The Raid lässt Hollywoods Action alt aussehen

09.07.2012 - 09:07 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Schmerz ist die beste Medizin - Iko Uwais in The Raid
Koch Media
Schmerz ist die beste Medizin - Iko Uwais in The Raid
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Blut, Schweiß, Knochenbrüche – der Festivalliebling The Raid wird vom Hype nach einiger Verzögerung in unsere Kinos getragen. So kompromisslos ist die Action im Film, dass in Hollywood das Zittern losgehen dürfte, wäre nicht das Remake in Planung.

Die Vorbilder heißen Stirb langsam, Die Todesfaust des Cheng Li und Assault – Anschlag bei Nacht. Kein Wunder, dass der Actionstreifen The Raid bei den einschlägigen Festivals wie Toronto und Sundance für Begeisterungsstürme sorgte. Zwar ist der Hype um den einfach gestrickten, knallharten indonesischen Actioner nicht zufällig entstanden. Die Aufmerksamkeit verdient The Raid allemal, erinnert er uns doch an eine Qualität des Genres, die wir im Neuen Jahrtausend oft vergeblich suchen. Der Mensch steht endlich wieder im Mittelpunkt des Spektakels und damit meine nicht die ausgefeilte Charakterzeichnung, vielmehr die Basics: Blut, Schweiß, Tränen und viele gebrochene Knochen.

Wie man einen Hype kreiert
Letztes Jahr ging ein Raunen durch die Filmblogs und Twitter-Feeds. Im September lief in Toronto das alljährliche Filmfestival und ein Midnight Screening sorgte für besonderen Wirbel. Ich weiß noch, wie ich damals die Timelines der dortigen Kritiker durchforstete, wie sie das Kino verließen und die 140 Zeichen langen Begeisterungsstürme über The Raid ihren Anfang nahmen. Mit Stirb Langsam wurde der Film des Walisers Gareth Evans (Merantau) verglichen, mancherorts gar als bester Actionfilm der letzten 20 Jahre gefeiert. Der Hype um The Raid war in vollem Gange. Er kam nicht zufällig. Todd Brown, Mastermind des einflussreichen Genre-affinen Filmblogs Twitch, der so manche ostasiatische Perle in den Fankreisen im Westen bekannt machte, hatte die Popularität des eher kleinen Projekts im Vorfeld ordentlich angekurbelt. Das mag beim Online-Journalismus im Filmbereich keine Seltenheit sein. Doch Todd Brown ist auch der Ausführende Produzent von The Raid.

Unterfüttert mit einem cleveren Marketing begann der Film also, seinen Siegeszug um die Welt anzutreten. Unmittelbar nach den Screenings in Toronto wurde das amerikanische Remake von The Raid angekündigt. Um ihn im Westen zu verkaufen, wurde ein neuer Score von Linkin Park-Mitglied Mike Shinoda geschrieben. Der nachträglich hinzugefügte Untertitel The Raid – Redemption verweist demgegenüber auf die Pläne einer Trilogie, die Gareth Evans umsetzen wird. Auf Produzentenseite ist The Raid schon jetzt ein voller Erfolg, der sich auf DVD und Blu-ray zum Dauerbrenner entwickeln dürfte. Jenseits der blanken Zahlen gilt es dennoch zu hinterfragen, was The Raid für das aktuelle Actionkino bedeutet.

Fists of Fury
Eine simple Idee liegt The Raid zu Grunde. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei soll einen Appartment-Block stürmen, in dessen oberstem Stockwerk sich ein Gangsterboss verschanzt hat. Einer der Cops wird von Iko Uwais verkörpert, den Gareth Evans bei den Dreharbeiten zu einer Doku über die südostasiatische Kampfsportart Silat kennengelernt hatte. Nach Merantau ist The Raid ihr zweites gemeinsames Projekt und wenn nichts schief läuft, dürften wir den Namen von Iko Uwais bald in einem Atemzug mit aktuellen Martial Arts-Stars wie Donnie Yen und Tony Jaa nennen. Als Rama kämpft sich Uwais straffe 101 Minuten lang durch die Stockwerke des Gebäudes und eine absolut überlegene Gegnerschaft. Dabei gehen Knochen, Türen, Tische, Fenster zu Bruch, werden in langen Einstellungen und mit abwechslungsreichen Kameraeinstellungen die komplex choreographierten Kämpfe vorgeführt, die sich in engen Räumen, Gängen oder einem Drogenlabor abspielen.

The Raid, mit anderen Worten, ist pures Körperkino, das die High Concept-Ideen von Hollywood-Filmen wie Stirb langsam und Aussault aufnimmt und mit den Methoden des asiatischen Martial Arts-Films kombiniert. Mehr noch als Filme wie Ong-Bak oder KillZone SPL kommt The Raid als ein Produkt der Globalisierung daher. Arbeitete der Vorgänger Merantau mit den Gegensätzen von Tradition und Moderne, Stadt und Land, die noch immer eine wichtige Rolle im indonesische Leben spielen, beschränkt sich The Raid in seiner Reduziertheit auf Andeutungen der Kritik an Korruption und Armut im Land, ohne besagtes Land zu zeigen. Das ist eher als Feststellung, denn Kritik, gemeint, und stellt den Film in starken Kontrast zur jüngeren gehypten Martial Arts-Action der Marke Ong Bak I-III oder Ip Man I+II.

Fahr zur Hölle Hollywood
Was The Raid zu Gunsten einer internationalen Verständlichkeit (und Verkaufbarkeit) an Lokalkolorit aufgibt, legt Gareth Evans an körperbetonter Action drauf. Gerade hier erklärt sich die Popularität in amerikanischen Genrekreisen. Denn The Raid wirkt wie eine Frischzellenkur in einem Genre, das sich auf der anderen Seite des Großen Teichs entweder in CGI-Kreaturen oder kaum mehr ausmachbaren Schnittmassakern ergeht. Eine der wenigen Ausnahmen bildet etwa Haywire von Steven Soderbergh, wobei es bezeichnend ist, das der Vergleich ausgerechnet einen der avantgardistischsten Actionfilme der letzten Jahre trifft.

Mit seiner Betonung der handgemachten Stunts, realistischen Choreographien und der Konzentration auf die körperlichen Mühen, die verzehrten Gesichter, das Schnappen nach Atem ruft The Raid einen nüchternen Jackie Chan in Erinnerung, der sich hier gewissermaßen durch die 100 Minuten lange Version der Hammer-Sequenz aus Oldboy kämpfen muss. Anstatt auf die Abstraktion zu setzen, auf kaum taktile CGI-Gestalten, die sich mit anderen bekriegen (Stichwort: Transformers, Battleship, Marvel’s The Avengers), geht The Raid an die Wurzel des Actionkinos in West und Ost, in der das Spektakel mitriss, weil der Mensch sich mittendrin befand. Es ist die schönste Form vorgegaukelter Realität, wenn die Ohs und Ahs durch den Kinosaal raunen, weil der Hauptdarsteller einen gewagten Stunt gerade noch überlebt hat.

Sicher war das amerikanische Actionkino dank des Star-Systems stets stärker vom Schein geprägt, als etwa die Martial Arts-Tradition im Hongkong-Kino. Es bleibt unwahrscheinlich, dass wir nun eine ganze Welle von handfesten Actionsreifen im Kino erwarten können. Dafür müssen wir eher die Randgebiete etwa von After Dark Films (Transit) abgrasen. Auch nach The Raid wird die körperbetonte Action jenseits der öffentlichung Aufbahrung (The Expendables) primär in anderen Ländern wie Frankreich, Thailand oder eben nun Indonesien stattfinden und hierzulande nur selten die Kinosäle erreichen. The Raid bietet dennoch einen schönen Anlass, um sich zurückzulehnen und endlich mal wieder im filmischen Schweiß echter Könner zu baden.

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