Wir schauen Fargo - 2. Staffel, 3. Folge

29.10.2015 - 10:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Fargo
FX
Fargo
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Wer die 2. Staffel von Fargo an sich vorbeiziehen lässt, ist selber schuld. Alle anderen können sich über eine 3. Folge freuen, in der sich einige Wege gefährlich kreuzen.

Einer der Gründe, warum Fargo eine meiner liebsten Serien der letzten Jahre ist, sind die kleinen Leute in ihrem Zentrum. Nicht die Lorne Malvos dieser Welt, wohlgemerkt. Lorne (Billy Bob Thornton) ist natürlich eine fabelhafte Figur, gerade für Drehbuchautoren, die 500 bis 600 Minuten Spielzeit füllen müssen. Hier eine Prise Chaos und - Zap! Pow! Swoosh! - Seriengold, das vielleicht sogar den Plot in die gewünschte Richtung zwingt. Lester Nygaard (Martin Freeman) meine ich damit auch nicht wirklich, wobei er sicherlich klein ist und das in jeder nur denkbaren Hinsicht. Die Figuren, die meine Liebe zur 1. Staffel entfachten und sie in der 2. weiter schüren, heißen Molly, Gus, Lou, Betsy und Hank. Fast alle zumindest zeitweise Cops, was seltsam ist. Immerhin gibt es gefühlt keinen Beruf, der im Seriengeschäft inflationärer in den Heldenmarkt gepumpt wird als unser Freund und Helfer. Spätestens seit The Shield - Gesetz der Gewalt bilden die uniformierten Staatsdiener die erste Anlaufstelle für Antihelden, die so düster sind, dass sie sich in der Grauzone zwischen Recht und Verbrechen hoffnungslos verlaufen haben. In manch anderer Anthologieserie mutierte dieser Heldentypus gar zum unfreiwillig komischen Klischee. In Fargo sind die Gesetzeshüter und Hobbydetektive der Stoff, aus dem Serien gemacht werden. Aber sie bleiben klein, irgendwie gewöhnlich und vor allem haben sie eines: Angst.

Weniger die große, die existenzielle Angst, sondern die ganz banale um Leib und Leben, die in einem Moment alles verändern kann: Stellt sich Marshall Will Kane in Zwölf Uhr mittags der Gang von Frank Miller oder sucht er das Weite? In Fargo finden sich die kleinen Helden wie der große Gary Cooper wiederholt allein im Angesicht des Verbrechens wieder. Hank (Ted Danson) hält die Prog-Rock-Kombo in spe an, lässt sich von Mike Milligan and the Kitchen Brothers nicht einschüchtern und schüttelt sich trotzdem hinterher, als hätte er sein Leben an sich vorbeiziehen sehen. Lou (Patrick Wilson) steht dem Trio in The Myth of Sisyphus (S02E03) gegenüber, zahlenmäßig unterlegen, doch unbeirrt. Hinterher braucht's zwei Stück Kuchen zur Beruhigung. Angst macht diese Kleinstadthelden aus, weil Coolness in Fargo entweder im Verbund mit Dummheit oder Gewissenlosigkeit auftritt. Sie ist weniger Schwäche als Zeugnis der Menschlichkeit von Helden, die von Unmenschlichkeit heimgesucht werden. Gus (Colin Hanks) lässt Malvo in der 1. Staffel weiterfahren, was ihn in seinem Ringen mit der Furcht als Held erst etabliert. Im Gegensatz dazu lernen wir seinen späteren Duluther Vorgesetzten Ben Schmidt (Keir O'Donnell) in The Myth of Sisyphus als feigen Opportunisten kennen. Per du mit Floyd Gerhardt (Jean Smart) hat er es sich in einem durch Angst funktionierenden System gemütlich gemacht. Einer von Will Kanes Nachbarn sozusagen, die den Gangstern lieber einen Whiskey über den Tresen schieben, als sich dem Duell zu stellen.

Die Verweise auf Fred Zinnemanns Westernklassiker Zwölf Uhr mittags verdient sich diese Fargo-Folge nämlich allemal. Before The Law beobachtete noch ausführlich die personellen Nachbeben der Waffle Hut-Morde. Das Drehbuch zur 3. Episode gibt sich da schon eifriger, was das Werkeln am Plot angeht. Das Gesetz ist nämlich nun zur Stelle. Gleich mehrfach kreuzen sich erstmals die Wege unserer bisherigen Hauptfiguren und ein paar Mal schrammen sie haarscharf an tödlichen Duellen vorbei. Hank und Betsy (Cristin Milioti) spekulieren in Peggys (Kirsten Dunst) Salon über Rye Gerhardts mögliche Fahrerflucht. Eine köstliche kleine Szene vor allem wegen Peggys plötzlicher Klarheit: "Ja, welcher Mensch würde schon mit einem Verletzten auf der Autohaube nach Hause fahren und Essen kochen?" Fragt Peggy in einem Ablenkungsmanöver, das ihre Neigung zu New Age-Selbsthilfekursen erklärt. Ihr Wunsch nach einem "besseren Ich" dürfte auf der Erkenntnis gründen, dass bei ihr tief drin irgendetwas so gar nicht stimmt. Und wir sind erst noch dabei, das herauszufinden. Lou lernt die wenig herzlichen Gerhardts endlich persönlich kennen und wir können uns hoffentlich auf einem ausführlicheren "Tanz" mit Dodd (Jeffrey Donovan) freuen. Sowohl hier als auch im Schreibmaschinenladen steht der Cop auf verlorenen Posten und Patrick Wilson spielt ihn mit einer markigen Souveränität, die trotzdem das unterschwellige Zittern nicht verbirgt.

Trotz all der Brutalität lebt Fargo auch in dieser Episode von einem Ideal. Ich weiß nicht, ob Frank Capra ein großer Fan einer Serie gewesen wäre, in der Menschen durch den Fleischwolf gedreht oder lebendig von heißem Teer übergossen werden [1]. Mit Lou, Betsy oder Hank wäre der Regisseur von Mr. Smith geht nach Washington oder Hier ist John Doe ganz sicher warm geworden. Schließlich sind sie zumindest momentan Helden der Kleinstadt, idealisierte gute Bürger, die an Recht und Gerechtigkeit glauben, und sich darin von überlegenen Mächten außerhalb der Stadtgrenzen nicht einschüchtern lassen. Ob es nun nach modernen ökonomischen Prinzipien operierende Verbrecher-Konzerne sind oder Aliens. Und so bleibt insbesondere Lou unter allen Figuren, die sich in diesen fiktiven Tagen des Jahres 1979 selbst überschätzen, verklären oder neu kennenlernen, einer der wenigen, die Bears (Angus Sampson) Bibelspruch zu Herzen genommen haben: Know Thyself. Kenne dich selbst. Bist du Jäger oder Gejagter?

Zitat der Folge: "I wanna be the best Me I can be."

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[1] Den Regisseur von Arsen und Spitzenhäubchen sollten wir an dieser Stelle aber nicht unterschätzen.

Anmerkungen am Rande:

  • Gleich mehrere Verweise auf die Präsidenten Nixon und Carter, aber kein Bruce Campbell in Sicht. Mike Milligan zitiert die Phrase "Peace with Honour", Richard Nixons durchaus beschönigende Beschreibung des Pariser Friedensvertrags 1973, der den Vietnamkrieg beendete und den zügigen Abzug der US-Truppen festlegte. Weiterhin imitiert Milligan Nixons viel parodierte "I'm not a crook"-Rede, die er 1973 bei einer Fragestunde mit Journalisten als Reaktion auf den Watergate-Skandal hielt. Ein Jahr später war er sein Amt los.
  • Mehrere tolle kleine Details in dieser Fargo-Episode: wie wir niemals das Büro der toten Richterin von innen sehen, obwohl alle möglichen Figuren hinein wollen; das Auto-Wrack im Hintergrund und Hanks Verwirrung, ob sein Gespräch mit Lou am Funkgerät nun over and out ist oder nicht; die Farbgestaltung, etwa im Kontrast der Erd- und Blautöne in Ryes Unterkunft, der die Spannung antreibt, oder die diffuse farbliche Wärme im trauten Heim der Solversons.
  • Nun möchte ich ein Plattencover von Mike Milligan and the Kitchen Brothers mein eigen nennen, idealerweise im Stil von Storm Thorgerson .


Alle Recaps zur 2. Staffel von Fargo:

Fargo Recap - Waiting for Dutch (S02E01)
Fargo Recap - Before The Law (S02E02)

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