David Cronenberg und der Zwillingsmythos

05.07.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Jeremy Irons in Die Unzertrennlichen
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Jeremy Irons in Die Unzertrennlichen
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Wer kennt schon jeden Film? Richtig, niemand. Es gibt jedoch recht unbekannte Werke, die bekannter sein dürften. Eines habe ich hervorgekramt und stelle es euch heute vor.

Anlässlich des Starts von Cosmopolis habe ich mal wieder nach Werken Ausschau gehalten, die es verdient hätten, stärker wahrgenommen zu werden. Angesichts der Tatsache, dass in Cosmopolis prominente Darsteller wie Robert Pattinson, Jay Baruchel, Paul Giamatti und Juliette Binoche mitspielen, liegt der Verdacht nahe, dass ich mir eine Perle aus dem Schaffen dieser Mimen ausgeguckt habe. Weit gefehlt, denn ich konzentriere mich auf den größsten Star, und der hat auf dem Regiestuhl Platz genommen: David Cronenberg.

Der Kanadier, stilbildend für den „Body horror“, hat im Laufe seiner Karriere zahlreiche qualitativ hochwertige Filme gedreht. Einige davon sind durchaus bis heute relativ bekannt – Naked Lunch, Die Fliege oder Videodrome gehen schon beinahe als Klassiker durch -, in den öffentlichen Fokus ist er jedoch erst so richtig um das Jahr 2000 geraten. Mit dem außergewöhnlichen, intelligenten und – durchaus typisch für David Cronenberg – ekligen eXistenZ lenkte er die Aufmerksamkeit auf sich, mit A History of Violence und vor allem Tödliche Versprechen – Eastern Promises konnte er weitere Zuschauer für sich gewinnen.

Viele Jahre zuvor, genauer gesagt im Jahr 1988, kam jedoch ein Film von David Cronenberg in die Kinos, der nie diese Beachtung bekommen hat, die ihm zusteht: Die Unzertrennlichen. Fans von David Cronenberg haben von diesem Werk zumindest schon gehört, es womöglich sogar schon gesehen, vielen anderen Filmfreunden ist dieser kleine Schatz des Meisterregisseurs bisher jedoch leider noch unbekannt. Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass sich das ändert.

Worum geht es in Die Unzertrennlichen?
Beim Wort „Zwillinge“ denken einige sicherlich sofort an Mary-Kate und Ashley Olsen, an James und Oliver Phelps, an Romulus und Remus – ganz sicher aber nicht an Jeremy Irons. Aus gutem Grund, schließlich hat Jeremy Irons keinen Zwillingsbruder. In Die Unzertrennlichen jedoch schon. Genauer gesagt tritt er in einer Doppelrolle auf. Der Brite spielt die eineiigen Zwillinge Beverly und Elliot Mantle, zwei erwachsene Männer aus Toronto, die nicht nur Wohnung und Bett teilen, sondern auch beide zusammen als Gynäkologen arbeiten. Sie sind Stars auf ihrem Gebiet, gefeierte Visionäre. Elli und Bev, wie sie sich untereinander nennen, sind äußerlich zwar nicht voneinander zu unterscheiden, charakterlich aber grundverschieden. Während Elli der Mann für die öffentliche Show ist und dabei selbstsicher bis narzisstisch wirkt, ist Bev eher ruhig und scheu, ganz auf seine Arbeit konzentriert. Durch sein Charisma und seinen Charme gelingt es Elli immer wieder, Frauen zu verführen. Da er und Bev sich optisch nicht auseinanderzuhalten sind, überlässt Elli seinem Bruder hin und wieder seine Eroberungen. Ihre symbiotische Beziehung wird jedoch auf die Probe gestellt, als der schüchterne Bev sich in die Schauspielerin Claire Niveau (Geneviève Bujold) verliebt. Als die dahinter kommt, dass die Brüder ein falsches Spiel mit ihr gespielt haben, reagiert sie empört und lässt Bev sitzen. Der gleitet immer tiefer in eine Medikamentensucht hinein, die sich ebenso auf seinen mit ihm über ein normales Geschwisterverhältnis verbundenen Bruder Elli auswirkt.

Wer bei Die Unzertrennlichen auf einen David Cronenberg-Film voller Schleim, Eiter und verbauter Extremitäten hofft, wird enttäuscht sein. Bis auf wenige Ausnahmen ist dieser Film keiner von David Cronenbergs berüchtigten Körperhorrorwerken, die einem visuell verstören. Die Unzertrennlichen ist allerdings genauso clever wie viele der anderen Filme des Regisseurs. Er ist weniger am Ekel interessiert, als vielmehr an den psychologischen Hintergründen des populären Zwillingsmythos, den er als Basis nutzt. Zwillingen wird oftmals nachgesagt, sie hätten eine besondere Beziehung, eine, die nicht einmal räumlich begrenzt ist. Was der eine Zwilling fühlt, kann auch der andere empfinden. Mit beinahe erdrückender Kühle zieht David Cronenberg die Geschichte der Brüder auf, kreiert eine Atmosphäre, die von ständigem Unwohlsein begleitet ist, stellt existenzielle Fragen, die von der eigenen Identität bis über das Sein an sich gehen.

Nicht untypisch für David Cronenberg ist Sexualität ein wesentlicher Punkt. Doch nicht der Akt selber spielt die entscheidende Rolle, sondern Sex als Obsession, geschlechtliche Wesen in einer sterilen Welt der Wissenschaft. Die emotionale Realität im Kampf mit einem übersteigerten Rationalitätsdenken. Da durch eine Kombination aus unglücklicher Liebe und Medikamentenmissbrauch die emotionale Ordnung ins Wanken gerät und eine Persönlichkeitsveränderung eintritt – zunächst bei Bev, durch die schon abnorme Bindung aber auch bei Elli -, muss eine Erklärung gefunden werden, die scheinbar alles wieder ins Lot bringt, in Wahrheit jedoch nur ein Extrem darstellt, das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.

Dass Die Unzertrennlichen seine Wirkung nicht verfehlt, liegt zu einem Großteil am grandios aufspielenden Jeremy Irons. Wer in den Genuss dieser Leistung kommen will, sollte sich dieses subtile und beängstigende Meisterwerk abseits des Mainstream nicht entgehen lassen.

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