Wir brauchen Die versunkene Stadt Z - trotz Charlie Hunnam

14.02.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Charlie Hunnam in Die versunkene Stadt ZStudiocanal
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Charlie Hunnam sucht in Die versunkene Stadt Z die Zivilisation im Dschungel und James Gray findet ein großes Film-Abenteuer.

141 Minuten lang wollte ich gestern auf die Knie fallen und den Produzentengöttern dafür danken, dass James Gray Filme machen darf. Da lief Die versunkene Stadt Z im Rahmen der Berlinale Special Gala, eine dieser Sektionen des Festivals, die primär gegen Lücken auf dem roten Teppich antritt. Charlie Hunnam, Robert Pattinson und Sienna Miller spielen in dem Abenteuerfilm mit. Großer Star des Films bleibt der Regisseur auf seiner anhaltenden Suche nach dem verlorenen Reich des Hollywood-Kinos der 70er Jahre. Darin gleicht Gray Filmemachern wie Quentin Tarantino oder Christopher Nolan, die das Bewusstsein für Material und Handwerk des Kinos vor der digitalen Ära zu bewahren suchen. Charlie Hunnams unwirtliche Reise in den Dschungel Boliviens ruft Francis Ford Coppola und John Ford in Erinnerung. Mit seinem Verzicht auf spektakuläre Effekte scheint das aufwendige Abenteuer aus einer anderen Epoche zu stammen. Doch Die versunkene Stadt Z zelebriert Wissensdurst, Entdeckergeist und Offenheit gegenüber der Fremde, mancherorts vom Aussterben bedrohte Qualitäten, die im gegenwärtigen amerikanischen Mainstream-Kino höchstens in Science-Fiction-Filmen wie Interstellar ähnlich großen Stellenwert einnehmen. Das Einzige, was ich bei dieser Produktion von Plan B vermisste, war Zimmermann Brad Pitt, der im Finale auf einem Gummibaum hockt und Charlie Hunnam den Weg nach Z weist.

In seinen vorherigen fünf Spielfilmen hat James Gray einen anderen Dschungel durchkämmt. New York City, vornehmlich das Milieu osteuropäischer Einwanderer, bildete den prägenden Hintergrund für die Polizei- und Gangstergeschichten in Little Odessa - Eiskalt wie der Tod, The Yards - Im Hinterhof der Macht und Helden der Nacht - We Own the Night. Mit der fantastischen Liebes- und Lebensepisode Two Lovers erweiterte Gray 2008 seinen Genre-Horizont. Der sprunghafte Joaquin Phoenix sucht darin nach seiner ganz persönlichen versunkenen Stadt und stürzt sich kopfüber auf jedes Glück verheißende Irrlicht. Fünf Jahre später wandte sich Gray mit The Immigrant schließlich dem Historienfilm zu und für Die versunkene Stadt Z verlässt er erstmals den heimischen filmischen Boden. Charlie Hunnam spielt den Briten Percy Fawcett, der wie andere Gray-Helden mit den künstlichen Grenzen seiner sozialen Klasse und Herkunft hadert. Ein erstklassiger Offizier, bleiben ihm Anfang des 20. Jahrhunderts Beförderungen verwehrt, da sein Vater durch Trink- und Spielsucht das familiäre Ansehen besudelt hat. Fawcett hofft, diesen Makel durch eine kartografische Expedition ins Amazonas-Gebiet wettzumachen. Was er nach der entbehrungsreichen Fahrt findet, ist eine lebenslange Obsession für eine versunkene Stadt. Je weiter sich blinder Eifer und Engstirnigkeit in seiner Heimat verbreiten, desto gewaltiger wächst die Verheißung der großen Zivilisation von Z.

Der reale Percy Fawcett verschwand 1925 auf einer Expedition mit seinem Sohn, der im Film schließlich von Spider-Man Tom Holland gespielt wird. Das Scheitern allerdings ist essenzieller Bestandteil von James Grays Filmen. Seine Helden der Nacht haben in der Regel wenig Heroisches an sich. In den Gangsterfilmen müssen sie sich vielfach für ihre eigene Läuterung und gegen Familie und Freunde entscheiden. Der Weg dahin bleibt ein Abenteuer für sich, der Sieg meist wenig triumphal, vielmehr einsam. So leidet Die versunkene Stadt Z ein wenig unter Percy Fawcett, der neben anderen Gray-Helden als Reden schwingender Musterknabe auffällt. Charlie Hunnam ist nun auch kein Darsteller vom Kaliber Joaquin Phoenix', ja nicht einmal Robert Pattinsons, der zum Sidekick verbannt wird. Hunnams idealistische Intonation wirkt mit steigender Laufzeit geziert. In einem Jaeger ist er jedenfalls besser aufgehoben als am Redepult der Royal Geographic Society. Der Schauspieler Hunnam bemüht sich redlich, keine Frage. Doch James Grays Filme profitieren von der Dynamik seiner detailliert austarierten Inszenierung und explosiver Schauspielpräsenzen, wie Joaquin Phoenix eine ist und der Son of Anarchy nun einmal nicht. Hunnams Fawcett wirkt daher mehr wie ein Gefäß von Ideen denn ein Mensch aus Fleisch und Blut. Getragenen Schritts wandert er durch den Dschungel, eine weitere Lichtquelle, die Gray und Kameramann Darius Khondji über Bäume, Farne und Lianen schweifen lassen.

Warum aber auf Charlie Hunnam herumhacken, wenn sich Die versunkene Stadt Z in allen anderen Aspekten als Fest für die Cinephilen unter uns erweist? Selbst wenn er nicht in einer 35mm-Projektion gezeigt wird, wie es bei der Weltpremiere auf dem New York Film Festival auf Wunsch Grays der Fall war. Auf allen Stationen von Fawcetts Abenteuer, ob in den Tiefen des Amazonas-Gebiets oder den Schützengräben der Somme, erschafft Gray Augenblicke flüchtiger Überhöhung. Die gehen mit einer handwerklichen Präzision und historischem Bewusstsein für die Methodik des Filmemachens einher, wie es das gegenwärtige amerikanische Kino vielfach vermissen lässt. Ein Zug rast an einer Bahnstation in Südamerika vorbei. Die dem Blick entfliehenden, winkenden Zuschauer weichen für wenige Sekunden den schlafenden Körpern der Familie. Tausende Kilometer entfernt träumen sie auf einem anderen Kontinent. Vielleicht von den Abenteuern ihres Mannes oder Vaters oder einfach, so wie James Gray, von einem versunkenen Kino.

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