Warum Fantastic Four kein schlechter Film ist

04.11.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Außen tumb, innen hochempfindlich: Ben Grimm alias Das Ding.Constantin Film
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Die Neuverfilmung der Fantastic Four ist ein ganz auf ihre Figuren zugeschnittenes Superheldendrama, das sich wohltuend von anderen Comicspektakeln abhebt. Leider hatten Kritik und Publikum dafür nichts außer Häme übrig.

Die Frage, ob ein Film unter- oder gar überschätzt sei, ist wahrscheinlich eine ziemlich müßige (wobei außerdem zu klären wäre, inwiefern man Kino überhaupt zu sehr schätzen kann) – solche Behauptungen müssen subjektiv bleiben, empirisch feststellen jedenfalls lassen sie sich nicht. Gleichwohl kann das Empfinden, ein Film habe wenig Aufmerksamkeit oder viel Ablehnung erfahren, bis zu einem gewissen Punkt faktisch untermauert werden. Über Kritiken geben Pressespiegel Auskunft, über Publikumsresonanz informieren transparent gemachte Besucherzahlen. Und nicht zuletzt sind es die auf Empfehlungssysteme ausgerichteten User-Ratings, die mithilfe individueller Online-Abstimmungen oder auch Marktforschungsinstituten wie das für den US-amerikanischen Kinobetrieb so wichtige Unternehmen CinemaScore  Aufschluss über Zustimmungswerte geben. Ob diese aus gutem Grund zu hoch oder zu niedrig ausfallen, kann dann letztlich nur wieder zum Ausgangspunkt zurückführen.

Kein sehr hochgeschätzter Film ist demnach zum Beispiel Fantastic Four, die jüngste von nunmehr vier (halbwegs) offiziellen Kinoversionen der erstmals 1961 bei Marvel Comics verlegten Geschichte über vier Superhelden wider Willen. Auf dem englischsprachigen Kritiken- und Nutzerstimmen-Aggregator Rotten Tomatoes  fand sie mit lediglich neun Prozent positiven Rückmeldungen so wenig Anklang wie kein anderer nennenswerter US-Kinofilm 2015, und ihr CinemaScore von C-Minus entsprach sogar der schlechtesten Bewertung , die ein im Hollywoodstudio-Kontext produziertes Superheldenabenteuer jemals ausgestellt bekam. An den internationalen Kinokassen hatte der nicht von Marvel selbst, sondern dem Lizenznehmer 20th Century Fox in Auftrag gegebene Film daraufhin Schwierigkeiten, überhaupt seine Herstellungs- und Marketingkosten einzuspielen: Mit Verlusten in Höhe von mindestens 80 Millionen US-Dollar  ist Fantastic Four einer der größten kommerziellen Misserfolge des bisherigen Kinojahres.

Initiationsmoment Teleportation: Johnny Storm kurz vor seinem folgenschweren Kontakt.

In Anlehnung an neuere Ausgaben der Comicvorlage nimmt das Reboot von Regisseur und Drehbuchautor Josh Trank einige gravierende Änderungen des Stoffes vor. Die vier bekannten Protagonisten – Reed Richards (Mr. Fantastic), Ben Grimm (The Thing), Johnny Storm (Human Torch) und dessen jetzige Adoptivschwester Susan (Invisible Girl) – treten genauso wie ihr Gegenspieler Victor von Doom (Dr. Doom) als gerade mal dem Teenageralter entwachsene Figuren auf. Eine ins gegenwärtige New York (oder eher: in die gegenwärtige Baxter Foundation) verlagerte origin story modifiziert deren folgenschweren Kontakt mit Superkräften wiederum dahingehend, dass statt kosmischer Strahlung nun ein unglücklich verlaufendes Teleportationsexperiment das Drama initiiert. Erstaunlicherweise wird die Geschichte des Films dadurch nicht erst in Gang gesetzt, sondern dramaturgisch abgeschlossen: Die Helden- und Antiheldenwerdung dieser jungen Erwachsenen ist ein nach zwei Dritteln Laufzeit deutlich gesetzter Höhepunkt, der Weg dorthin das eigentliche erzählerische Ziel.

Anders als sonstige Marvel-Comicverfilmungen nimmt sich der neue Fantastic Four ausgiebig Zeit für seine menschlichen Figuren (die auch tatsächlich Menschen und keine personifizierten Platzhalter für bevorstehende Transformationen zu Übermenschen sind). Josh Trank, der mit Chronicle - Wozu bist du fähig? bereits einen Superheldenfilm drehte, in dem es weniger um Genremechanik als vielmehr die Befindlichkeiten seiner adoleszenten Protagonisten ging, ist besonders an figuralen Gegensätzen interessiert. Da gibt es den wissbegierigen, aber gehemmten Reed Richards (Miles Teller) und seine zögerliche Zuneigung zur resoluten Susan Storm (Kate Mara). Es gibt den draufgängerischen Johnny (Michael B. Jordan) und den gar nicht draufgängerischen Ben Grimm (Jamie Bell), die dennoch gleichsam hochempfindliche Figuren sind. Und es gibt den unglücklich verliebten mad scientist Victor Von Doom (Toby Kebbell), der ein leicht gestörtes Verhältnis zur Welt hat und die Baxter Foundation schon einmal willentlich in Flammen gesetzt haben soll.

Nicht gerade auf Marvel-Kurs: Die Superheldenwerdung als höllische Qual.

Während die "menschliche Fackel" Johnny Storm ihre neu erlangten Fähigkeiten bereitwillig dem Militär zur Verfügung stellt, leidet der von seinem Schulfreund Reed Richards zur Teleportation überredete Ben Grimm stark unter der physischen Veränderung zum steinernen Koloss Das Ding ("I'm used to it", antwortet er mit gesenktem Haupt auf die Frage, ob ihm sein Zustand Schmerzen bereite). Den Verwandlungen fehlt hier zudem jedes kathartische Moment: Die Geburt der Superhelden ist kein identitätstiftender, sondern im Gegenteil ein identitätsraubender Prozess, der mit körperlichen und seelischen Qualen einhergeht. Josh Trank erklärte im Vorfeld, seine Vision der Fantastic Four sei von David Cronenberg beeinflusst – und tatsächlich tun Superkräfte hier eher in Body-Horror- statt Comicfilm-Tradition vor allem höllisch weh (zwingen den ambivalenten Bösewicht Dr. Doom sogar, menschliche Köpfe sichtbar zum Explodieren zu bringen, was sowohl an Scanners erinnert als auch bei einem Film des Marvel Cinematic Universe undenkbar wäre).

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