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Faust-Verfilmungen

10.03.2018 - 14:51 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
F.W. Murnau: "Faust - Eine deutsche Volkssage" (1926)
Universum Film (UFA)
F.W. Murnau: "Faust - Eine deutsche Volkssage" (1926)
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"Faust" von Johann Wolfgang Goethe zählt zu den bekanntesten und wichtigsten deutschen Beiträgen zur Weltliteratur. Viele andere Autoren haben sich ebenfalls mit der Figur des Doktor Faustus beschäftigt. Auch im Kino hat der Wettstreit zwischen Gut und Böse im Laufe der letzten 120 Jahre auf vielfältige Weise seine Umsetzungen gefunden.

Den Namen Faust hat sicherlich jeder schon einmal gehört. Zumindest im Deutschunterricht wird er den meisten wohl begegnet sein. Bei der Geschichte des Doktor Faust und dessen Pakt mit Mephistopheles handelt sich zweifelsohne um einen der am häufigsten aufgegriffenen Stoffe der europäischen Literatur. Aus dem Kanon der Weltliteratur ist der Name nicht mehr wegzudenken. Zu großen Teilen beruht diese Figur auf einem umherwandernden Wunderheiler und Wahrsager namens Johann Georg Faust, der möglicherweise zwischen 1480 und 1541 gelebt hat. In der Literatur wird er jedoch weniger als Hochstapler sondern vielmehr als wissbegieriger Gelehrter charakterisiert. Ohne Frage am bekanntesten dürfte die Bearbeitung durch Johann Wolfgang Goethe sein, doch auch weitere Schriftsteller und Dramatiker wie Christopher Marlowe (The Tragical History of Doctor Faustus), ein Zeitgenosse Shakespeares, oder Thomas Mann (Doktor Faustus) zählen zu denen, die sich mit dem Fauststoff auseinandergesetzt haben oder sich davon haben inspirieren lassen. Heinrich Heine, Hermann Hesse und Friedrich Dürrenmatt zählen ebenso dazu wie Theodor Storm, Oscar Wilde oder Mikhail A. Bulgakov.

In den meisten Bearbeitungen lassen sich bestimmte Elemente stets wiederfinden. Das Streben eines älteren Gelehrten nach Weisheit. Das verführerische Angebot eines Paktes mit Mephisto, der Fausts Wunsch nach ewiger Jugend (sprich mehr Lebenszeit), oder dessen Begehren in Bezug auf die junge Margarete (Gretchen) ins Zentrum stellt. Auch ein tödliches Duell mit Gretchens Bruder Valentin, das Thema der Kindstötung, eine tragische Entwicklung der jungen Frau (Kerker, Scheiterhaufen, Agonie) oder die Erlösung durch die Liebe wurden häufig aufgegriffen. Goethe weitete mit seinem Faust II die Geschichte zu einer Parabel über die Menschheit aus, in der Faust verschiedenen Tätigkeiten nachgeht, um sich weiterzubilden. Themen wie Macht, Schuld, Sehnsucht, Vergebung und Sinn rücken nun verstärkt ins Bild, während sich Teil 1 auf das persönliche Innere der Figuren konzentrierte.

Goethes Werk aus der Zeit der Weimarer Klassik bietet sich natürlich zunächst einmal als Theateraufführung an. Nennenswerte Inszenierungen stammn von Dieter Dorn, Peter Stein oder Gustaf Gründgens. Aber auch aus der Kinowelt sind Faust-Umsetzungen nicht mehr wegzudenken. Viele namenhafte Filmemacher haben sich an dem Stoff versucht. Die erste Verfilmung dürfte "Faust et Marguerite" (Frankreich, 1897) vom Kinopionier Georges Méliès gewesen sein, der sich in den folgenden Jahren noch mehrmals mit dem Thema beschäftigte und weitere Kurzfilme drehte. Der erste bekanntere Spielfilm, der auf dem Fauststoff basiert, ist "Der Student von Prag" (Deutschland, 1913). Der 85 minütige Gruselfilm von Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye und Paul Wegener gilt heute als der weltweit erste künstlerische Autorenfilm. 1926 folgte ein gleichnamiges Remake von Henrik Galeen mit Conrad Veidt in der Hauptrolle. Noch im gleichen Jahr kam mit "Faust - Eine deutsche Volkssage" unter der Regie von Friedrich Wilhelm Murnau die erste Verfilmung in die Kinos, die sich direkt auf Goethes Klassiker beruft. In der Folge gab es zahlreiche Bearbeitungen aus den USA, Deutschland, Großbritannien, Spanien oder Frankreich, z.B. "Der Pakt mit dem Teufel" von René Clair. Die hierzulande wahrscheinlich bekannteste Verfilmung dürfte jedoch "Faust" von Gustaf Gründgens aus dem Jahre 1960 sein. Die meisten andere Filme basieren jedoch eher nur lose auf den literarischen Vorlagen oder sind krude Horrorfilme. Das Schauspielerpaar Richard Burton und Elizabeth Taylor verkörperte gleich in zwei Adaptionen die Hauptrollen: "Doctor Faustus" (Großbritannien, 1967) und "Hammersmith ist raus" (USA, 1972), einer Komödie von Peter Ustinov. "Der Meister und Margerita" (Italien/Jugoslawien, 1972) von Aleksandar Petrovic basiert auf der gleichnamigen literarischen Vorlage ("Ма́стер и Маргари́та") des Russen Bulgakov, der seinen Roman zwischen 1929 und 1940 in der stalinistischen Sowietunion schrieb. Außerdem beschäftigte sich der Tscheche Jan Svankmajer ebenso mit dem Stoff ("Faust", 1994) wie der Russe Aleksandr Sokurov ("Faust", 2011).

Auch in der Musik ist das Faustthema weit verbreitet, zum Beispiel bei Ludwig van Beethoven, Franz Schubert oder Richard Wagner, doch in diesem Artikel soll es zentral um die Verfilmungen gehen. Auf die Kinoumsetzungen durch Murnau, Gründgens und Sokurov möchte ich nun etwas näher eingehen, wobei ich mich nicht für eine chronologische Reihenfolge entschieden habe. Ausschlaggebend ist vielmehr die Nähe zur Goethe-Vorlage.


Gustaf Gründgens: "Faust" (1960)

FAUST (1960) von Peter Gorski und Gustaf Gründgens

Diese Verfilmung der Inszenierung von Goethes Faust (Erster Teil) von Gustaf Gründgens hat vielleicht so manch einer in seiner Schulzeit sehen dürfen... oder müssen. Als Regisseur wird Peter Gorski aufgelistet, aber der Adoptivsohn und eigentliche Lebenspartner Gründgens dürfte wohl nur recht wenig Einfluss auf dieses Projekt gehabt haben. Im Grunde handelt es sich hierbei fast vollständig um Gründgens Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus. Das Bühnenbild ist sehr einfach gehalten und der nahezu einzige Unterschied zu einer regulären Bühnenaufführung dürfte in der Verwendung von filmischen Mitteln wie Kameraschwenks und Nahaufnahmen liegen. Der augenscheinlich herausfallendste Moment lässt sich in der Walpurgisnachtszene finden, in der eine Atombombenexplosion über das Geschehen gelegt wurde. Abgesehen davon hält sich der Film inhaltlich fast nahezu vollkommen an die Dramatisierung Goethes; lediglich der Text wurde etwas gerafft. Der Zuschauer kommt jedoch niemals zur Ruhe, um Bilder betrachten oder emotionale Momente nachfühlen zu können. Da die Bildgestaltung absichtlich sehr zurückgenommen gehalten wurde, gibt es sowieso nur wenig zu betrachten.

Zitat Gründgens: „Aufgabe dieser Verfilmung muß es sein, die genaue Mitte zu finden zwischen gefilmtem Theater und reinem Film. Das Resultat einer 30jährigen Bemühung um Goethes 'Faust' darf weder abphotographiert noch durch filmische Interessanz aufgeweicht werden.“ - Gründgens war also daran interessiert, so wenig Kino wie möglich in diese Verfilmung zu bringen, um den Zuschauer durchgängig an die Quelle des Gezeigten zu erinnern.

Auch die Sprachgestaltung ist mehr Theater als Kino: Die Schauspieler agieren wie auf der Bühne, wo sie einzig durch ihre Stimme sämtliche Zuschauer erreichen müssen. Besonders stark fällt dies in der Darstellung Fausts durch Will Quadflieg auf. Aufgrund einer leicht überzogenen Darstellung bietet er einen etwas unverhältnismäßig emotionalen Doktor Faust dar, was jedoch hinsichtlich dessen innerer Zerrissenheit vielleicht sogar mehr als passend erscheinen kann. Über jeden Zweifel erhaben ist natürlich die schauspielerische Verkörperung Mephistos durch Gründgens selbst. Er hatte damals bereits mehrere hundert Mal diese Figur gespielt und sich 30 Jahre lang mit ihr beschäftigt, sodass er seine ironische Darstellung des Bösen auf eine ganz eigene Art und Weise herausgearbeitet hatte.

"Faust" wurde von der BRD als offizieller Vorschlag zum Fremdsprachen-Oscar der 33sten Academy Awards eingereicht, bekam dort allerdings keine Nominierung. Der Film gewann 1961 jedoch einen Deutschen Filmpreis als Besonders wertvoller Kulturfilm - eine Kategorie, die es heute nicht mehr gibt.

FAUST - EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE (1926) von Friedrich Wilhelm Murnau

Etwas weniger dicht an Goethes Vorlage ist der Stummfilm von F.W. Murnau. Aufgrund der noch fehlenden auditiven technischen Möglichkeiten konnte der Film natürlich nicht den Text vollumfänglich mittels Texttafeln widergeben. Murnau schaffte mit seinem letzten in Deutschland gedrehten Film jedoch eine mehr als würdige Umsetzung, die allerdings nicht ausschließlich auf Goethe basiert. Auch Elemente aus anderen literarischen Werken (wie beispielsweise Marlowes Dramatisierung) ließ er einfließen. Sämtliche relevanten Szenen aus Goethes Faust I lassen sich jedoch wiederfinden. Änderungen liegen beispielsweise darin, dass der Wettstreit im Himmel nicht zwischen Mephisto und Gott sondern mit Erzengel Michael ausgehandelt wird und es um nicht weniger als die Herrschaft über die Erde geht.

Der diabolische Mephisto, Herr der Finsternis, wurde von Emil Jannings gespielt, mit dem Murnau bereits in "Der letzte Mann" zusammenarbeitete und der 1929 für seine Darstellerleistung in den beiden US-Filmen "Der Weg allen Fleisches" und "Der letzte Befehl" zum ersten Schauspiel-Oscar-Gewinner überhaupt gekürt wurde (und der bislang einzige Deutsche geblieben ist). Die Rolle des Heinrich Faust übernahm der schwedische Theaterschauspieler Gösta Ekman. Gretchen wurde von der damals noch unbekannten Camilla Horn gespielt.

Die Bildgestaltung ist zeittypisch expressionistisch gehalten, was Murnau durchaus lag, wie er bereits einige Jahre zuvor mit "Nosferatu, eine Symphonie des Grauens" eindrucksvoll unter Beweis stellte. Andererseits sind insbesondere die Landschaftsaufnahmen stark an die romantische Malerei angelehnt. Murnau experimentierte eindrucksvoll beim Einsatz filmischer Möglichkeiten. Er gestaltete erinnerungswürdige Bildkompositionen und setzte seinerzeit außergewöhnliche Kamera- und Tricktechniken (wie beispielsweise Doppelbelichtungen) ein. Dies verleiht dem Film eine bis heute beeindruckende visuelle Kraft.

Anders als heute wurde Murnaus Film bei seiner Veröffentlichung nur mittelmäßig bewertet. Einige Kritiker attestierten Murnau seinerzeit mangelndes Verständnis bezüglich Goethes Faust obwohl es dem Filmemacher vielmehr an einem „eigenständigen, suggestiven Werk“ gelegen war. Heute hat sich diese Einschätzung glücklicherweise geändert.

FAUST (2011) von Aleksandr Sokurov

Aleksandr Sokurov, ein Schüler Andrei Tarkowskis, ging bei seinem Faust-Film sehr viel freier mit dem Stoff um. Der Russe lieferte mit diesem Film einen unerwarteten vierten Teil seiner Filmreihe über Macht, die sich aus "Moloch" (1999), "Taurus" (2001) und "Die Sonne" (2005) zusammensetzt und mit den korrumpierenden Einflüssen von Macht am Beispiel dreier Herrscher des 20. Jahrhunderts (Hitler, Lenin, Hirohito) auseinandersetzt. Die Handlung findet in einer kleinen, deutschen Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts statt. Doktor Faust sucht in Leichen nach der menschlichen Seele. Finanzielle Nöte treiben ihn zum Pfandleiher Mauricius Müller, der sich als Mephistopheles entpuppt. Faust unterschreibt einen Vertrag mit dem diabolischen Wucherer mit seinem eigenen Blut: Im Tausch für seine eigene Seele möchte er eine Nacht mit der Wäscherin Margarete verbringen. Aufgrund von Zweifeln, Ängsten und Schmerzen wendet er sich jedoch gegen seinen Verführer.

Sokurov nimmt klassische Elemente aus Goethes Werk (aus beiden Teilen) und von Thomas Manns Bearbeitung, aber auch aus Murnaus Film, bricht, ergänzt und setzt sie zu etwas Neuem, Eigenständigen zusammen. Er versucht mit seinem Film menschliche Handlungsweisen und Antriebe zu verstehen und untersucht deren innere Kräfte und Zwänge. Politische Themen spielen eine wichtige Rolle. Bei Mann gewinnt der Teufel die Macht über das Deutschland der 40er Jahre und Faust findet keine Mittel, dagegen anzugehen. Mann beschäftigte sich mit den Wurzeln des Nationalsozialismus. Sokurov geht mit seinem Film einen ähnlichen Weg und zeigt die Anfänge eines Jahrhunderts der Verbrechen.

Obwohl ein russischer Film, ließ Aleksandr Sokurov in deutscher Sprache drehen, weil er der Meinung war, dass es die Geschichte verlange. Dazu setzte er größtenteils deutschsprachige Schauspieler ein. Der Österreicher Johannes Zeiler spielt beispielsweise den Faust. In Nebenrollen sind unter anderem Georg Friedrich als Fausts Lehrling Wagner, Hanna Schygulla als Mephistos Frau, Florian Brückner in der Rolle des Valentin oder Lars Rudolph als Wirt zu sehen. Mephistopheles hingegen wurde durch den russischen Schauspieler, Komiker und Tänzer Anton Adasinsky verkörpert, während die junge Margarete von Isolda Dychauk gespielt wurde, einer deutschen Schauspielerin mit russischen Wurzeln.

Der Film ist äußerst bildgewaltig. Dazu engagierte Sokurov den französischen Kameramann Bruno Delbonnel ("Die fabelhafte Welt der Amélie"), mit dem er auch später an seinem Dokumentar-/Spielfilm "Francofonia" zusammenarbeitete. Die Einstellungen sind häufig durch Farbfilter verfremdet und die Figuren sowie Räume in einigen Szenen wie durch Zerrspiegel gefilmt worden. Die bildgestalterische Entfremdung, die so typisch für Sokurovs Gesamtwerk ist, unterstreicht eindrucksvoll die Gefühlswelt der Personen und trägt sie ins Sichtbare.

Sokurov gewann mit seinem eigenwilligen Faust-Film den Goldenen Löwen für den Besten Film bei den 68. Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Jurypräsident Darren Aronofskys Begründung: „Es gibt Filme, die dich zum Träumen, zum Weinen, Lachen und Nachdenken bringen, und es gibt Filme, die dein Leben für immer verändern. Dies ist einer dieser Filme.“

Aleksandr Sokurov: "Faust" (2011)

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Drei Filme aus den unterschiedlichsten Zeiten, mit den verschiedensten Motivationen oder Herangehensweisen; verbunden durch das zeitlose Thema, das die literarischen Vorlagen vorgeben. Für jeden Zuschauer sollte da etwas dabei sein. Goethe- und Theaterfreunde könnten mit Gründgens Film sehr viel Freude haben, während die expressionistischen Stummfilmbilder bei Murnau die Kinofans begeistern sollten. Für Sokurovs exzentrisches Werk benötigt es vielleicht etwas Offenheit und Begeisterungsfähigkeit für das Eigenwillige, aber dies kann mehr als lohnenswert sein.

Welchen Faust-Film bevorzugt ihr?

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