Atlanta - Pilot-Check zu Donald Glovers vielversprechendem Neustart

08.09.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Pilot-Check zu Donald Glovers FX-Comedy AtlantaFX
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In den nächsten Wochen und Monaten erwarten uns zahlreiche Serienneustarts aus den USA. Mit Atlanta, der neuen Comedy-Serie auf FX, könnte jedoch schon das erste Highlight gefunden sein, denn Donald Glover hat ein wundervolles Kleinod geschaffen.

Wenn sich aktuell ein Text mit dem Geschehen der Serienlandschaft anno 2016 auseinandersetzt, dauert es für gewöhnlich nicht lange, bis die Phrase "Peak TV" fällt. Gemeint ist damit die schiere Flut an neuen Serien, die in kürzester Zeit ihren Weg ins Programm der einzelnen Sender und Streaminganbieter finden. Ein kurzer Blick auf die Serienstarts im September lässt das Problem deutlich werden: Es ist unmöglich geworden, alles zu sehen - und daher gilt es herauszufinden, welche Formate wirklich sehenswert sind. Immerhin bedeutet das große Wachstum nicht nur Vielfalt, sondern ebenso viel Mittelmaß und weniger. Dennoch gibt es eine Handvoll Sender, die regelmäßig mit ihrem Line-up zu überraschen wissen. FX gehört definitiv dazu und Atlanta ist der beste Beweis dafür.

Kreiert von Community-Veteran Donald Glover reiht sich Atlanta perfekt in den Kreis der bisherigen FX-Serien, die elegant auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und Drama balancieren, ohne sich je in eine Ecke drängen zu lassen. Dabei finden sie stets im Alltäglichen die Wunder des Lebens. Mit Louie legte Louis C.K. vor sechs Jahren den Grundstein für diese Entwicklung und seitdem haben zahlreiche Künstler diese Herangehensweise adaptiert - genauso wie sie von ihr profitieren. Auf Vulture  beschreibt Matt Zoller Seitz diese Bewegung als "auteur-driven TV comedy" und vermutlich hätte er es nicht besser auf den Punkt bringen können. Egal ob Louie und Baskets auf FX oder Girls und Togetherness auf HBO: Die Handschrift der kreativen Köpfe vor und hinter den Kulissen ist deutlich zu erkennen. Auch Atlanta macht da (zum Glück) keine Ausnahme.

Wenngleich das Grundgerüst der Handlung überwiegend konventionellen Mustern folgt, ist die Ausführung all dieser Ideen schlicht verblüffend. Earn (Donald Glover) mag mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben wie unzählige Protagonisten vor ihm. Die Pilot-Episode von Atlanta fühlt sich dennoch alles andere als vertraut an - es weht ein frischer Wind, gleichermaßen unterstützt von der minimalistischen wie präzisen Inszenierung seitens Musikvideoregisseur Hiro Murai sowie von den echten Figuren, die sich völlig selbstverständlich von ihren Schablonen verabschiedet haben. Atlanta will keine Illusion zum Leben erwecken und auf keinen Fall eine Geschichte aus einer verzerrten Welt erzählen. Nein, dazu ist Earns Alltag viel zu hässlich und lässt trotz erlesener Aufnahmen im Sonnenschein, die Ecken und Kanten Atlantas durchblicken.

Generell spielt die titelgebende Metropole im Herzen Georgias, die im Serienkontext hauptsächlich als heruntergekommener Schauplatz von The Walking Dead bekannt sein dürfte, eine überaus entscheidende, wenn auch unterbewusste Rolle. Gleich in der ersten Szene entführt Donald Glover auf die Straße und lässt der urbanen Melancholie freien Lauf - später fügt sich dieses anfangs sehr lose Puzzleteil auch ins Gesamtbild der Pilot-Episode ein (Stichwort: Déjà-vu). Das Ergebnis ist ein kleines, poetisches Kunstwerk, das selbst bei einer nächtlichen Heimfahrt mit dem Bus die Magie des Unerwarteten wie Unscheinbaren heraufbeschwört. Atlanta besitzt diese unberechenbare Tendenz, Schein und Sein miteinander verschmelzen zu lassen, ohne zuvor eine vorbereitende Ansage zu machen. Sämtliche Momente entstehen ganz einfach aus Begegnungen - aber was für welche!

Selbst wenn die Pilot-Episode an den Punkt gelangt, wo der Fokus der einzelnen Szenen der Etablierung des zukünftigen Plots dient, passiert dies mit angenehmer Beiläufigkeit. Nach und nach enthüllen die ersten 30 Minuten der Serie, wer Earn ist und in was für einer Situation er sich befindet. Auf der einen Seite wäre da dieser junge Mann, der eigentlich eine Vision von einem besseren Leben hat. Auf der anderen Seite gibt es dann jedoch zu viele Dinge, die ihn davon abhalten, diese Vision zu verwirklichen beziehungsweise schon Teil der zerstörten Vision sind - etwa die zerbrechende Beziehung mit seiner Freundin, Vanessa (Zazie Beetz), oder das angespannte Verhältnis zwischen Earn und seinen Eltern, von seiner Tochter ganz zu schweigen. Die spannende Frage ist nun: Wie schafft er es, seine Vision in Anbetracht all dieser Konflikte trotzdem durchzusetzen?

Am Ende ist es eine glückliche Fügung des Schicksals, die Earn aus der Sackgasse hilft, in der er sich verlaufen hat. Sein Cousin, Alfred (Brian Tyree Henry), hat unter dem Pseudonym Paper Boi eine Single aufgenommen, die im Begriff ist, durch die Decke zu gehen. Earn erkennt seine Chance und ergreift sie entgegen aller Widerstände. Als Alfreds Manager will er die Musikbranche erobern, völlig egal, wie realistisch oder unrealistisch dieser Traum ist. Wichtig ist nur, dass die Möglichkeit überhaupt besteht. Für einen kurzen Augenblick verliert sich die Pilot-Episode in einem naiven, aber dringend optimistischen Gedankengang. Vielleicht ist dieser Hoffnungsschimmer am Horizont nach all den Abgründen, die in Atlanta zuvor angedeutet wurden, ein notwendiger. Denn wie schon in Louie wird allen Niederlagen zum Trotz eine zynische Grundhaltung nie die Welt verändern.

Abseits davon zehrt Altanta unheimlich von dem Umstand, dass die Musik nicht bloß der klassischen Untermalung dient, sondern genauso wie Atlanta als Handlungsschauplatz eine aktive Rolle in Donald Glovers Schöpfung einnimmt. Menschen und Milieu verschwimmen in den Beats der Musik, die sich mal nachdenklich, mal aufgeregt ihren Weg in den Mittelpunkt des Geschehens bahnt und dann genauso leichtfüßig wieder im Hintergrund verschwindet. All diese Dinge machen Atlanta nicht nur zu einem der verheißungsvollsten Neustarts der Herbstsaison, sondern des ganzen Jahres sogar. Es lässt sich nur ausmalen, zu was diese wundervolle Serie in den nächsten Wochen in der Lage ist. Das Versprechen (und der Titel) des Piloten hätte zumindest nicht besser eingelöst werden können: The Big Bang.

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