Wölfe - Serie mit Damian Lewis & Mark Rylance bei arte

21.01.2016 - 11:10 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Damian Lewis und Mark Rylance in WölfeBBC
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Brauchen wir noch eine Serie über den heiratswütigen Heinrich VIII.? Die BBC-Produktion Wölfe mit Mark Rylance und Damian Lewis antwortet mit einem kräftigen "Ja"! Heute Abend startet sie bei arte.

Mark Rylance ist kein junger Mann mehr und obschon ich für diese Beobachtung keinen Tudor-Blumentopf gewinnen werde, hat sie für Wölfe (OT: Wolf Hall) Gewicht. Denn als sein Thomas Cromwell in der BBC-Serie die Gunst des englischen Königs Heinrich VIII. (Damian Lewis) erringt, ziehen sich bereits einige Falten durch sein Gesicht. Als Sohn eines Schmieds zur Welt gekommen, schafft es Cromwell bis an den Hof. Dieser Aufstieg über Standesgrenzen hinweg wird in Wölfe zunächst nur angerissen. Ein Großteil von Thomas Cromwells Vergangenheit hüllt sich in Ungewissheit, seine Zeitgenossen flüstern, scherzen, lästern. Die Andeutungen genügen, auch weil das Gesicht des 56-jährigen Rylance von einem ganzen, einem gelebten Leben zeugt, noch bevor in der ersten Folge von Wölfe eine private Tragödie über ihn hereinbricht. Man kann nach vier Staffeln Die Tudors und zahlreichen Filmen wie Die Schwester der Königin, Ein Mann zu jeder Jahreszeit oder Das Privatleben Heinrichs VIII. fragen, was dem Tudor-König Heinrich, seinen Liebschaften und Religionskonflikten noch abzugewinnen ist, abseits von einer prallen Hauptfigur mit vielen schlüpfrigen Anekdoten. Oder man blickt in die Augen von Mark Rylance.

The world is not run from where you think it is. ... Not from castle walls - from counting houses.

Wölfe ist nämlich so etwas wie das Anti-Tudors. Homelands Damian Lewis mag den König mit den vielen Frauen zwischen Bett und Richtblock spielen, originell ist an der Geschichte vor allem ihre Hauptfigur. Hilary Mantel wählte sie in ihrem gleichnamigen Historienroman von 2009 mit Bedacht. Der Jurist Thomas Cromwell spielt in populären Darstellungen von Heinrichs Beziehung zu Anne Boleyn häufig eine Nebenrolle als juristischer Handlanger eines liebestollen Königs, der glaubensfeste "Idealisten" wie Thomas More aus dem Weg räumt. Mantel, und damit auch Serien-Schöpfer Peter Straughan (Dame König As Spion), entwirft ein komplexeres Bild des königlichen Beraters und Ministers, von dem die Darstellung Heinrichs, Annes und Mary Boleyns sowie der vielen anderen Höflinge und Geistlichen profitiert, die nach Willkür des Königs aufsteigen oder fallen. In den ersten drei Episoden, die heute Abend bei arte gezeigt werden, verweigern uns Straughan und Regisseur Peter Kosminsky (Warriors - Einsatz in Bosnien) die obligatorischen Schlafzimmerszenen zwischen Heinrich und Anne. Der Zuschauer muss bzw. darf mit Damian Lewis' zitterndem Leib, seinem hochroten Gesicht Vorlieb nehmen, als Heinrich gegenüber Cromwell vom Verlangen nach seiner strategisch enthaltsamen Herzensdame spricht. Anders als bei der spaßigen Historien-Soap Die Tudors sind die Freuden von Wölfe dank der verschobenen Perspektive eher intellektueller Natur.

1529 setzt die sechsteilige Miniserie an. Thomas Cromwell fungiert als Berater des Kardinals Wolsey (Jonathan Pryce), dem ebenfalls eine niedere Herkunft nachgesagt wird. Wolsey, langjähriger Beistand des Tudor-Königs Heinrich VIII., ist im Begriff, es sich mit dem Herrscher dauerhaft zu verscherzen. Es gelingt ihm nicht, Heinrichs erste Ehe mit Katharina von Aragon (Joanne Whalley) zu annullieren, weil sich Papst Clemens VII. dagegenstellt. Wolsey wird als Lordkanzler entlassen und nun ist es an Cromwell, seinen Herrn vor einem Daueraufenthalt im Tower zu bewahren. Der Außenseiter mit der unbedingten Loyalität zu seinem Kardinal und Gönner bewegt sich in den Bannkreis des Königs, spricht bei seiner zukünftigen Nemesis Thomas More (Anton Lesser) vor, dem einflussreichen Bischof Stephen Gardiner (Mark Gatiss), dem cholerischen Duke of Norfolk (Bernard Hill) und schließlich dessen Nichte Anne Boleyn (Claire Foy), die den König um jeden Preis ehelichen will. Sie alle begegnen Cromwell herablassend. Mit seinem Mopp ergrauender Haare, fragenden dunklen Augen und dicken Brauen, bei denen nie wirklich klar ist, ob sie sich aus Unbekümmertheit oder Sorge gen Haaransatz recken, wirkt Cromwell im besten Fall wenig edel, im schlimmsten ziemlich halbseiden. Dabei erringt er die Aufmerksamkeit des Königs ausgerechnet durch eine Ehrlichkeit, die auch vor Titeln nicht kuscht. Wenn Mark Rylance und Damian Lewis in der ersten Episode endlich eine Szene teilen, wurde der Kampf um Wolseys Leben nicht gewonnen, aber dafür ein Versprechen ausgesprochen: Da kommt eine packende Liebesgeschichte der etwas anderen Art auf uns zu.

My recommendation: Write only a little and pray a lot.

Wölfe spielt in einer Zeit religiöser Umbrüche auf dem Kontinent, die auf England überzuschwappen drohen. William Tyndale hat die englische Übersetzung des Neuen Testaments in Umlauf gebracht, die Ideen von Luthers Reformation greifen um sich und Männer wie Thomas More bewahren die Hoheit Roms auf der Insel mit Hilfe von Folter und Scheiterhaufen. Es ist eine komplizierte Welt voller religiöser und politischer Fraktionen, juristischer Hindernisse und einem ausufernden Ensemble von Figuren, die teils ihre eigene Miniserie verdient hätten. Hilary Mantel, deren Wölfe den Auftakt einer geplanten Trilogie bildet, hatte im ersten Buch immerhin um die 640 Seiten Zeit, um den historischen Kontext und Cromwells Werdegang spannend zu verflechten. Fünf Seiten nimmt ihre Auflistung der relevanten Figuren ein, zwei Stammbäume dienen dem Leser als visuelle Rettungsringe in der stürmischen Tudor-See. Mittel, auf die Peter Straughan naturgemäß verzichten muss. Kurze Texttafeln erinnern uns am Anfang jeder Episode von Wölfe an Jahr und Situation. Mancher Figur kommt es im Verlauf der Serie zu, uns in Nebensätzen die Implikationen potenzieller Entscheidungen zu erläutern. Abgesehen davon macht es Straughan, wie schon in seiner meisterlichen Adaption von John le Carrés Spionage-Drama Dame, König, As, Spion, dem Zuschauer selten leichter als nötig. Behände bewegt sich Cromwell durch Anwesen, Bordelle und den Hof, und wer ihm nicht aufmerksam auf den Fersen bleibt, muss sich hinterher vielleicht durch Wikipedia-Artikel schillernder Figuren wie der prophetischen Nonne Elizabeth Barton oder Annes Ex Harry Percy kämpfen, um Anschluss zu halten.

Die Dichte der Erzählung - Wölfe befasst sich mit dem Zeitraum 1529 bis 1536 - verhindert indes eine allzu oberflächliche Herangehensweise. Wolseys Niedergang und damit Cromwells Aufstieg kommen drei einstündige Episoden zu. So erscheint Anne Boleyns daraus folgende Hochzeit und Krönung zur Königin von England hart erkämpft, nicht zuletzt weil Heinrichs erzwungene Enthaltsamkeit ihn derweil in den Wahnsinn zu treiben droht. Währenddessen zeichnet Straughan ein widersprüchliches Bild Cromwells. Der religiöse Eifer seiner Zeit, der so viel Tod übers Land bringt, widert ihn an. Gegenüber seiner Familie zeigt sich Cromwell liebevoll, gegenüber Freunden verlässlich, gegenüber seinen Herren loyal und einfühlsam. Gleichzeitig schält sich mit wachsender Episodenzahl eine harte, rachsüchtige Ader heraus. Nicht von ungefähr wählte Mantel für ihren Roman eine Szene aus Cromwells Jugend als Auftakt, in der er von seinem Vater am Boden liegend getreten wird. In den ersten drei Episoden der Serie gibt Cromwell vielfach den Beobachter und Zuhörer: Um geheime Beziehungen zu entschlüsseln, keine Frage, aber auch um geistig eine wachsende Liste mit all jenen zu führen, die ihm oder seinen jeweiligen Herren feindlich gesinnt sind. Ganz oben steht der mächtige Thomas More.

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In Wölfe wird weitgehend auf übliche Mittel verzichtet, historische Stoffe für moderne Augen ansprechend zu gestalten. Statt Sexposition und blutigen Muntermachern erwarten den Zuschauer Aufwartungen, Verhandlungen, Spaziergänge durch außerordentlich sorgsam gepflegte Gärten. Gewürzt werden sie durch den trockenen Humor eines Mannes, der zwischen Gosse und royalem Gemach alles gesehen hat. Mark Rylance passt sich der Kulisse ganz natürlich an, als wurde er in Wams und Strumpfhosen der Tudor-Zeit hineingeboren. Das Prekäre an der Situation seines Helden und die Reibung im Kern dieser sehenswerten Historienserie liegt in dessen Loyalität begründet. Dieser Cromwell kann eigentlich nur in einer Zeit aufsteigen, in der gewohnte Machtstrukturen nicht mehr als selbstverständlich hingenommen werden. Der Papst im fernen Rom habe schließlich nicht über die Gläubigen in England zu bestimmen und schon gar nicht über das Privatleben eines Königs. Für Heinrich verhilft Cromwell Anne Boleyn zur Krone und scheint sich eines doch nicht gewahr: Wenn der König selbst den Papst fallen lässt, auf welche Loyalität kann da der Sohn eines Schmieds hoffen?

Arte strahlt die ersten drei Episoden von Wölfe heute ab 20:15 Uhr aus. Am 28.1.2016 werden die verbliebenen drei Folgen gezeigt.

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