Oscar 2016 - Hollywoods Faszination für Survival-Filme

18.02.2016 - 13:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Überlebenskämpfe sind bei den Oscars 2016 trendiger denn je20th Century Fox/Warner Bros.
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Das wegweisende Motiv der Oscars 2016 scheinen Geschichten über das Überleben zu sein. Egal ob Mad Max, Der Marsianer oder The Revenant, Hollywoods Faszination für Survival-Filme war im letzten Jahr ausgeprägter denn je. Warum eigentlich?

Schauen wir uns die Anwärter auf die Oscars 2016 an, können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Hollywood uns dieses Jahr auf das Ende der Welt einstimmt. Der Großteil der nominierten Filme nimmt uns mit auf eine Reise, deren Zielpunkt ebenso simpel wie bedeutungsvoll ist: Immer geht es um den Überlebenskampf in einer widrigen Umwelt.

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Dazu genügt es, sich die Titel der drei am häufigsten nominierten Filme ins Gedächtnis zu rufen: The Revenant - Der Rückkehrer ist insgesamt 12 Mal für den Oscar vorgeschlagen worden, Mad Max: Fury Road 10 Mal und Der Marsianer - Rettet Mark Watney konnte 7 Nominierungen für sich verbuchen. Alle drei Filme tragen das Motiv der beschwerlichen Reise bereits im Titel oder weisen auf den Plakaten explizit darauf hin. The Revenant, was im Deutschen nur unzulänglich mit "der Rückkehrer" übersetzt wurde, bezeichnet die abergläubische Vorstellung, dass Verstorbene als Untote die Welt der Lebenden heimsuchen können. Eine Heimkehr wünscht sich auch der todgeweihte Astronaut Mark Watney, zumal das obige Poster in dicken Lettern mit dem Slogan "BRINGT IHN ZURÜCK" versehen ist. Sein Comeback gleicht in doppelter Hinsicht feiert auch Mad Max, der immerhin 30 Jahre auf der Wutstraße umherirrte, seitdem 1985 Mad Max III - Jenseits der Donnerkuppel in den Kinos anlief.

Totgeglaubte leben länger: Leonardo DiCaprio als Wiedergänger in The Revenant

Alle drei Filme zeichnen sich des Weiteren durch ihren unerbittlichen Schauplatz, knappe Dialoge und eine beeindruckende Optik aus. Alle drei senden ihre Protagonisten auf eine niederschmetternde, mit allerlei Rückschlägen versehene Reise, auf der sie mit scheinbar unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert werden. Damit erinnerte uns auch das Kinojahr 2015 wieder daran, dass der menschliche Überlebenswille immer noch das probateste Mittel ist, um eine fiktive Figur zum Handeln zu animieren.

Das alte Lied von der rastlosen Pilgerschaft

Das klingt doch alles sehr wie eine alte Geschichte, in der ebenfalls ein viel duldender Wanderer zum Spielball äußerer Kräfte wird. Die Rede ist von Homers Odyssee. Auch der listenreiche Odysseus wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich heimzukehren in die Arme seiner geliebten Penelope, und lässt dafür sogar den Zorn eines Zyklopen, menschenfressende Riesen, eine notgeile Zauberin, Seeungeheuer und tosende Stürme über sich ergehen, um zum Schluss die schmarotzenden Freier seiner Frau in einem tarantinoesken Blutrausch dem Tartaros zuzuführen. Diese Verschränkung der Heldenreise mit dem Rachemotiv findet sich ebenfalls in The Revenant und etwas diskreterer auch in Mad Max: Fury Road wieder.

Erstaunlich daran ist weniger, dass solche alten Mythen immer noch rezipiert werden, als die Regelmäßigkeit, in der mit ihren Motiven in allen möglichen Erscheinungsformen der Popkultur hantiert wird. Das gilt für die Oscarverleihungen der letzten Jahre ebenso wie für TV-Serien à la Lost oder The Walking Dead bis hin zu Computerspielen wie DayZ oder Minecraft. Als Indikator für die Massenwirksamkeit dieses Phänomens seien an dieser Stelle nur einige Filmtitel genannt: 2007 verschlug es uns Into the Wild, der zweimal für den Oscar nominiert wurde, 2010 harrten wir für 127 Hours in einer Felsspalte aus, wofür es gleich 6 Nominierungen gab, und 2012 erlitten wir in Life of Pi Schiffbruch mit Tiger, der mit 11 Nominierungen überhäuft wurde. Den eigentlichen Wendepunkt dieser Entwicklung bildet jedoch das Jahr 2014, als mit 12 Years a Slave, Captain Phillips und Gravity gleich drei Survival-Geschichten für den besten Film nominiert waren.

Trotz so unterschiedlicher Genres wie dem Spionagefilm und dem romantischen Drama lässt sich dieses Motiv auch in nahezu allen für die Oscars 2016 nominierten Filme nachweisen, wovon The Revenant, Mad Max: Fury Road und Der Marsianer nur die offensichtlichsten Beispiele sind. In Bridge of Spies - Der Unterhändler muss der Protagonist aus der Gefahrenzone Ost-Berlin entkommen. In Raum, Ex Machina und The Hateful 8 befinden wir uns in einem greifbaren Gefängnis, während die Protagonisten in Carol, Anomalisa und The Danish Girl einem figurativen Freiheitsentzug ausgesetzt sind. In Brooklyn begibt sich eine junge Irin auf eine persönliche Odyssee in die Vereinigten Staaten, wo sie in ungewohnter Umgebung die Fesseln der Vergangenheit abschütteln muss. Selbst in Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht muss Rey aus den Fängen der Ersten Ordnung entkommen.

Auf den zweiten Blick konfrontieren uns all diese Filme mit dem (täglichen) Kampf ums Überleben. Alle erzählen sie von Figuren, die von ihrer Gesellschaft getrennt wurden und sich nun unter harschen, teilweise lebensbedrohlichen Bedingungen bewähren müssen. Selbst Spotlight greift diesen Konflikt auf, in dem die als Kinder missbrauchten Opfer katholischer Priester sich selbst als "Überlebende" bezeichnen.

Auch Brie Larson kämpft in Raum ums Überleben

Woher stammt diese Faszination für die Darstellung von Überlebenskämpfen? Und vor allem: Handelt es sich dabei lediglich um eine Fast Food-Variante von Hochkultur, die alte Geschichten für ein schaulustiges Massenpublikum in sensationelle Kleider hüllt? Bietet uns Matt Damon statt Lotus Pommes mit Ketchup, während Leonardo DiCaprio dieselbe Speise mit Mayonnaise serviert? Oder aber haben wir es hier mit einer popkulturellen Travestie von Erzählarchetypen zu tun, die gleich einer Drag Queen die überlieferten Rollenbilder in ein überzogenes Gewand kleidet, um sie damit zu dekonstruieren?

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