Fargo - Staffel 2, Episode 9 im Recap

10.12.2015 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Das Ensemble wird in der vorletzten Folge der 2. Staffel von Fargo derart dezimiert, dass für das Finale kaum noch jemand übrig bleibt. Neben dem Massaker von Sioux Falls verblasst sogar die waschechte UFO-Sichtung.

Ein Hoch auf die Dummheit von Provinzpolizisten! Ohne die eklatanten Fehlentscheidungen der Polizei von South Dakota hätte sich der Plot der 2. Staffel von Fargo vielleicht noch vier oder fünf Episoden hingezogen. Bei genauerer Überlegung: Vielleicht haben die Cops (mögen sie im Himmel weiter über Piss-Manieren diskutieren) den Jubel doch nicht verdient. Zumindest ich kann mich nur schwer damit abfinden, dass wir dem Luverne und Fargo des Jahres 1979 in einer Woche Lebewohl sagen müssen. Die 2. Staffel von Noah Hawleys Anthologieserie darf sich kurz vor dem Finale bereits als eine der besten des Serienjahres rühmen und die Robustheit von Hawleys erzählerischer Vision lässt sich vielleicht an keiner Szene besser ablesen als der UFO-Sichtung inmitten des Shootouts in Sioux Falls: In vergleichbaren Serien würde die extraterrestrische Erscheinung zum visuellen Gang auf einem extrem schmalen Grat geraten, zum potenziellen Sprung über den potenziellen Hai. Doch dank der narrativen Vorarbeit steigert sich The Castle (S02E09) zu einer Art Kleinkunstwerk, eine Staffel Fargo in der sprichwörtlichen Nussschale sozusagen.

Die Grundlagen für die UFO-Erscheinung im zentralen Moment der Episode haben die Fargo-Autoren von Beginn der 2. Staffel an gelegt und damit sind weniger die Spielbergschen Lens Flares, reflektierende Ballons und seltsame Zeitlöcher im Schnee gemeint. Vom Prolog an, in dem ein Haufen Statisten auf den "Cowboy" Ronald Reagan wartete, spielte Fargo mit den Grenzen zwischen erzählerischer Realität und Fiktion innerhalb der Fiktion. Da war der real existierende spätere US-Präsident in fiktionalen Filmen verschiedenster Genres zu sehen, was den stets vorgeschobenen Satz von der "wahren Geschichte", die auf Aussagen überlebender Zeugen basiere, natürlich von vornherein Lügen strafte. Die falschen Filme des echten Schauspielers Reagan - Sci-Fi, Western, Kriegsfilme - flimmerten munter im Hintergrund, während der Butcher von Luverne in den Bandenkrieg zwischen Kansas City und Fargo stolperte. Kein Wunder eigentlich, dass nach Reagans Besuch in The Gift of the Magi die Trennschärfe zwischen Erzählung und Erzählung innerhalb der Erzählung nach und nach ausgehebelt wurde. Fast so, als hätte Reagans (falsch erinnertes) Filmleben von der Erzählung Besitz ergriffen, wirkten Folgen wie die Rio Bravo-Variation Rhinoceros und das halbe Kammerspiel Loplop wie Popkulturviren, die aus der Mattscheibe entflohen sind und die Welt um sich herum infiziert haben. The Castle bildet mit seiner Erzählerstimme und dem massiven Einsatz von Flashbacks den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung. Wenn Peggy im Motelzimmer sitzt und im Fernseher derselbe Reagan-Reißer läuft wie in der Holzhütte, kommentiert die Serie sich selbst, steht doch der Bösewicht der Geschichte nach Reagans glorioser Rettung wieder auf - und wir wissen immer noch nicht, wie der Film ausgeht.

Mit dem Einsatz von Fargo-Veteran Martin Freeman als Zeremonienmeister der "History of True Crime in the Mid West " verweisen die Autoren Noah Hawley und Steve Blackman quasi doppelt und dreifach auf die Natur der Serie als "erzählte Geschichte", mit allen Ungenauigkeiten und Manipulationen, die das mit sich bringt. Nicht von ungefähr zeigen die Ausschnitte aus dem Buch überwiegend Skizzen der Beteiligten und Orte statt Tatort-Fotos: Das Märchen wird vor unser aller Augen aufgeschlagen. Und der Märchenonkel Freeman darf im Folgenden über die Motivation einzelner Figuren spekulieren und in Rückblenden noch einmal den Plot zusammenfassen. Es ist eine durchaus seltsame Wendung für eine erzählerisch dermaßen selbstsicher und konsequent konstruierte Serie wie Fargo, dass sie so spät in der Staffel, ein paar Meter vor der Ziellinie, innehält, um die Geschehnisse ziemlich offensichtlich Revue passieren zu lassen. Andererseits sollten wir uns nicht zwangsläufig auf die dargebotenen Deutungen zur Handlungsweise von Hanzee (Zahn McClarnon) verlassen. In erster Linie dient das Engagement von Martin Freeman und der auffällige Verweis der Autoren auf die Fiktionalität ihrer eigenen Serie doch als Vorarbeit für den außerirdischen Klimax der Episode. Freemans Einsatz und die Dehnung bisheriger Erzählkonventionen der Serie ist denn auch leichter zu verdauen als die Heftigkeit, mit der sich Hawley und Blackman narrativ auf die Inkompetenz und generelle Aufgeblasenheit der Polizei von South Dakota verlassen, um ihren Plot voranzubringen. Auch die kommt dank Ben Schmidt (Keir O'Donnell) nicht aus dem Nichts, doch die geballte Einfältigkeit, die wir in weißen T-Shirts im Motor Motel von Sioux Falls sitzen sehen, kommt der zügigen Abwicklung des Gerhardt-Klans allzu sehr entgegen.

Das alles sei angemerkt, ändert aber wenig daran, dass The Castle im Großen und Ganzen einigermaßen fantastisch ist. Vielleicht fehlt der vorletzten Episode der 2. Staffel von Fargo die emotionale Dichte von Rhinoceros oder Loplop, die jeweils stark auf einzelne Figuren konzentriert waren. Trotzdem bereitet es eine enorme Freude, dem narrativen Fargo-Uhrwerk beim Ticken zuzuhören, sobald es aufgezogen wurde. Das beginnt beim Aufbau der Spannung durch die herbeigesehnte Konfrontation von Mike Milligan (Bokeem Woodbine), Hanzee, den Gerhardts und der Polizei und gipfelt im pointierten Bruch mit den Erwartungen. Tatsächlich habe ich während des gesamten Shootouts im Motel kein einziges Mal über Milligans Abwesenheit sinnieren müssen, dafür ließen die unbeirrt ineinander greifenden Zahnräder der Konfrontation zu wenig Raum zum Denken oder gar Ausatmen. Spätestens als ein angeschossener Bear Gerhardt (Angus Sampson) - in Rage dank der Erkenntnis, dass er seine Familie in eine geschickt versteckte Falle geritten hat - Lou Solverson (Patrick Wilson) würgt und nur durch ein UFO über ihm abgelenkt wird, verflog meinerseits jeder Gedanke daran, wer auf dem blutüberströmten Schachbrett von Fargo noch auf seinen Zug wartet.

Ob das UFO nun eine Erscheinung des ohnmächtig werdenden State Troopers ist oder nicht, sollte in der Diskussion um diese 2. Staffel von Fargo eine untergeordnete Rolle spielen. Es ist in jedem Fall die ultimative Visualisierung des Absurden innerhalb der vor Camus- und vergleichbaren Referenzen überbordenden Serie. Sisyphos Lou und andere Figuren haben in den vergangenen Folgen vielfach den Versuch unternommen, die chaotischen Entwicklungen zwischen Kansas City, Fargo und Luverne zu verstehen, einen Sinn zu finden innerhalb der unsinnigen Gewalt. Die Müßigkeit dieses Unternehmens wird durch ein zufällig erscheinendes UFO über einem Motel in Sioux Falls, South Dakota regelrecht parodiert. Insofern zeugt The Castle schon wieder von einer beeindruckenden Logik, wenn in der absurdesten Folge der Staffel der auffälligste Versuch einer Erzählung, einer Deutung, ja, einer Sinnstiftung unternommen wird.

Zitat der Folge: "It's just a flyin' saucer, Ed. We gotta go." (Peggy FTW)

Anmerkungen am Rande:

  • Auf Wiedersehen Floyd, Bear und Co.: Ich werde euch und insbesondere Jean Smarts Nancy Reagan-Outfits vermissen
  • Hank darf nicht sterben. Nein, nein, nein, nein.
  • "Okay then." - Mike Milligan
  • "Oh, Christ. It's Rapid City all over again." - Fargo Season 4?
  • Die wahren Geschichten aus dem Mittleren Westen beginnen 1825. Was ich nicht alles geben würde, um eine Fargo-Staffel zu sehen, die im 19. Jahrhundert spielt.
  • Peggys aufgebrachtes "Hey!!!", als Ed Dummheit vorgeworfen wird, kriegt alle <3 dieser Welt.
  • "We're realized."

Alle Recaps zur 2. Staffel von Fargo:

Fargo Recap - Waiting for Dutch (S02E01)
Fargo Recap - Before The Law (S02E02)
Fargo Recap - The Myth of Sisyphus (S02E03)
Fargo Recap - Fear and Trembling (S02E04)
Fargo Recap - The Gift of the Magi (S02E05)
Fargo Recap - Rhinoceros (S02E06)
Fargo Recap - Did you do this? No, you did it! (S02E07)
Fargo Recap - Loplop (S02E08)

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