Hinblick auf Iron Man 2, der bis heute als einer der schwächsten Einträge des Marvel Cinematic Universe gilt. In Kiss the Cook wird dieses Trauma verarbeitet.
Kiss the Cook als Aufarbeitung des Iron Man 2-Traumas
Als Schauspieler und Drehbuchautor feierte Jon Favreau mit Swingers 1996 seinen Durchbruch. Während er sich anfangs auf die Schauspieler fokussierte, nahm er ab den 2000er Jahren immer öfter auf dem Regiestuhl Platz. Filme wie Buddy - Der Weihnachtself und Zathura - Ein Abenteuer im Weltraum ebneten ihm den Weg zu Iron Man, der als Startschuss des MCU in die Filmgeschichte eingehen sollte.
Schaut den Trailer zu Kiss the Cook:
Jon Favreau hat damit einen der wichtigsten Blockbuster des 21. Jahrhunderts geschaffen - immerhin reden wir hier vom ersten Film eines Franchise, das inzwischen weit über 20 Filme stark ist und regelmäßig Rekorde an den Kinokassen bricht. Für Jon Favreau wurde Iron Man 2 trotzdem zur unglücklichen Erfahrung, dicht gefolgt von einer weiteren Blockbuster-Niederlage, nämlich Cowboys & Aliens.
Der Konflikt zwischen Blockbuster- und Indie-Kino
Kiss the Cook reiht sich als kreative Pause und Midlife-Crises in seine Filmographie, nachdem vorherige Werke von den Kritikern auseinandergenommen wurden, wenn nicht sogar komplett gefloppt sind. Mit einem schmalen Budget von 11 Millionen US-Dollar geht es mit Kiss the Cook wieder zurück zu den Wurzeln - auch im Rahmen der Handlung des Films.
Erzählt wird die Geschichte des Profikochs Carl Casper, der sich in der Restaurantszene von Los Angeles einen Namen gemacht hat, jedoch in einer persönlichen Sinnkrise steckt. Jeden Tag soll er die gleichen Gerichte kochen, um den Besitzer und die Gäste glücklich zu machen. Nachdem ein Kritiker über seine Arbeit harsche Worte verliert, platzt ihm der Kragen - zu seinem Verhängnis auch noch gut dokumentiert in den sozialen Medien.
Schnell ist der Bogen zu Jon Favreau geschlagen. Als Schauspieler schlüpft er persönlich in die Rolle von Carl Casper, der als Koch einem Filmemacher nicht unähnlich ist. Beide verstehen sich als Schöpfer, finden sich aber in einem System wieder, in dem neue Ideen nur schwer entstehen können, während bewährte, zunehmend allerdings auch abgenutzte Konzepte mit geradezu erschreckender Beharrlichkeit Profit einfahren.
Die faszinierenden Widersprüche in Kiss the Cook
Für Carl Casper gibt es nur einen Ausweg: Er kündigt seinen Job, um seiner Leidenschaft nachzugehen und sich neu zu erfinden, genauso wie Jon Favreau dem Blockbuster-Kino für einen Indie-Film den Rücken kehrt. Doch hier fangen die faszinierenden Widersprüche an, sowohl im Film als auch im echten Leben. Denn trotz der verlockenden und gemütlichen Down-to-Earth-Fantasie begibt sich Jon Favreau keineswegs an den Anfang.
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Stattdessen wirkt Kiss the Cook mehr wie eine Grillparty im Familienkreis, zu der seine zwei größten Iron Man 2-Stars eingeladen sind: Robert Downey Jr. und Scarlett Johansson. In seinem Idyll will sich der Film nicht eingestehen, dass Carl Casper nie wirklich komplett von vorne anfängt, sondern unterbewusst stets auf ein robustes Netzwerk an Kontakten aufbauen kann, das ihm problemlos den Neustart ermöglicht.
Weder Jon Favreau noch sein Alter Ego kämpfen mit einer grundlegenden Hürde, die ihrem Traum der Neuerfindung im Weg steht. Auch wenn der Imbisswagen, mit dem Carl Casper später durch die USA fährt, erst hergerichtet werden muss, mangelt es nie an Ressourcen oder anderweitigen Dingen. Vielmehr geht es nur darum, sich zu überwinden und endlich das zu machen, was man sich offenbar schon lange leisten kann.
Am Ende führen alle Wege zu Disney (zurück)
Seltsam wird es, wenn Carl Caspers Vision allein darin besteht, kubanische Sandwiches zu machen. Mit denen verbindet er zwar Nostalgie. Um eine originelle Schöpfung aus seinem eigenen Kopf handelt es sich aber keineswegs. Im Gegenteil: Gewissermaßen eignet er sich hier einfach etwas Fremdes an, ohne der Sache seinen eigenen Dreh zu verpassen - und das macht er dann von Tag zu Tag.
Damit ist Carl Casper im Grunde wieder in seiner Ausgangsposition angekommen - mit dem Unterschied, dass die Kulisse und das Publikum ein anderes ist. Kein großes Etablissement, das vor allem als Geschäft wahrgenommen wird, sondern ein kleiner, sympathischer, weil unabhängiger Betrieb: Am Ende macht Carl Casper trotzdem nur das Gleiche, was eigentlich im Gegensatz zu einer ursprünglichen Intention steht.
Jon Favreau hat sich derweil nach seinem Kiss the Cook-Abstecher erst recht ins Blockbuster-Kino gestürzt und als Regisseur für Disney zwei Zeichentrickklassiker als Realfilme neu aufgelegt. Die Veränderungen und Erneuerungen bei The Jungle Book und Der König der Löwen sind pure Behauptung. Vor allem Der König der Löwen entpuppte sich als Shot-for-Shot-Remake des Originals - nur mit moderner Technik.
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Dennoch hat sich sowohl Carl Caspers als auch Jon Favreau etwas Wertvolles erarbeitet: Freiheit. Das ist natürlich erstmal ein großer Begriff, der nicht in all seinen Facetten zutrifft und auch nicht vollends ausgeschöpft wird. Dennoch nutzt Caspers seine erlangte Freiheit, um das zu tun, was ihm offensichtlich Freude bereitet. Jon Favreau ist derweil an den Punkt angelangt, wo er nach fleißiger-Remake-Arbeit als Showrunner seine eigene Star Wars-Serie beaufsichtigt und nach Lust und Laune vertraute Western- und Samuraifilme zitiert.
Kiss the Cook läuft heute Abend um 20:15 Uhr auf Arte.
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