Zum Tod von Oscarpreisträger Philip Seymour Hoffman

03.02.2014 - 12:20 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Philip Seymour Hoffman in Magnolia
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Philip Seymour Hoffman in Magnolia
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Gestern erreichte uns die Nachricht, dass Philip Seymour Hoffman im Alter von nur 46 Jahren an einer Überdosis Heroin gestorben ist. Wir verneigen uns vor einem der besten Schauspieler seiner Generation.

Zuerst ist da die Ungläubigkeit. Als gestern die Nachricht über den Tod von Philip Seymour Hoffman bei Twitter herumging, führte der Link auf die Homepage des Wall Street Journals. Kein Artikel war da, nur die Breaking News-Leiste und die Hoffnung, es sei eine Falschmeldung. Es muss doch eine Falschmeldung sein! Die Bestürzung über das frühe Ableben von Philip Seymour Hoffman mit nur 46 Jahren bleibt auch am nächsten Morgen. Hoffman hatte offen über seine Drogensucht gesprochen und als vergangenes Jahr bekannt wurde, dass er rückfällig geworden war, überwog das Vertrauen. Er würde das schon schaffen, redeten sich sicher manche ein. Immerhin wirkte er trotz seiner einfühlsamen Charakterzeichnungen selten so zerbrechlich wie manche seiner Figuren. Er entsprach nicht dem Klischee des gequälten Künstlers, der seine genialische Pein vor der Öffentlichkeit austrägt, obwohl manches Interview sehr wohl tiefe seelische Zerwürfnisse andeutete. Aber Philip Seymour Hoffman schaffte es nicht und wir betrauern heute den Tod des wohl bedeutendsten amerikanischen Schauspielers der vergangenen zwanzig Jahre.

Mehr: Philip Seymour Hoffman im Alter von 46 Jahren verstorben

Über fünfzig Filme drehte Philip Seymour Hoffman in seiner kurzen Karriere und vielleicht ist die Vorstellung, dass er erst Mitte vierzig war, deswegen so gewöhnungsbedüftig. 1989 schloss er sein Studium an der Tisch School of the Arts in New York ab, zwei Jahre später folgte sein erster Bewegtbild-Auftritt in einer Folge von Law & Order. Hoffman mauserte sich zum Charakterdarsteller, der in Nebenrollen brillierte, was ihn von Der Duft der Frauen zur Zusammenarbeit mit Paul Thomas Anderson in Last Exit Reno führte, eine der fruchtbarsten künstlerischen Partnerschaften, die das amerikanische Kino in jüngerer Zeit hervorgebracht hat. Hoffman spielte seine oft verkommenen Figuren mit einer außerordentlichen Schonungslosigkeit. Schauspielerische Eitelkeit oder das Heischen um Mitleid waren ihm fremd, selbst wenn er solche ausgemachten Verlierer wie Scotty J. in Boogie Nights oder Allen in Happiness spielte.

Bei seinen besten Rollen treibt einen ausgerechnet die in all ihren Facetten offen liegende Menschlichkeit bis an die Schmerzgrenze. Schauspielen, das lässt sich über viele seiner Auftritte sagen, sieht bei Philip Seymour Hoffman selten leicht aus. Denn Hoffman macht es in der Einverleibung von Süchtigen, Cholerikern, Einzelgängern oder schleimigen Drecksäcken niemandem leicht, vor allem aber sich selbst nicht. Das nähert sich in manchen Fällen ans Überspannte an, meist aber nur, wenn der übrige Film seiner Anstrengung nicht gerecht wird. Paul Thomas Anderson wusste die Qualitäten Hoffmans am besten zu nutzen. Das zeigt sein bedrohlicher, aber komödiantischer Auftritt in Punch-Drunk Love, aber auch die wunderbar weiche Rolle des Pflegers Phil in Magnolia. Die spielt Hoffman allerdings nie so, als sei er sich bewusst, einen von den Guten zu mimen, sondern eben nur als das, was sie ist: ein Mensch.

Nicht lange, dann wird Philip Seymour Hoffman im Kanon amerikanischer Schauspielgrößen neben James Stewart, Marlon Brando oder Robert De Niro genannt. Auf mich persönlich hinterließ er einen stärkeren Eindruck als beispielsweise die Größen des New Hollywood. Als Kind der 1990er wuchs ich unweigerlich mit Hoffman auf und zwar ganz anders, als ich mit einem Pacino oder De Niro aufwuchs, die den Höhepunkt ihrer Karriere lange vor meiner Geburt feierten. Hoffman gehörte neben John C. Reilly und dem etwas älteren William H. Macy zu einer Generation von Charakterdarstellern, die dem amerikanischen Kino der 1990er und frühen 2000er durch ihre Arbeit mit Paul Thomas Anderson, den Coen-Brüdern und anderen aus der zweiten Reihe heraus ein Gesicht verliehen. Macy fand seine Hauptrollen schließlich im Fernsehen, Reilly in der Mainstream-Komödie und Hoffman stieg dank seines Oscars für Capote in die erste Liga auf. Das heißt nämlich auch Aufwachsen mit einem Schauspieler: Ihn in Nebenrollen wie in The Big Lebowski oder Der talentierte Mr. Ripley zu entdecken und dann Zeuge zu sein, wie sich eine beeindruckende Filmografie über die Jahre entfaltet, von Nichts geht mehr – Das Millionenspiel des Dan Mahowny zu Synecdoche, New York und The Master. Es heißt sich reiben an seinen Auftritten, manchmal begeistert sein, manchmal weniger, aber immer in der Aussicht, noch viele Jahre von seiner Kunst berührt zu werden, egal ob die abstoßenden Züge seiner Figuren die Oberhand gewinnen oder die liebenswerten.

Neben der privaten Tragödie, die Kindern ihren Vater und einer Lebensgefährtin ihren Partner genommen hat, ist dies eine der traurigen Folgen des viel zu frühen Todes: Dass wir nicht sehen werden, wie Hoffman sein künstlerisches Erbe ausbaut und wie er damit im hohen Alter verfährt. Was uns Filmfans bleibt, sind die zwanzig Jahre sowie die befriedigende Erkenntnis, dass Hoffman sein Talent nicht verschwendet hat. Nein, er hinterlässt uns eine der beständigsten, aber auch eigensinnigsten Filmografien, die ein amerikanischer Schauspieler im Zeitalter des allgegenwärtigen Blockbusters hervorbringen kann. Dafür gebührt ihm unser Dank.

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