Alle reden über Oppenheimer – aber Christopher Nolans bester Film ist ein ganz anderer

26.02.2024 - 18:00 UhrVor 2 Monaten aktualisiert
Oppenheimer liegt im Oscar-Rennen 2024 vorne
Universal/Warner
Oppenheimer liegt im Oscar-Rennen 2024 vorne
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Christopher Nolan geht mit seinem Film Oppenheimer als Favorit ins Oscar-Rennen. Eine Auszeichnung als Bester Regisseur oder für den Besten Film käme aber viel zu spät. Sein eigentlich bester Film ist Dunkirk, für den er unverdient leer ausging.

Oppenheimer dominiert mit 13 Kategorien die diesjährigen Oscar-Nominierungen. Christopher Nolans bisheriges Abschneiden bei Oscar-Verleihungen ist allerdings mehr als dürftig. Seine Filme sind zwar regelmäßig nominiert, räumen aber hauptsächlich in den eher technischen Kategorien wie Bester Filmschnitt oder Bester Soundmix ab.

Seine erste Oscar-Nominierung erhielt er mit dem Drehbuch zu Memento im Jahr 2002. Erst 16 Jahre später wurde er mit seiner ersten Nominierung als Bester Regisseur bedacht und zwar für den Kriegsfilm Dunkirk, der ebenfalls als Bester Film nominiert war. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences hat es allerdings versäumt, beide Preise an den besten Film des Jahres zu vergeben. Sorry Guillermo del Toro, aber Dunkirk ist nicht nur der beste Film des Jahres 2017, sondern auch insgesamt Nolans bester Film überhaupt.

Dunkirk ist Nolans Kinospektakel in Bestform

Christopher Nolan macht Filme fürs Kino. Das sagt er immer wieder, in jedes Mikrofon und in jedem Interview. Ihm geht es nicht nur um eine Geschichte, ihm geht es um das Erlebnis auf der großen Leinwand, das große Spektakel. Dunkirk ist dieses Erlebnis-Kino in Reinform. Der Film beginnt unvermittelt und überlässt uns während seiner erstaunlich kurzen Laufzeit von 106 Minuten kaum eine Sekunde zum Durchatmen. Mit dem Kriegsschauplatz hat sich Nolan das wohl größte cineastische Spektakel ausgesucht, das er auf die Leinwand bringen konnte.

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In seiner typischen Handarbeit setzt er die Ereignisse von Dünkirchen unter großem technischem Aufwand um. Mehr als 6.000 Statist:innen kamen während der Dreharbeiten zum Einsatz. In einer Szene versammelten sich 62 echte Schiffe an den Originalschauplätzen. Bei einer Evakuierungs-Szene koordinierten Nolan und sein Team einen Kamerakran, ein Spitfire-Jagdflugzeug sowie 1.5000 Statist:innen gleichzeitig.

Das alles brachte er als 70mm-Print auf die große Leinwand und Dunkirk war damit nach The Master und The Hateful 8 erst der dritte Film der 2010er-Jahre, der solch eine großformatige Präsentation erhielt. All das sorgt dafür, dass Nolans Vorliebe für große Kinobilder hier in perfekter Symbiose mit der Nachstellung eines großen Wendepunktes des Zweiten Weltkrieges und damit der Geschichte des 20. Jahrhunderts harmoniert. Unbegreiflich, dass die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences seine Leistung nicht ausgezeichnet haben.

Dunkirk ist nicht nur Nolans bester Film, sondern auch Hans Zimmers bester Score

Die langjährige und legendäre Zusammenarbeit von Christopher Nolan und Filmkomponist Hans Zimmer findet mit Dunkirk ihren absoluten Höhepunkt. Zugegeben, die bombastischen Charakter-Melodien aus der Dark-Knight-Trilogie oder die anschwellenden Schlussmomente aus “Inception” haben sich in die Filmgeschichte eingebrannt. Der Clou am Dunkirk-Score ist aber, dass die gesamte Musik den Film trägt. Von der ersten Sekunde an drückt der Score das Filmtempo nach vorn. Das liegt zum einen daran, dass große Teile des Films musikalisch untermalt sind. Von den 106 Minuten Filmzeit übernimmt Hans Zimmers Musik fast 60 Minuten.

Zum anderen liegt es im Aufbau der Musik. Zimmer setzt auf eine auditive Illusion, die “Shepard-Skala”, die eine unendlich ansteigende Tonleiter simuliert. Damit scheint der Score von Dunkirk immer weiter anzuschwellen und unendlich dramatischer zu werden. Zimmers Score greift den Aufbau und die Dramaturgie des Films perfekt auf. Kein Wunder, dass Nolan und Zimmer nach Dunkirk getrennte Wege gingen. Besser als perfekt geht es einfach nicht.

Der Kriegsfilm setzt auf Nolans Stärken

Christopher Nolan ist zwar ein gefeierter Regisseur, aber nicht unumstritten. In Dunkirk spielt er seine Stärken voll aus und stellt seine Schwächen in den Hintergrund. Zu seinen Stärken zählte schon immer die Verbindung zwischen Filmform und Inhalt. Mit Dunkirk schafft er es, sein etabliertes Spiel mit verschiedenen Zeitebenen und einer unkonventionellen Erzählstruktur auf den Inhalt anzupassen.

Dunkirk

Dunkirk erzählt gleichzeitig die Ereignisse von einer Woche (Bodentruppen), einem Tag (Seerettung) und einer Stunde (Lufteinsatz). Damit bringt er die drei Naturgewalten Erde, Wasser und Luft sowie die drei britischen Militäreinheiten Army, Navy und Air Force erzählerisch über die Filmform zusammen. Das ist zwar Nolan-typisch zunächst etwas verwirrend. Es löst sich aber schneller auf als etwa das komplizierte Vorwärts-Rückwärts-Spiel von Tenet oder die eher platten Zeitspielereien aus Interstellar.

Dunkirks Kniff, relativ unbekannte Gesichter in relativ unbedeutenden Einzelschicksalen zu zeigen, um damit einen großen historischen Wendepunkt der Weltgeschichte zu erzählen, funktioniert. Pathos und Kitsch zielen nicht auf einzelne Personen ab, sondern auf den großen Moment des Triumphs. Diese unpersönliche Erzählweise funktioniert für Nolan besser als etwa die Vater-Tochter-Beziehung von Interstellar oder das Familiendrama von Inception.

Generell ist bei Nolan der große Mythos wichtiger als die persönliche Geschichte. Zumindest funktioniert das in seinen Filmen meist besser. Oppenheimer zeigt das Problem recht deutlich, denn hier versucht Nolan beide Ebenen zu erzählen. Den Oppenheimer-Mythos erzählt er mit seinem Drehbuch aber nachvollziehbarer als die innere Zerrissenheit des J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy). Stattdessen erleben wir diese Ebene der Geschichte durch das starke Schauspiel Murphys.

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Dunkirk umgeht Nolans Schwächen

Einer der größten Kritikpunkte an seinem filmischen Schaffen ist sein offensichtliches Problem mit Frauenfiguren. In seinen Filmen sind sie entweder tot, sodass sie als abwesendes Beiwerk den männlichen Protagonisten charakterisieren (Memento, Interstellar), oder sie sterben durch die Hand des Protagonisten und liefern Motivation und Zweifel für ihn (Prestige - Die Meister der Magie, The Dark Knight, Inception).

Emily Blunt und Cillian Murphy in Oppenheimer

Bei Dunkirk spielen Frauen einfach keine Rolle und Nolan kann den Umstand mit den realen Ereignissen wegargumentieren. Das ist zwar kein Fortschritt, aber immerhin auch kein Rückschritt für ihn. Oder beides gleichzeitig, wie in Oppenheimer. Hier schafft Nolan es endlich einmal, mit Katherine „Kitty" Oppenheimer (Emily Blunt) eine vielschichtige Frauenfigur zu präsentieren. Allerdings bleibt sie erneut nur am Rand des Geschehens und in der zweiten Reihe hinter ihrem Ehemann. Auch das mag den historischen Klischees entsprechen, hätte diese aber filmisch nicht reproduzieren müssen.

Nolans Drehbücher zeichnen sich auch nicht gerade durch wortgewandte Dialoge aus. Im Gegenteil, oftmals erklärt er mittels klobiger Monologe die clevere Filmform, anstatt uns seine Figuren menschlich näherzubringen. Dunkirk ist hingegen ein schweigsamer Film, der mit Blicken statt mit Worten erzählt.

Mit Dunkirk schafft Nolan eine perfekte Balance zwischen seinen Stärken und Schwächen als Regisseur. Dazu setzt er auf die Erfahrungen seiner bisherigen Filmografie und bringt erstmals Form und Inhalt zu einer perfekten Symbiose. Das ist ihm seitdem leider nicht mehr so stark gelungen.

Dunkirk

Mit Tenet hat er sich enttäuschenderweise zu stark in seiner Formspielerei verloren und einen komplizierten, verkopften Film-Entwurf abgeliefert, der zu viele Ecken und Kanten hat. Oppenheimer setzt zwar viele Lektionen aus Dunkirk fort. Dem Film fehlt aber die Symbiose aus großformatigem Spektakel und erzählerischem Fokus, der grandiose Score von Zimmer sowie die feinjustierte Balance zwischen Nolans Stärken und Schwächen.

Trotzdem geht Nolan berechtigterweise als großer Favorit ins Oscar-Rennen. Schade ist nur, dass er die längst überfälligen Auszeichnungen nicht für sein eigentliches Meisterwerk erhalten hat.

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