Warum Marvel einen Superheldenfilm verbrennen ließ

12.08.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Unter Verschluss gehalten: Bernd Eichingers und Roger Cormans The Fantastic Four (1994).
New Horizons / Constantin Film Produktion
Unter Verschluss gehalten: Bernd Eichingers und Roger Cormans The Fantastic Four (1994).
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Es ist ein Film, über den Verantwortliche bei Marvel bis heute nicht sprechen wollen: 1993 produzierte Bernd Eichinger die erste Kinoversion der Comichelden The Fantastic Four – doch sie wurde nicht veröffentlicht, sondern klammheimlich verb(r)annt.

Schon wieder erfüllt eine Kinoadaption der beliebten Comicreihe Die Fantastischen Vier nicht die an sie gestellten Erwartungen. Fantastic Four, das Ende vergangener Woche in knapp 4000 US-Kinos gestartete Reboot der Serie, ließ Filmkritiker ratlos zurück – und spielte am Eröffnungswochenende lediglich 26 Millionen Dollar und damit nur etwas mehr als ein Fünftel der mutmaßlichen Produktionskosten ein. Die Geschichte der Bemühungen Hollywoods, das 1961 als "The World's Greatest Comic Magazine" aus der Taufe gehobene Abenteuer von vier Superhelden wider Willen ins Kino zu bringen, erweist sich dadurch einmal mehr als maximal krisengebeutelt. Sie geht zurück bis in die mittleren 1980er-Jahre, als Produzent Bernd Eichinger dem Comicautor Stan Lee die Filmrechte an dessen Marvel-Marke abkaufte, um ein großes teures Superheldenabenteuer auf die Leinwand zu bringen. Weil Eichinger jedoch in Finanzierungsschwierigkeiten geriet, produzierte er zunächst einen "notdürftigen" Fantastic-Four-Film: Nicht groß und teuer, sondern klein und billig, vor allem aber bis heute unveröffentlicht. Er wurde, so jedenfalls will es die Legende, allein zum Erhalt der Verfilmungsrechte gedreht, die Eichingers Produktionsgesellschaft Constantin andernfalls 1993 verloren hätte.

Viel ist seither geschrieben worden über diesen sagenumwobenen The Fantastic Four, der vielleicht kein Heiliger Gral der Comickinogeschichte, wohl aber deren größtes Kuriosum genannt werden kann. Mehr oder weniger alle Berichte über den Film speisen ihre Informationen aus einem Artikel der LA Weekly (PDF-Datei zum Download ), der vor 10 Jahren versuchte, die absonderliche Entstehungsgeschichte nachzuvollziehen. Wie es sich für einen modernen Hollywoodmythos (oder hier: einen gern erzählten Treppenwitz) gehört, vermischen sich Gerüchte und Tatsachen dabei zu einem ordentlichen Durcheinander. So etwa kolportiert Stan Lee nach wie vor, Eichinger habe den Film insgeheim nie veröffentlichen wollen, wohingegen der 2011 verstorbene Produzent dieser Behauptung stets energisch widersprach. Fakt ist, dass Constantin Film die Produktion nur in Auftrag gab, um die Rechte für eine mögliche Fantastic-Four-Kinoadaption nicht an Marvel zurückgeben zu müssen. Am 28. Dezember 1992, drei Tage vor Ablauf der vertraglich vereinbarten Frist zwischen dem Comickonzern und der Produktionsgesellschaft, begannen die Arbeiten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, die sich zwischen genial, unverschämt und ultrakrude bewegte.

Fantastic Four the Movie - Trailer (English)
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Weil der Film schnell fertig werden und wenig Geld kosten sollte, beauftragte Bernd Eichinger den legendären Produzenten Roger Corman (Entdecker und Wegbereiter vieler, wenn nicht aller namhaften New-Hollywood-Regisseure) mit der Abwicklung seines pflichtschuldigen The Fantastic Four. Engagiert wurden seinerzeit unbekannte, aber einigermaßen fähige Schauspieler, die für eine Gage von 3.500 Dollar pro Woche bereit waren, in Superheldenkostüme zu schlüpfen. Regie führte ein junger Corman-Zögling namens Oley Sassone, der auf dem Studiogelände des unvergleichlich ökonomischen Produzenten und seiner New-Horizons-Schmiede mit Sets arbeiten durfte, die selbstredend schon für zahlreiche Billigproduktionen zuvor zum Einsatz kamen. Die Angaben über das Budget des Films differieren: Manche Quellen sprechen von einer Million US-Dollar, andere von eineinhalb Millionen, den gleichen Betrag soll Eichinger seinem Kollegen außerdem für Werbekosten zugesichert haben. Tatsächlich schaltete Corman mehrere Anzeigen in Branchenblättern, packte den Trailer zum Film auf diverse Videokassetten – und ließ ihn von seinen "Stars" auf der San Diego Comic-Con 1993 bewerben.

In Katja Eichingers Biografie ihres Ehemannes  berichtet die Witwe über den damaligen Argwohn der Marvel-Verantwortlichen gegenüber der Verfilmung ihrer prestigeträchtigen Comicreihe. Das Unternehmen habe regelmäßig Prüfer aufs Studiogelände geschickt ("es wimmelte vor Marvel-Anwälten", heißt es im Buch), die den Beweis erbringen sollten, "dass es sich hier nicht um eine konkrete Filmproduktion, sondern um einen Schwindel handelte" (S. 368 ff.). Als die Dreharbeiten zu The Fantastic Four nach nur drei Wochen abgeschlossen waren, begann eine angeblich mehrere Monate andauernde Postproduktion. Ein 48-köpfiges (!) Orchester spielte die von den Brüdern David und Eric Wurst komponierte (und überwiegend bei John Williams stibitzte) Musik ein, während zwei semiprofessionelle F/X-Firmen an den visuellen Effekten arbeiteten (die man gesehen haben muss, um sie zu glauben). Immerhin: Für den steinernen Koloss The Thing kreierten die im Fernsehbereich seither gut beschäftigten Optic Nerve Studios äußerst respektable Makeup-Tricks – und man kann die Gummianzug-Umsetzung des Comiccharakters Ben Grimm mühelos als bislang beste, zumindest aber charmanteste aller Fantastic-Four-Filme bezeichnen.

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