Unglaublich gruselige Netflix-Serie: Mindhunter terrorisiert unsere Sinne

29.08.2019 - 14:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Mindhunter, Staffel 2Netflix
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Mindhunter unterscheidet sich stark von anderen Serien und Filmen über Serienmörder. Wir untersuchen, warum die Netflix-Serie auch ohne viel Blut so unter die Haut geht.
Mindhunter ist die Netflix-Serie der Stunde und jagt uns aktuell mit Staffel 2 wieder so manchen Schauer über den Rücken. Ihrem Erfolgsrezept aus der 1. Staffel bleiben die Macher um David Fincher dabei treu: Die bestialischen Taten der zumeist erst im Gefängnis auftretenden Serienmörder werden nicht nachgestellt, es gibt kaum Blut und physische Gewalt zu sehen.


Umso öfter hingegen setzt sich die Serie in unseren Köpfen fest durch das, was sie nicht zeigt. Sowohl auf der Ebene der Handlung als auch über die Inszenierung geht Mindhunter den Weg eines subtilen Horrors, der die eigentlichen Schocks erst in unseren Köpfen entstehen lässt. Achtung, Spoiler zu Mindhunter!

Mindhunter bei Netflix: Ein Meisterstück in Sachen Horror

Mindhunter
  • Durch eine kluge Kameraführung, exzellentes Schauspiel sowie die Tongestaltung erbaut Mindhunter seine schauerliche Welt.
  • Die zentralen FBI-Agenten vermitteln uns derweil: Der Wahnsinn schlummert nicht nur in den skrupellosen Verbrechern, sondern ist uns näher, als wir glauben.
  • Über allem schwebt in Mindhunter der Faktor des Unberechenbaren.

Wie Mindhunter uns den Verstand raubt

Seine nach wie vor verstörendste Szene schenkte uns Mindhunter am Ende der 1. Staffel, als der Ermittler Holden Ford (Jonathan Groff) von dem hochintelligenten Serienkiller Ed Kemper (Cameron Britton) in einem Krankenhaus umarmt wird, aus dem Zimmer stürmt und schließlich auf dem Flur zusammenbricht.

Der Horror beginnt mit Kempers ruckartigem Aufstehen, gefolgt von dem auch akustisch wahrnehmbaren Anspannen seiner Kettenfessel. Der Zuschauer wird davon ebenso aufgeschreckt wie Holden, der eben noch sichtbar erschöpft am Krankenbett kauerte.

Während der Hüne unserem in sämtlichen Belangen unterlegenen Protagonist körperlich immer näher kommt und ihm sogar droht, baut sich eine unheilvolle Soundkulisse auf, zu der anfangs auch das indifferente Piepen eines EKG im Hintergrund zählt.

Gleichwohl die Kamera während des Dialogs die Perspektive wechselt, bleibt Holden unsere Identifikationsfigur in dem Szenario. Als Kemper schließlich zur Umarmung ansetzt, ist dies kein Ausdruck von Sympathie, sondern ein Akt des Terrors. Der Mörder wittert die Angst im Raum wie ein Tiger seine Beute und erkennt die Macht, die er in diesem Moment über eine andere Person hat. Das genügt ihm und stürzt sein Gegenüber in den Abgrund.

Mindhunter

Zu den Klängen von Led Zeppelins In the Light befreit sich Holden aus der Umklammerung, doch die seltsam beschwingliche, in diesem Kontext antiklimatische Musik verschafft uns keineswegs Erleichterung, zumal der Agent wenige Augenblicke später in Embryostellung auf dem Boden kauert, während Kemper beiläufig und geradezu entspannt Notiz von dem Drama nimmt.

Mindhunter Staffel 2: Wenn die Serienmörder unsichtbar bleiben

Etwas anders funktioniert eine brillante Sequenz aus Staffel 2, die die Befragung von Kevin Bright zum Gegenstand hat - der junge Mann überlebte einen Angriff des BTK-Killers, trug jedoch ein entstelltes Gesicht davon.

Die Umgebung - das Treffen zwischen Bright, Bill Tench (Holt McCallany) und einem vermittelnden Detective findet unter rumpelnden Bahngleisen in der Beengtheit eines Autos statt - liefert die perfekte Grundlage für ein Spiel mit dem Publikum: Da der traumatisierte Junge nicht angesehen werden will, starrt Trench die ganze Zeit nach vorne. Wir erkennen im weiteren Verlauf des Geschehens zwar etwas mehr, aber keine entscheidenden Details.

Die Kamera tastet Kevin vorsichtig ab, zeigt ihn zuerst nur verschwommen im Hintergrund. Kurz bevor der Junge überstürzt aus dem Auto flüchtet, fängt Fincher ihn von außerhalb des Fahrzeugs ein, wobei die Fensterscheibe das Sonnenlicht reflektiert und wir wesentliche Gesichtszüge so abermals nicht registrieren dürfen.

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Die Neugier auf Kevins Deformationen bleibt mithin unbefriedigt und gerade auch ohne das Auftreten eines Mörders ist die Szene enorm gruselig - hier nämlich wirkt eine schreckliche Tat durch ein geschundenes, noch lebendes Opfer hindurch fort. Die Genialität der Szene liegt in dem effektiven Anstacheln unserer Vorstellungskraft.

Mindhunter: Wo Serienkiller nicht einfach "die anderen" sind

Mindhunter lebt von der Konfrontation mit gefährlichen Verbrechern, die wir einerseits weit von uns schieben wollen und von denen wir doch unweigerlich fasziniert sind. Die Einfallstore für den Wahnsinn sind aber groß und bedrohlich, wie uns die Serie anhand der Agenten Ford und Tench vermittelt.

So hat Ford mit Panikattacken zu kämpfen, während seinem Kollegen in Staffel 2 die Entwicklung des eigenen Sohnes zu schaffen macht: Der junge Brian Tench ist in die Tötung eines anderen Kindes verwickelt und legt ein immer seltsameres Verhalten an den Tag.

Damit stehen wir durch die Serie irgendwann vor der irritierenden Gewissheit: Unser Bild von der Realität ist nur eine Illusion. Natürlich sind wir deshalb nicht alle potenzielle Serienmörder, aber manchmal entscheiden vielleicht nur Nuancen darüber, welchen Schritt im Leben wir als nächstes gehen. Die Trennlinie zwischen Gut und Böse verläuft in unberechenbaren, oft verschwommenen Bahnen.

In Mindhunter stößt die Analytik an ihre Grenzen

Mindhunter mit Jonathan Groff

Ausdruck davon wiederum sind nicht zuletzt die Fortschritte in der Kriminalpsychologie, deren Zeuge wir vor allem in Staffel 1 von Mindhunter werden. Zwar gelingt es den Ermittlern durch die Anwendung der operativen Fallanalyse, Wayne Williams zu überführen, allerdings bestehen über das genaue Ausmaß seiner Schuld im Zusammenhang mit den Kindermorden von Atlanta bis heute Zweifel.

Dennis Raider blieb sogar bis 2005 auf freiem Fuß. Der sogenannte BTK-Killer (verkörpert von Sonny Valicenti) begegnet uns in Staffel 1 zunächst als Sicherheitsbeauftragter, bevor immer klarer wird, mit wem wir es tatsächlich zu tun haben. Raider taucht in beinahe jeder Mindhunter-Episode kurz auf und erinnert uns so schmerzlich an das Versagen des FBI. Viel zu lange führte in seinem Fall selbst das revolutionäre Profiling nicht zum Ziel.

Mindhunter lehrt uns: Menschliches Verhalten lässt sich grundsätzlich analysieren, doch bedarf es im Rahmen der Verbrechensbekämpfung immer auch (mindestens) eines Quäntchens Glück, um den Richtigen auf die Schliche zu kommen. Hoffentlich verunsichert uns diese tolle Netflix-Serie auch wieder in einer möglichen 3. Staffel.

Welche Szene war bislang euer Grusel-Highlight in Mindhunter?

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