Beth (Emily Kinney) lebt und das ist gut so weit. Ansonsten schilderte Slabtown letzte Woche den trüben Alltag einer Mikrogesellschaft, die sich verzweifelt an vage Hoffnungen von Errettung und Erlösung aus ihrer misslichen Lage klammerte. Totschweigen, um zu überleben – so die Devise des Personals im Grady Memorial Hospital. Self Help, die fünfte Episode der fünften Staffel von The Walking Dead, spinnt diesen drastischen Überlebensgedanken noch ein Stück weiter: Aus dem betäubten Wegsehen wird eine Lüge enormen Ausmaßes. Das Individuum ernennt sich selbst zum "greater good", um das eigene Fortbestehen in der aussichtslosen Situation zu sichern, und widerspricht somit dem zuletzt postulierten Credo "Some people just aren’t meant for this life, and that’s okay, as long as they don’t take advantage of the ones who are."
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Das moralische Problem, das sich in diesem Fall ergibt, mag ein offensichtliches sein. Trotzdem ist es unheimlich spannend, wie Heather Bellson und Seth Hoffman, die ihres Zeichens für das Skript von Self Help verantwortlich sind, die Figuren mit der Erkenntnis der Lüge konfrontieren und daran zerbrechen lassen.
The Shape of Things to Come.
Gleich zum Einstieg der Episode wird klar, dass der deftige Cliffhanger des vergangenen Kapitels vorerst keine Erwähnung finden wird. Wie es um Beth und Carol (Melissa Suzanne McBride) – und weiterhin auch Daryl (Norman Reedus) – steht, bleibt ungeklärt. Stattdessen springt Self Help direkt auf die Straße, wo sich sechs Menschen auf dem Weg nach Washington, D.C. befinden. Das Unterwegssein ist schon immer ein essentieller Bestandteil von The Walking Dead gewesen. Dieses Mal ist jedoch etwas anders. Die Figuren reden miteinander, ganz normal. Klar, als Gesprächseinstieg fungiert immer noch die Frage, wann und wie Eugene (Josh McDermitt) endlich die Welt rettet wird. Kaum beginnt der Wissenschaftler etwas von "classified" zu plappern, stellt Glenn (Steven Yeun) aber die Weichen um: "Why the hair?" Das ist die entscheidende Frage, gerade weil sie auf den ersten Blick so belanglos erscheint. Ebenso ernüchternd und unspektakulär fällt die Antwort aus: "Because I like it." Hinter dem dezent auffälligen Vokuhila verbirgt sich keine verrückte Story, dem Klischee des schrägen sowie verklemmten Wissenschaftlers dienend, sondern schlicht eine persönliche Vorliebe – als wäre Eugene ein vollwertiger Charakter, der sich nicht ausschließlich durch seine Funktionalität im Geschehen definiert.
Die drei Neuankömmlingen, die seit der zweiten Hälfte der vierten Staffel von The Walking Dead das Ensemble bereichern, standen bisher äußerst unentschlossen im Raum. Eingeführt wie pure Abziehbilder bestimmter Figurentypen, bewegten sich Abraham (Michael Cudlitz), Rosita (Christian Serratos) und Eugene lange Zeit auf dem schmalen Grat charmanter Lächerlichkeit. Self Help markiert jedoch den Punkt, an dem das Trio aus den rudimentären Schablonen ausbricht und sich ein Stück Charakter ergattert. Nach dem humorvollen (!) Einstieg markiert diesen Moment der Veränderung ein intensiver Gewaltakt. Die Kamera fängt zögerlich Schläge und Tritte ein. Dann fällt der Fokus auf eine blutige Hand, genau genommen Abrahams blutige Hand. Am Boden liegt ein Mann, komplett zermatscht. Ein Flashback wie er im Buche steht – rätselhaft, seine gesamte Wahrheit erst im späteren Verlauf der Handlung verratend. Immer wieder streut Regisseur Ernest R. Dickerson (schon wieder ein The Wire-Export im Beißer-Kosmos!) die Rückblicke in Abrahams Geschichte ein und verwebt das Gegenwärtige geschickt mit dem Vergangenen.
"Ellen", brüllt Abraham wie ein Wahnsinniger und irrt dabei durch ein verlassenes Gebäude. "Ellen", immer wieder ertönt der trachtende Schrei, bis er schließlich im Blickkontakt mit der Gesuchten erstickt. Ellen kauert mit ihren zwei Kindern (A.J. und Becca Ford) unter einem Schreibtisch. Den Unschuldigen die Augen zuhaltend starrt sie ins Angesicht des Monsters, das sich vor ihr in ganzer Größe aufbaut. "You’re safe now", poltert der Grobian, während das frische Blut eines anderen sein Antlitz ziert. Doch Ellen hat Angst, unfassbare Angst vor dem, was die gegebenen Umstände aus ihrem Mann gemacht haben. "Don’t try to find us." Abraham zerbricht und sieht nur noch einen Ausweg aus dem Trümmerfeld, das seine traumatischen Erfahrungen hinterlassen haben. Genau in dem Augenblick, als er bereit ist, alles hinter sich zu lassen, ertönen jedoch am anderen Ende der Straße panische Hilferufe. Eugene rennt um sein Leben, das ihm schlussendlich von Abraham gerettet wird. "Wait! Wait up! You can’t leave!", ruft Eugene seinem Lebensretter nach, um zu verhindern, dass sich ihre Wege trennen. Warum sollte sich Abraham aber ein weiteres Mal umdrehen und den armen Tropf eines Blickes würdigen? "Because I have an important mission."
Eine Notlüge, die für alle Beteiligten alles verändert. Eugene weiß sich fortan in Sicherheit des starken Mannes. Dieser wiederum hat einen neuen Sinn in seinem undankbaren Sein gefunden und lässt sich – wie es in den letzten Episoden regelmäßig veranschaulicht wurde – von diesem Pfad nicht mehr abbringen. Spätestens seit der Fusion mit Ricks (Andrew Lincoln) Gruppe dürfte es Eugene allerdings innerlich zerreißen. Er ist für die Hoffnung auf (baldige) Erlösung verantwortlich und merkt gleichzeitig mit jeder fortschreitenden Minute, dass er seine verhängnisvolle Lüge nicht ewig aufrechthalten kann. Außerdem bringt er die Menschen, die ihn mittlerweile bei sich aufgenommen haben, (unnötig) in Gefahr. Kein Wunder, dass sich Eugene die ganze Zeit über so reserviert und seltsam verhalten hat. Auch er wird letzten Endes nur von der Angst angetrieben, alleine zurückgelassen zu werden. Ausgerechnet Tara (Alanna Masterson) versteht sein egoistisches Handeln inklusive diverser Sabotagen, um die tatsächliche Ankunft in Washington, D.C. um jeden Preis zu verhindern. Zwar folgt mit der Akzeptanz soeben ausgesprochener Wahrheit ein "You can’t do something like that again". Dennoch vergibt Tara dem Unglücklichen mit einem freundschaftlichem Fist bump, denn das sind sie ja auch: Freunde. "Welcome to the human race, asshole."
Was neben Taras unübertrefflichem Fist bump im Gedächtnis bleibt, ist die Einleitung zum besagten Moment der Offenbarung, dass Eugene die Welt nicht retten kann. Zuvor beobachtet er Abraham und Rosita beim Geschlechtsakt in einer verlassenen Bibliothek. Wie der Creep aus der ersten Reihe versteckt er sich hinter einem Bücherregel, wird von den beiden entdeckt und im Anschluss lediglich ausgelacht. Ein skurriler Moment, der den humoristischen Tenor der Episode bis in die ernsten Passagen gleiten lässt und darüber hinaus zusätzliche Details hinsichtlich Rositas Verankerung im Figurenkabinett vermittelt. Überraschenderweise geben sich die Drehbuchautoren mit einer derart simplen Positionierung (Rosita, sich an die Schulter von Abraham lehnend) nicht zufrieden, sondern verleihen ihr im finalen Akt eine eigene Stimme. Obgleich sie zuvor mit Abraham geschlafen und über Eugene gelacht hat: Im Ernstfall trifft Rosita ihre eigene Entscheidung, rennt niemandem hinterher und stellt sich selbstbewusst zwischen das Alphamännchen, dem sie zuvor noch vollkommen verfallen schien, und den Nerd, der aufgrund seiner Taten jegliches Anrecht auf Unterstützung verspielt hat.
Abseits davon beweist Self Help einmal mehr, dass Maggie (Lauren Cohan) und Glenn auch noch am Leben sind. Oh, und Tara wirft ein längst überfälliges "Bicycles" in die Runde. Max Brooks wäre sicherlich stolz auf sie.
Was bisher geschah:
Staffel 5, Folge 1: No Sanctuary
Staffel 5, Folge 2: Strangers
Staffel 5, Folge 3: Four Walls and a Roof
Staffel 5, Folge 4: Slabtown