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Über Disney-Hass und Diversität

11.04.2018 - 18:03 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Die Blockbuster-Problematik
Warner Bros.
Die Blockbuster-Problematik
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Es ist 2018. Wer an Hollywood denkt, der denkt an Disney, aber vergleichbar ist das mittlerweile nur allzu häufig am ehesten mit Mittelerde und Sauron. Wieso also immer dieser Hass gegen das Studio, gegen Star Wars, Marvelfilme? Oder vielleicht: Wieso nicht?

Wir stehen vor einem Studio, das systematisch ganz nach dem Kapitalismus alle Fische um sich herum auffrisst. Walt Disney ist das Paradebeispiel des (nicht so gut) funktionierenden Kapitalismus, und selbst Andrew Ryan wäre stolz auf die schiere Kompromisslosigkeit des Studios, um an der Spitze zu bleiben. Amerika ist nicht Nächstenliebe, Amerika ist frei. Freier Markt! Jawohl!

Aber tut das der Kunst gut?

Schon in den 1980ern kam Kritik auf, weil sich die großen Studios so sehr auf Blockbuster verschrieben hatten, dass das anspruchsvolle Kino keinen Zugang mehr fand. Wieso auch? Prestige vielleicht, aber letzten Endes seien sie schlicht und ergreifend nicht wirtschaftlich.

Disney hat das aber auf die Spitze getrieben. Weniger Risiko, mehr Budget, mehr und vor allem größerer Erfolg. Tja, große kapitalistische Unternehmer sind leider ständig nur an Wachstum interessiert und dabei nebenbei bemerkt auch gar nicht mehr so an bodenständiger Wirtschaft interessiert. Es wird in Zahlen gerechnet, die es so gar nicht gibt, und die im Grunde 99% der Menschheit das Geld abziehen. Das ist eine einfache Wahrheit, die den Wirtschaftlern, den Menschen egal ist, weil sie ja gerade noch am Wachsen sind.

Also wächst Disney, und da mache ich ihnen persönlich jetzt auch nicht zwingend den großen Vorwurf. Dass immer alles größer und cooler werden muss, ist keine Erfindung Disneys. Sie machen es filmwirtschaftlich aber am erfolgreichsten und sind daher problematischerweise die Führungsgruppe, was die systematische Zerstörung des Wesens Hollywoods anbelangt. Jubelnd ins Feuer rennen, die Fans hinterher, nur kann Disney aus dem Feuer Antrieb für einen Wagen machen, der am Ende umso schneller gegen die Wand fährt.

Die Big Six sind nun seit den 30ern, den 40ern dieselben, die großen Studios Hollywoods: Walt Disney, Warner Bros., NBCUniversal, 21st Century Fox, Sony Pictures und Viacom (Tochter Paramount Pictures dürfte da eher ein Begriff sein). Bald gehört Disney vermutlich 21st Century Fox, womit auch Titel wie Avatar, die X-Men sowie auch Planet der Affen in Disneys Hände fallen würde. Rekapitulation der vergangenen Käufe Disney zeigt es ganz klar: Ihnen gehört halb Hollywood. Disney kaufte 2006 Pixar auf und wuchs. Disney kaufte 2009 Marvel Studios auf und wuchs. Disney kaufte 2012 Lucasfilm auf und wuchs. Ja, auch mit Ghibli hatten sie einen Distributionsvertrag.

Aber auch mal positiv

Zeichentrick auch ohne Disney: Die Tragödie des Menschen

Was ist ein Grund für die enorme Popularität von Serien? Sicher: Die Gewissheit, wie der nächste Film, die nächste Episode wird, tonal, inhaltlich, tempomäßig, aber dazu ein andermal mehr. Natürlich kann man das dem ordinären, von mir aus auch etwas anspruchslosen Kinogänger nicht vorwerfen. Es ist völlig okay, wenn man einfach unterhalten werden will, das hat auch nichts mit weniger Niveau, Intelligenz oder Wissen zu tun, und wer sich über Fans von im Grunde inhaltsloser Action und platten Sprüchen stellt, kann sich ruhigen Gewissens Möchtegern-Snob auf die Stirn tätowieren lassen. Möchtegern, weil das nichts mit einer höheren Gesellschaftsschicht zu tun hat, sondern sehr viel mehr mit einem recht peinlich ausgelebten Egoproblem. Ich schau auch gern Transformers und bin jüngst breit grinsend in Ready Player One gesessen. Deal with it.

Es gibt eben den großen Filmmarkt, und für den muss man auch eine Lanze brechen. Wo wäre der Film ohne die Aufmerksamkeit der Masse? Independent-Filme wären die Norm, und wo das vielleicht erstmal gar nicht schlecht klingt, heißt das doch auch, dass große Produktionen künstlerischer Visionen kaum möglich wären. Kein Game of Thrones, kein Dunkirk, kein Annihilation. Es gäbe schlichtweg keine entsprechend erfolgreichen Studios, das Geld würde fehlen. Der Fließband-Markt hat also etwas für sich. Hin und wieder lassen sich die großen Studios schließlich auch zu einem gewagteren Unterfangen hinreißen, das dann einen immensen Umfang haben kann, man denke nur an Silence oder, ja, Krieg der Sterne, damals ironischerweise von Disney abgelehnt und vielleicht der Grund für deren dunkle Phase. Das geht manchmal für beide gut. Manchmal nicht. Aber es ist tragbar, weil die Studios groß sind.

Das Monopol-Problem

Wieso aber wächst dann Disney nicht gleich zu dem einzig großen Studio? Das macht die Frage um Filmrechte und sonst was eh viel einfacher. Ja, es macht alles einfacher. Wieso steht der Kauf von 21st Century Fox noch aus?

Es geht um das Wettbewerbsrecht. Wo ist der Wettbewerb, wenn es ein Monopol gibt? Was ist das dann für ein freier Markt? Durch die zu arge Freiheit ist es einzelnen Personen, natürliche oder nicht, möglich, sich bis an die große Spitze zu wirtschaften und das ist eigentlich noch schön in der romantischen Idee, dass jeder sein eigenes Bett macht, nur wo ist die Diversität, die Vielfalt, die Chance für neue Unternehmen, wenn der eine alles hat? Die Traumfabrik schenkt dann die Träume, die sie anderen gestohlen hat.

Die Diversität Hollywoods ist am Leiden. Die Big Six rechnen bei großen Filmen gern nach Formel, aber wenigstens noch ein wenig nach den eigenen. Es werden Franchises eröffnet, denn das Mainstream zieht in erster Linie weniger irgendwelche Originalität in Filme, sondern sondern die bekannten Namen, die den Film machen. Die Schauspieler, die Reihe. Es wird Altbekanntes fortgesetzt. Wie gesagt, das muss keinesfalls negativ behaftet aufgenommen werden. Wieso nicht einfach mal bissel Eskapismus machen, wenn man danach wieder zurück ins Leben findet? Einfach mal schön die Sau rauslassen mit geilen Effekten und lächerlich banalen, aber irgendwie ja doch süßen RomComs?

Leider aber verdrängt das Monopol dabei die kreativen, visionären Filme und ist dabei auch noch erstaunlich kompromisslos. Wachstum mit einem Charlie Kaufman? Sicher nicht. Gerade die, die für das Kino und nicht für das Geld drehen, müssen sich also Anbietern wie Netflix zuwenden, und das tut weh. Simultan werden immer weniger große, waghalsige Ideen umgesetzt, und wenn man wie bei Scorseses Silence einen Flop erleben muss, dann schreibt man den Künstler gleich in ganz Hollywood ab, ganz gleich, wie sehr er sich eigentlich schon bewiesen hat oder wie gut der Film ist (oder wie schlecht das Marketing war). Nur an wen soll er sich dann wenden? Die Big Six, bald die Big Five, Big Four, Big Three? Wenn man bei einem war, schickt man die Idee halt an das andere Studio, sicher, aber wenn es nur eines gibt, dann ist man gestrandet. Das war's, und das Drehbuch verstaubt in der Schublade, wenn man das Geld nicht gerade irgendwo findet.

The Dark Tower: Neue Filmreihe? Achtteilige Megareihe Stephen Kings; 90 Minuten.

Erinnert sich jemand an Batman v Superman: Dawn of Justice? Ein dreistündiger Megafilm, der für mich der Inbegriff des Kampfs zwischen künstlerischer Vision und wirtschaftlichem Ehrgeiz ist. Artist v Studio, wenn man so will. Ich schrieb zur DCEU-Problematik einen ausführlichsten Kommentar; die Kurzform: Snyder hat eine Vision, aber Warner Bros. will Marvel, Disney aufholen, also muss alles schnell gehen. Snyder hat sich dem halt anzupassen. Er macht, sie wollen, er macht anders, aber er zieht durch, und dais stark. Nur ist der Film dann 183 Minuten lang! Das ist natürlich auch nicht wirtschaftlich, also wird geschnitten, und zwar über eine halbe Stunde. Die Folge: Der Film ist nicht mehr die Vision und in diesem Fall nicht einmal mehr ganz verständlich. Er kommt nicht gut an. Der Fall fürs Studio ist klar: Das liegt selbstverständlich am eigensinnigen Künstler, der mittlerweile nicht mehr am DC Universum beteiligt ist, nachdem Justice League diese tragische Hollywood'sche Geschichte zu einem Abschluss führte, und das völlig selbstverschuldet.

Disney geht aber einen unverschämten Schritt weiter und fordert etwa bei Kinos Anteile und weitere Dinge wie das andauernde Zeigen ihres großen neuen Films im größten Saal für so und so viele Wochen, dass kleinere, gar schon mittelgroße Kinos sich das gar nicht oder nur halbwegs leisten können. Aber das sind eben die Filme, die die Mehrheit sehen will. Deshalb gehen immer diese mittelgroßen Kinos bankrott und schließen, während Kinoketten alle dasselbe aus Hollywood zeigen. Es ist dabei die Diversität, die verloren geht, und egal, ob man nun Lust auf Unterhaltung hat oder nicht, das sollte niemand gutheißen können. Viele Kinos boykottieren daher Disneyfilme und beweisen damit Solidarität, die ich persönlich liebend gern mit einem Kinobesuch belohne, so oft es geht.

Die freien, kreativen Filme werden verdrängt, die erfolgssicheren Fließband-Formular-Filme nehmen immer mehr Raum ein. Star Wars und Marvel sind da die perfekten Beispiele. Die müssen deshalb ja nicht schlecht sein, aber sie sind schlecht für die anderen, denn sie verdrängen in erster Linie und das Unterstützen dieser Filme, gerade der von Disney, dem Big Daddy, ist gleichzeitig ein Unterstützen des Verdrängens der kreativen Filme, der mutigen Neuproduktionen, die keinem Franchise angehören. Man kann von jedem Filmfreund erwarten, dass er das nicht will.

Helfen können wir alle

Darth Revan: An Disney verlorengegangen?

Resigniert bei all dem Hass, der dem MCU und nun auch Star Wars entgegenschlägt? Verstehe ich, verstehe ich. Aber da muss man einfach auf den Stolz scheißen und einsehen, dass ein Monopol in keinem freien Markt langfristig irgendetwas Gutes tut, und darüber hinaus fließt dann das ganze Geld zu den ohnehin schon Großen. Wem der Film am Herzen liegt, der sollte hin und wieder über seinen Schatten springen und möglichst in kleine, unabhängigere Kinos gehen, die den Mut haben, auch mal weniger erfolgreiche Filme zu zeigen. Sicher, vielleicht fehlt ihnen auch einfach das Geld für Größeres, das ist natürlich auch eine Wechselwirkung, aber die Kritik am System kommt nun mal häufig von den Vernachlässigten, und das nicht zu Unrecht.

Das Schöne am Programmkino ist natürlich, dass es gar nicht absterben kann, weil es ohnehin nur eine geringe Zielgruppe unterhält und eben nicht an riesigem, irrationalem Wachstum interessiert ist. Das ist Diversität. Das Kino stirbt nicht aus, das Programmkino jedenfalls. Aber es wäre schön, wenn Blockbuster oder einfach große oder größere Produktionen auch für Leute wie Martin Scorsese oder Spike Jonze möglich bleiben, die wirklich und zwar aus tiefstem Herzen eine Geschichte so erzählen wollen, wie sie sie sich vorstellen, und da braucht es eben ein wenig mehr Ressourcen. Anders sterben große Filme mutiger Künstler aus. Schon David Lynch hatte sich vor wenigen Jahren gegen Twin Peaks: The Return ausgesprochen, weil er damals noch nicht genug Gelder dafür bekommen hätte. Das sind bemerkenswerte Ideale. Was bringen die Namen, die Orte, wenn die Leidenschaft fehlt? Blockbuster sollten andere Filme tragen, nicht verdrängen. Disney versteht das nicht und ist damit nicht allein.

Und deshalb, liebe Freunde, die Kritik am übermäßig marktorientierten Disney, am marktorientierten Hollywood, das doch eigentlich die Stadt der Träume sein sollte. Wo ist da denn die Romantik? Zweifellos sind diverse Studios wie natürlich Warner Bros. da nicht zwingend besser, aber Disney dahingehend schlichtweg am, ja, hervorstechendsten.

Was also tun? Es ist klar, in dieser westlichen Welt wird das produziert, das gekauft wird. Jede Quittung ist ein nicht unwesentlicher Wahlschein. Also, Streamen? Schwierig. Disneys Filme boykottieren? Nun, das kann man gerne machen, aber ich denke, dass man das nicht muss, zumal da ja trotzdem durchaus auch Leidenschaft drin stecken kann und steckt, man denke nur an James Gunn oder John Boyega. Ständig sogar. Die Russo Brothers haben sicher auch ihren Spaß an der Regie und das ist spürbar. Das ist aber nur bedingt eine Entschuldigung für die Problematik.

Nun. Es genügt doch auch einfach, bewusst in einen Film wie Dunkirk zu gehen, bewusst in einen Silence, also da unterstützen, wo der Künstler die Freiheit leben darf und sich an etwas völlig Neues abseits von Franchise und Co. wagt. Denn wem die Freiheit des Films egal ist, dem ist die Kunst egal.

Mein Fazit also?

Einfach mal Bio statt Aldi.

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