Die ersten Oscar-Trends und Favoriten

19.12.2011 - 08:50 Uhr
Die Oscar-Saison steckt voller Nostalgie
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Die Oscar-Saison steckt voller Nostalgie
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Letzte Woche wurden die Golden Globe-Nominierungen veröffentlicht. Damit ist klar: Wir stecken mal wieder mittendrin in der Oscar-Saison. Aber welche Oscar-Trends zeichnen sich diesen Winter ab?

Spätestens seit der letzten Verleihung, kann ich dem Oscar nur noch mit Hassliebe begegnen. Irgendwie hat die Academy of Motion Picture Arts and Science die Bedeutung ihrer Goldmännchen gewahrt, doch der Lack ist ab. Die Veranstaltung selbst befindet sich seit Jahren in einer Dauer-Verjüngungskrise und der Weg zu den Siegern scheint für die Wähler stets jener des geringsten Widerstands zu sein. Dass wir uns trotzdem noch aufregen über den Oscar, spricht hingegen für dessen Lebenszeichen. Die diesjährige Awards Season ist jedenfalls in vollem Gang, weswegen heute die ersten Favoriten und Trends unter die Lupe genommen werden.

Wo die wilden Kritiker wohnen
Es ist jedes Jahr das gleiche Spiel. Mit den Filmfestivals in Toronto und Telluride erfolgt im September der Startschuss für die Oscar-Saison. Im November läuten die Gotham Awards die zweite Runde ein. Dann küren Kritikerverbände an West- und Ostküste der USA ihre Sieger. Phase drei beginnt mit den Golden Globe-Nominierungen. In genau der befinden wir uns gerade. Der Buzz verdichtet sich, die einschlägigen Blogs wie GoldDerby, InContention und AwardsDaily veröffentlichen ihre Tipp-Listen und alle warten sie gemeinsam auf Phase 4, also auf die Verleihungen der Gildenpreise beispielsweise durch Schauspieler (SAG), Regisseure (DGA) und Produzenten (PGA) im Januar.

Die wahre Bedeutung dieser vierten Phase wurde letztes Jahr ganz wunderbar deutlich. Da dominierte The Social Network von David Fincher die Kritikerpreise wie den New York Film Critics Circle Award und sogar die Golden Globes. Die sind im Grunde auch nur eine Kritiker-Auszeichnung mit einem längeren roten Teppich. Wer wissen wollte, welches Werk allerdings den Oscar als bester Film bekommen würde, musste sich nur die Gildenpreise anschauen. Die der Produzenten, Schauspieler und Regisseure gingen nämlich an The King’s Speech – Die Rede des Königs. Bis zur vierten, der eigentlich heißen Phase müssen wie uns noch ein paar Wochen gedulden. Doch der breite Pool an Aspiranten ist jetzt schon für die Öffentlichkeit zugänglich. Dieser zeigt sich stellenweise erstaunlich homogen.

The little film that could
An der Spitze der meisten Prognosen für den besten Film steht zur Zeit tatsächlich The Artist. Kritikerpreise in New York, Washington und Boston konnte der Stummfilm von Michel Hazanavicius (OSS 117 – Der Spion, der sich liebte) abräumen und bei den Golden Globes erlangte die französisch-belgische Koproduktion sechs Nominierungen. Verantwortlich für den beträchtlichen Oscar-Buzz ist nicht zuletzt die Weinstein Company, die den Film gleich nach seiner Premiere in Cannes akquirierte. Deren Kampagnenkünste hatten letztes Jahr The King’s Speech aus dem Nichts in einen Oscar-Abräumer verwandelt.

Dicht dahinter liegen zur Zeit die Familiendramödie The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten mit George Clooney, Hugo Cabret von Martin Scorsese und Gefährten von Steven Spielberg. Zum weiteren Favoritenkreis zählen Midnight in Paris, der Woody Allen den Martin Scorsese-Gedenkoscar für den erfolgreichsten Film seiner Karriere einhandeln könnte sowie The Help, The Tree of Life, Die Kunst zu gewinnen – Moneyball, My Week with Marilyn und, eher abgeschlagen, Dame König As Spion, Verblendung sowie Extrem laut und unglaublich nah. Dass durch die Gildenpreise noch ein bisher unbeachteter Film in diese Auswahl gequetscht wird, wäre zu hoffen, ist aber eher unwahrscheinlich. Selbst The King’s Speech führte einen Teil seines Hypes schon auf das Toronto Film Festival und damit dem Beginn der Awards Season zurück.

Cineastenträume
Was das Gros der bisherigen Hauptanwärter auf den Oscar 2012 eint, ist die Nostalgie. Während The Artist und Hugo Cabret der Stummfilmzeit huldigen, hat Steven Spielberg mit Gefährten ein Epos geschaffen, das sich am klassischen Hollywood-Kino der 40er und 50er, an Filmen wie So grün war mein Tal von John Ford, orientiert. Befasst sich The Tree of Life von Terrence Malick ganz direkt mit dem Prozess der Erinnerung, flüchtet Owen Wilson in Woody Allens Midnight in Paris jede Nacht sprichwörtlich in die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit My Week with Marilyn, Dame König As Spion und The Help wird dieser Oscar-Trend durch weitere Period Pieces ergänzt. Filme wie Drive, Captain America – The First Avenger und Super 8 verstärken den Eindruck eines waschechten Retro-Jahres 2011 zusätzlich.

Ob die Oscar-Filme Ausdruck eines vorübergehenden Eskapismus in Zeiten der Krise oder der Wiederentdeckung klassischer Unterhaltung sind, mögen die Feuilletonisten klären. Ich persönlich empfände den Sieg eines schwarz-weißen Stummfilms wie The Artist im Zeitalter effektgeladener 3D-Filme und explodierender Kosten als einen notwendigen Weckruf des Alten Europas an die amerikanische Filmindustrie. Es hätte zumindest etwas ironisches, etwas unkonventionelles. Immerhin hat seit der ersten Verleihung des wichtigsten Filmpreises der Welt, seit also das Kriegsdrama Flügel aus Stahl von William A. Wellman den Academy Award abstaubte, kein Stummfilm mehr den Best Picture-Oscar gewonnen. Doch Gemach! Wir befinden uns bekanntlich erst in der dritten Phase. Bei den Oscars, das wissen wir mittlerweile, kann in den nächsten Wochen noch einiges schiefgehen.

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