Feuchtgebiete, Wolke 9 & Co. - Die 2000er

13.12.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
American Pie
Constantin Film
American Pie
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Nachdem wir in den vergangenen Wochen die Sexskandalfilme der 1960er, 1970er, 1980er und 1990er durchleuchtet hatten, kommen wir heute mit den 2000er Jahren und Filmen wie Wolke 9, Irreversibel oder Feuchtgebiete zum Abschluss.

Kaum zu glauben, aber wahr: Das Millennium liegt inzwischen schon fast 14 Jahre zurück. Was mit Weltuntergangsparanoia und der Befürchtung begann, der Jahrtausendwechsel könnte für zahlreiche EDV-Systeme den Exitus bedeuten, kam dann aber doch ganz anders. Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 verschärfte sich der Konflikt zwischen den USA und Nahost, was schließlich zur wiederholten Zuspitzung des Afghanistankrieges führte und außerdem in den Irakkrieg mündete. Darüber hinaus forderten Naturkatastrophen wie das Erdbeben im Indischen Ozean an Weihnachten 2004 oder der Hurricane Katrina im Sommer 2005 viele Menschenleben.

Die Jahre nach 2000 waren und sind jedoch auch eine Zeit, in der Digitalismus groß und Privatsphäre immer kleiner geschrieben wird. Social Networks haben eine globale Parallelgesellschaft geschaffen, in der Facebook zu den mächtigsten Konzernen der Welt zählt. Der Trend, Privates, Intimes, Peinliches oder Banales mit der Öffentlichkeit zu teilen, setzt sich auch im Bereich des Fernsehens fort, das durch Reality- und Castingshows wie Big Brother, Germany’s Next Topmodel oder Deutschland sucht den Superstar nach wie vor hohe Einschaltquoten verbucht.

Weiterhin Topthemen: Ekel und Gewalt
Peinlich wurde es auch mit der Welle an Teen- und Sexkomödien, die Anfang der 2000er auf den Megaerfolg von American Pie – Wie ein heißer Apfelkuchen (1999) folgten. Neben weiteren Sequels des Apfelkuchen-Klassikers wie American Pie – Jetzt wird geheiratet und American Pie – Das Klassentreffen erfreuten sich ebenso Produktionen wie Scary Movie oder Nicht noch ein Teenie-Film! großer Beliebtheit, die jenseits des guten Geschmacks sämtliche Register zogen und das Publikum mit Kack- und Spermafontänen in die Kinos lockten.

Während hier Sex im Film mittels bizarrer Szenarien ad absurdum geführt wurde, setzte sich anderswo die Vermengung von Erotik und Gewalt auf der Leinwand fort. Besonders beispielhaft ist hierfür die extrem realistische Vergewaltigungsszene mit Monica Bellucci in Irreversibel, die 2002 bei der Premiere in Cannes dazu führte, dass mehrere Zuschauer vorzeitig schockiert den Saal verließen. Belluccis Ehemann Vincent Cassel soll bei der Vorführung sogar in Tränen ausgebrochen sein. Apropos Cannes: 2002 steuerte auch Brian De Palma mit Femme Fatale mal wieder einen Erotikthriller bei, der als Ausgangspunkt die berühmten Filmfestspiele wählte, um von dort aus ein weiteres Mal ein Fadennetz aus Intrigen, Gewalt und sexueller Obsession zu spinnen.

Sex mit Minderjährigen
Doch kommen wir noch einmal auf die Teenfilme zurück: Abseits der Blödelkomödien zu chronisch untervögelten Teenagern schockierte im selben Jahr Ken Park von Larry Clark die Kinobesucher, dessen Film Kids von 1995 wir euch bereits letzte Woche in Erinnerung gerufen hatten. Ken Park erzählt in mehreren parallellaufenden Episoden vom Leben vierer Jugendlicher in einer Kleinstadt, die von den Erwachsenen durch Gewalt, Inzest und Missbrauch unterdrückt werden. Der Film hebt das sexuelle Verhältnis der Jugendlichen untereinander als einzigen Ausweg aus ihrer tragischen Lebenssituation hervor und schließt seine Erzählung mit expliziten pornografischen Szenen. Da bei seinem Release die Öffentlichkeit in den USA bereits empört auf die Barrikaden ging, lief der Film in Deutschland erst mit zwei Jahren Verspätung in den Kinos an.

Zum Thema Missbrauch und sexuelle Verhältnisse mit Minderjährigen steuerte vor allem Kate Winslet in den 2000er Jahren ihr schauspielerisches Können bei. In Little Children spielte sie 2006 eine frustrierte Ehefrau, die mit dem Gedanken spielt, ihren Mann zu verlassen, während zeitgleich ein Exhibitionist mit pädophilen Neigungen in der beschaulichen Kleinstadt geächtet und gefürchtet wird. Zwei Jahre später stand Kate Winslet mit Der Vorleser jedoch selbst im Zentrum des Geschehens, als sie sich in der Rolle der Hanna Schmitz auf eine Affäre mit dem erst 15-jährigen Michael (David Kross) einließ. Kate Winslet wurde für ihre schauspielerische Leistung mit dem Oscar und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.

Neue Strömungen bei deutschen Produktionen
In Deutschland lässt sich wiederum seit einigen Jahren beobachten, dass neue Schwerpunkte bei der Darstellung von Sexualität im Film gesetzt werden. Einerseits gilt hier zwar immer noch das „Sex sells“-Credo, andererseits steht hinter der oberflächlichen Provokation meist auch der Wunsch nach einem Umdenken in Kino- und Alltagskultur. 2008 widmete sich Andreas Dresen mit seinem Film Wolke 9 dem Thema Sexualität im Alter und erntete für seine einfühlsame Darstellung sexuell aktiver Senioren begeisterte Kritiken und Standing Ovations in Cannes. Auch der Erotik-Kurzfilm Hotel Desire von dem damals gerade mal 23-jährigen Sergej Moya konnte sich 2011 über positives Feedback freuen. Bei seiner Inszenierung des überraschenden Stelldicheins zwischen einem Zimmermädchen (Saralisa Volm) und einem blinden Künstler (Clemens Schick) ging es Moya vor allem darum, die langweiligen und gleichermaßen unrealistischen Pornoszenarien, die wir alle nur zu gut kennen, aufzubrechen.

Sperma, Popel und Avocado-Kerne
Geteilter Meinung waren Kritiker und Zuschauer jedoch bei der Verfilmung von Charlotte Roches Feuchtgebiete, die erst vor wenigen Monaten in die Kinos kam. In dem Bemühen von Regisseur David Wnendt, Roches unterirdisch schlechtes Buch ein bisschen poppig umzusetzen, blieben dem Zuschauer zwar so manche Ekelszenen erspart, allerdings ist es fraglich, ob eine Figur wie Helen Memel (Carla Juri) für Heranwachsende tatsächlich zur Identifikation taugt. Eine durch Internet-Pornos und eine allgegenwärtige Sexkultur verunsicherte Generation wird sich vermutlich nicht mit Fantasien von Sperma auf der Spinatpizza oder Masturbationsversuchen mit Gemüse beruhigen lassen. Dennoch macht ein Film wie Feuchtgebiete deutlich, dass das Potenzial an Skandalen, Exzessen, Ekel, Perversion und Schockmomenten noch längst nicht ausgereizt ist und wir also gespannt darauf sein können, welche Sexgeschichten uns das Kino in den kommenden Jahrzehnten noch erzählen wird.

Das war der letzte Teil der Reihe Sexskandalfilme im Wandel der Zeit! Wer noch Ergänzungen hat, kann sich wie immer über das Kommentarfeld mitteilen.


Alina Impe ist eine Ex-Praktikantin bei moviepilot, studiert Filmwissenschaft im Master in Berlin und schreibt regelmäßig Festivalberichte und Filmkritiken für berliner-filmfestivals.

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