Horror pur: Die gruseligste Figur des Jahres lehrt sogar Kannibalen-König Hannibal Lecter das Fürchten

23.12.2022 - 11:00 Uhr
Mark Rylance in Bones and AllWarner Bros.
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Der Horror der Kannibalen-Romanze Bones and All ist etwas völlig Neues. Großer Dank für die Dauergänsehaut gebührt dabei dem schaurigsten Charakter 2022, der im Film eigentlich nur eine Nebenrolle spielt.

Das Filmjahr 2022 hat für Grusel-Fans mit Streifen wie Barbarian, Nope, The Black Phone und Terrifier 2 jede Menge eindrückliche Horrorfilme hervorgebracht. Die Krone der unheimlichsten Figur 2022, die unter die Haut kriecht, um sich dort dauerhaft einzunisten, holte sich allerdings ganz klar eine auf den ersten Blick unscheinbare Figur aus Bones and All ab.

Es folgen kleinere Spoiler für die Handlung von Bones and All, das Ende wird allerdings nicht verraten.

Schaut hier noch einen deutschen Trailer zu Bones and All:

Bones and All - Trailer (Deutsch) HD
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Der Horror von Bones and All schlürft uns genussvoll die Angst aus dem Knochenmark

Als Kannibalen-Romanze ist Bones and All schon für sich genommen eine filmische Grenzerfahrung. Verstörend und schön zugleich verlangt die Geschichte uns einiges ab. Schließlich versucht hier die junge Maren (Taylor Russell) am Rande der Gesellschaft mit der Hilfe des gleichgesinnten Lee (Timothée Chalamet) nichts Geringeres, als ihren Hunger auf Menschenfleisch zu verstehen. Ein krasses Thema als Tour-de-Force, bei der auch die Kamera keine Angst vor Blut und übelkeiterregender Gewaltdarstellung hat.

Die zwei Jungstars liefern in Luca Guadagninos Film eine beeindruckende Performance ab. Der Darsteller, der einen allerdings (mental) nach Hause verfolgt, ist Mark Rylance. Der britische Schauspieler mimt in Bones and All den alternden Kannibalen Sully, der für kurze Zeit Marens kulinarischer Mentor wird. Im weiteren Verlauf des Films folgen dann allerdings Momente, die den blutigen Roadtrip der beiden Nachwuchskannibalen fast harmlos wirken lassen.

Sully wirkt wie der freundliche Onkel von nebenan, bevor er sein wahres Gesicht zeigt

Maren & Sully in Bones and All

Es ist ein schleichendes Schaudern, das Mark Rylance im (Nicht-nur-)Horrorfilm Bones and All hervorruft. Denn die Besorgnis gegenüber seinem kauzigen Sully, dem Maren das erste Mal allein bei Nacht an einer Bushaltestelle begegnet, wächst genüsslich langsam.

Sully "erriecht" die gleichgesinnte Teenagerin, stellt aber sogleich klar, dass sie von ihm nichts zu befürchten hat. Weil Kannibalen keine Kannibalen essen. Dass sie ihn nach Hause begleitet, ist trotzdem mit einem unguten Gefühl verbunden. Doch das unterdrücken wir zunächst, weil dieser ältere Herr mit dem drolligen Namen eindeutig ein trauriger Außenseiter ist. Was kann sich hinter der unmodischen Angler-Weste, dem dünnen Zopf und der Feder am Hut schon verstecken?

Eine ganze Menge, wie sich herausstellt. Denn spätestens, wenn wir Sully mampfend, mit blutverschmiertem Mund über der Leiche einer fülligen Seniorin vorfinden, brennt sich diese Horror-Szene unauslöschlich ins Gedächtnis. Die Taten des Kannibalen sprechen lauter als seine leise säuselnde Stimme, die spätestens in diesem Moment vom Sanften ins Unheimliche kippt.

Auch das lange Seil, das sich Sully aus den Haaren seiner Opfer zusammenflechtet, lässt tief blicken. Hier ist jemand nicht der (im Rahmen des Möglichen) harmlose Kannibale, dem sein Hunger auf Menschenfleisch selbst unangenehm scheint. Das ist das Verhalten eines psychotischen Serienmörders, der seine wahren Motive verschleiert.

Sullys ausgesuchte Freundlichkeit zwingt Maren dazu, ihm mit Höflichkeit zu begegnen. Auch wenn die Panik in ihren Augen eine andere Sprache spricht. Das Gefühl von Erlösung stellt sich erst ein, als die Jugendliche endlich vor ihm davonläuft. Trotzdem hält die Gänsehaut, wenn der Bus ein letztes Mal an Sullys verlassener Gestalt vorbeifährt, noch lange an.

So lange, dass uns erst beim nächsten Wiedersehen klar wird, dass Mark Rylances Performance uns in Wahrheit nie ganz ziehen gelassen hat. Erst gegen Ende des Films rutscht Sullys Maske endgültig und beweist: Manchmal sollte man seinem ersten Bauchgefühl trauen.

Warum Mark Rylances Darstellung in Bones and All selbst Hannibal Lecter blass aussehen lässt

Mark Rylance übertrumpft in seiner Gruseligkeit selbst Timothée Chalamet & Taylor Russell

Der 2016 für Bridge of Spies - Der Unterhändler oscarprämierte Mark Rylance hat sich schon viele ikonische Rollen zu eigen gemacht. Allein 2022 spielte er neben seinem gefräßigen Sully in Bones and All eindrücklich noch den mysteriösen Gangster-Schneider Leonard in The Outfit und den schrulligen Golf-Amateur Maurice in The Fantastic Flitcrofts. Und wer könnte ihn als flüchtigen Ready Player One-Schöpfer oder BFG vergessen? Nur das Horrorgenre hatte ihn bisher noch nicht entdeckt.

Mark Rylances Performances zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Lautstärke brauchen, um einen Nachhall zu finden. Meistens fallen seine Figuren irgendwo auf das Spektrum zwischen ruhig, sozialscheu und sonderbar. Was seiner kannibalistischen Figur eine größere Wirkung verleiht. Eine neue geschmackliche Note.

Ganz einfach, indem Mark Rylance seine schüchterne Präsenz zur Bedrohlichkeit ummünzt. Er wäre ein etwas verrückter, aber harmloser Onkel – wenn er keine Menschen verspeisen würde und schließlich sogar für andere Kannibal:innen zur Gefahr wird.

Sully aus Bones and All ist kein Hannibal Lecter, hinter dessen kultivierter Fassade Anthony Hopkins nur hin und wieder das Monster aufblitzen ließ. Zum Glück. Mark Rylances Horror ist eher wie ein ständiges Jucken unter der Haut, das immer da ist, ohne recht den Finger darauflegen zu können. Ein unangenehmes Gefühl, das einen in ständiger Unsicherheit lässt, bis man die grausige Wahrheit erkennt.

Ein menschenfressender Sonderling, der seinen eigenen Thron unter den Film-Kannibalen unserer Welt verdient. 2022 gibt es jedenfalls niemanden, der ihm in Sachen Grusel das Wasser reichen kann.

Podcast zu Bones and All mit Timothée Chalamet und Taylor Russell

Im FILMSTARTS-Podcast Leinwandliebe spricht Moderator Pascal mit den FILMSTARTS-Redakteuren Björn und Nina über Bones And All. In dem neuen Film von Luca Guadagnino geht es um Identität, Liebe, Außenseitertum und... Kannibalismus. Wie uns das sehr außergewöhnliche Road Movie mit Timothee Chalamet und Taylor Russell gefallen hat, erfahrt ihr im Podcast.

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Habt ihr Bones and All schon gesehen und hat euch Mark Rylances Sully danach auch so verfolgt?

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