Amazon hielt bis vor ein paar Tagen den wertvollsten Sci-Fi-Schatz aller Streaming-Dienste in den Händen: Peripherie. Auf den ersten Blick ist es ein unscheinbares Böse-Technik-in-naher-Zukunft-Bla-Bla. Auf den zweiten Blick haut es einen mit der Raffinesse von Westworld, der Schönheit von Sense8 und Twists um, bei denen sogar M. Night Shyamalan vor Neid erblassen würde.
Keine andere Sci-Fi-Serie hat mich in den letzten Jahren so überraschend und jede Folge wieder überzeugt, dass das Genre noch nicht auserzählt ist. Ich habe gejubelt, als die 2. Staffel Peripherie bestellt wurde. Aus dem Nichts killt Amazon die Serie mit einer Schock-Absetzung trotzdem. Als wär das nicht Grund genug für wochenlang verheulte Augen, sind die Hintergründe der Absetzung zum Ausrasten.
Amazon begeht einen riesigen Fehler: Die Sci-Fi-Konkurrenz ist extrem stark und trotzdem stach Peripherie hervor
Irgendeine Sternen-Konstellation muss für Sci-Fi-Fans seit ein paar Jahren richtig stehen, da so viele gute Serien daherkommen, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Apple hortet mit Silo, Severance, Foundation und For All Mankind vier Sci-Fi-Geniestreiche wie andere Nudel-Packungen. Bei Paramount+ überstrahlt Star Trek: Strange New Worlds alles und Netflix begeisterte mich mit der letzten Stranger Things-Staffel.
Peripherie konnte all diese Sci-Fi-Serien aber in einem wichtigen Punkt schlagen: Sie hat mich vollkommen unerwartet aus den Socken gehauen, verzaubert und schockiert. Mich alte Sci-Fi-Häsin, die sich alles reinzieht, wo Raumschiff oder Postapokalypse draufsteht.
Die gleichnamige Buchvorlage des bekannten Sci-Fi-Autors William Gibson * aus dem Jahr 2014 hielt den letzten neun Jahren KI-Entwicklung und Klimakrise tapfer stand. Die Storybeginnt, als Gaming-affine Rednecks ein mysteriöses VR-Headset in die Hände kriegen. Mehr solltet ihr aufgrund der WTF-Dichte gar nicht wissen. Gibson selbst hatte Angst beim Schauen der Serie, so geschickt und gnadenlos wurde die Vorlage umgesetzt.
Peripherie beweist, dass Sci-Fi-Serien das Komplettpaket sein können aus märchenhaftem Schauwert und cleverer Zukunftsvision – ganz ohne Jahrzehnte langes Franchise im Rücken. Amazon begeht mit der Schock-Absetzung deshalb einen riesigen Fehler. Peripherie besitzt das qualitative Kaliber und Underdog-Potenzial zum Kult-Hit.
Produziert von den Westworld-Macher:innen Lisa Joy und Jonathan Nolan und inszeniert von Horror-Meister Vincenzo Natali (Hannibal) geht Peripherie weit über die Vorlage hinaus. Nicht zuletzt wegen eines beachtlichen Budgets von 175 Millionen US-Dollar für Staffel 1, das teurere Serien wie Die Ringe der Macht oder The Witcher bei Weitem nicht so gut einzusetzen wissen.
Aber das Geld wird der Serie nun zum Verhängnis. Denn Amazon zieht die falschen Konsequenzen aus der aktuellen Streik-Lage in Hollywood.
Die Gründe für Amazons Sci-Fi-Absetzung haben mit dem Hollywood-Streik zu tun – und das ist zum Heulen
Im Falle von Peripherie hatte Amazon sich mit der Bestellung von Staffel 2 schon entschieden, das hohe Budget noch einmal aufzuwenden. Der Wert der Serie wurde also erkannt. Bei nachträglichen Schock-Absetzungen wie dieser spielt neben Geld nämlich meist noch ein zweiter Faktor eine Rolle. Das können Vertragsprobleme sein, Umstrukturierungen beim Sender oder in den letzten Jahren oftmals Dreh-Verzögerungen aufgrund der Corona-Pandemie.
Peripherie Staffel 2 wäre wegen der Produktions-Verzögerung wohl erst 2025 zu Amazon gekommen. Gerade müssen sich Dutzende gestoppte Serien auf lange Pausen zwischen Staffeln einstellen. Bei der Abwägung, welche Serie sie streichen sollen, um aufgrund der Ausnahmesituation Kosten zu sparen, fiel die Wahl von Amazon auf Peripherie. Der vergleichsweise teuren Serie mit dem vergleichsweise geringen Publikum – und keinerlei Franchise-Anknüpfung.
Das ist gleich dreifach zum Heulen. Erstens, weil es mit fairer Vergütung gar nicht erst zu dem Streik kommen würde.
Zweitens, weil Amazon ausgerechnet den Sci-Fi-Diamanten Peripherie zum Geldsparen killt. Und drittens, weil die Serie bereits verlängert war und der Konzern somit nicht nur die sprichwörtliche Faust in den Magen, sondern auch den Dolch ins Herz stößt.
Es wird lange dauern, bis wieder eine Serie wie Peripherie daherkommt. Bis dahin werde ich mir die 1. Staffel sicherlich mehrfach angeschaut haben. Denn auch wenn die Geschichte nicht auserzählt ist, kann Staffel 1 gut für sich alleine stehen. Vielleicht wird es ja doch noch was mit dem Kult-Hit.
Podcast-Tipp: Die besten Sci-Fi-Serien, die noch dieses Jahr starten
Damit der Absetzungs-Schock von Peripherie nicht zu tief sitzt, haben wir ein paar aufmunternde Vorschläge für euch. Wir stellen Sci-Fi-Serien vor, auf die wir uns 2023 richtig freuen.
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