Black Mirror provoziert und wir müssen darauf reagieren

10.11.2016 - 08:50 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Black Mirror - Staffel 3, Episode 4: San Junipero mit Gugu Mbatha-Raw und Mackenzie DaviesNetflix
1
10
Mit San Junipero bescherte uns die 3. Staffel von Black Mirror ein kleines Meisterwerk. Im Gespräch mit Hauptdarstellerin Gugu Mbatha-Raw und Serienschöpfer Charlie Brooker blicken wir hinter die Kulissen dieser famosen Kurzgeschichte.

Achtung, möglich Spoiler zur 4. Episode der 3. Staffel von Black Mirror!

Es ist ein sonniger Mittwochmorgen, als ich mich mit Charlie Brooker und Gugu Mbatha-Raw an einen kleinen Tisch im Hotelzimmer setzte, um über die 3. Staffel von Black Mirror zu reden. Der Blick durch das Fenster offenbart die ruhige, heile Welt des Central Parks - ganz im Gegenteil zu den sechs schaurigen Geschichten der Serie, die ich mir zuvor angesehen habe. Passend zur Sonne soll es heute um ein Black Mirror-Kapitel gehen, das zweifelsohne aus dem bisherigen Kanon der Serie heraussticht und hoffnungsvoll in unsere Zukunft blickt: San Junipero. Bevor ich aber überhaupt zum Fragestellen komme, will Black Mirror-Schöpfer Charlie Brooker wissen, unter welchem Titel sein Werk in Deutschland geläufig ist. "Schwarzspiegel", lautet seine Vermutung. Leider muss ich ihn enttäuschen.

Der Beginn unseres Gespräches dreht sich um den unglaublichen Ruf, den sich Black Mirror seit seiner Premiere 2011 auf Channel 4 erarbeitet hat und nun unter dem Hausdach von Netflix erneut, ja, noch zügelloser ausleben darf. Charlie Brooker zeigt sich begeistert über die vielen Möglichkeiten, die ihm die Zusammenarbeit mit dem VoD-Anbieter gewährte. Ein Satz, der nicht selten fällt, wenn es in Interviews zu Netflix-Serien um den kreativen Schaffensprozess geht. Charlie Brooker spricht über die vielen Freiheiten und ebenfalls das aufgestockte Episoden-Volumen: Sechs anstelle der drei ursprünglichen Kapitel sind es nun, die uns im Rahmen der neuen Black Mirror-Staffel erwarten. Eigentlich sollten es zwölf werden. Da aktuell jedoch kein Druck besteht, konnten die übrigen sechs, bis dato nicht produzierten Episoden entspannt in eine 4. Staffel verlagert werden.

Black Mirror - Staffel 3, Episode 4: San Junipero

Wenn Charlie Brooker die Sache mit so viel Sorgfalt angehen kann, worin besteht dann seine größte Aufgabe beziehungsweise Verantwortung, will ich von ihm wissen. Gibt es ein bestimmtes Ziel, das die Serie verfolgt?

Beim Schreiben der Serie habe ich kein Statement im Kopf und versuche, mich vom missionarischen Charakter des Formats loszulösen. Es gibt keine moralische Botschaft am Ende. Ich hoffe nur, dass die Geschichten die Menschen irgendwie berühren. Wirklich, das ist das Wichtigste; eine Reaktion vom Zuschauer. Ich erinnere mich daran, dass ich The End of the Affair von Graham Greene gelesen habe und als ich zum letzten Satz kam, lehnte ich mich überwältigt zurück und blickte sehnsüchtig in den Wind. Es war eine richtige Reaktion, die nur eine dermaßen mitreißend erzählte Geschichte provozieren konnte - und mich sogar physisch richtig mitgenommen hat. In Black Mirror soll es genau darum gehen, eine solche Reaktion zu provozieren.

Ob diese Reaktion hintergründig auch eine Warnung vor der Zukunft sein könnte? Charlie Brooker verneint die Frage.

Nein, ich sehe die Serie nicht als Warnung. Ich bin vielleicht ein bisschen misstrauisch, aber wenn du Menschen wirklich vor etwas warnen willst, dann musst du ganz genau wissen, vor was du sie warnst. Die Menschen würden nämlich im gleichen Atemzug erwarten, dass du ebenfalls eine Lösung des Problems offerierst. Die Serie macht das aber nicht.

Viel wichtiger ist der Schritt, der nach der Sichtung passiert, fügt Gugu Mbatha-Raw begeistert hinzu.

Ich finde, dass Black Mirror deswegen so großartig ist, weil die Serie zum Dialog auffordert. Jeder reagiert anders auf die verschiedenen Gedankenspiele. Jede Episode erzählt eine völlig eigene Geschichte. Folglich ist es kein Wunder, dass die Serie polarisiert. Aber genau darum geht es da. Die Auseinandersetzung macht die Serie so interessant.

So erschütternd die erzählten Geschichten in Black Mirror auch sein mögen. Ich komme darauf zurück, dass die 3. Staffel durchaus optimistische Töne zulässt. Besonders San Junipero wirkt unheimlich hoffnungsvoll. Woher kommt diese Hoffnung nach all den vernichtenden Parabeln auf unseren Umgang mit Technologie? Während Charlie Brooker betont, dass die Serie nicht anti-technologisch ist, sondern sich stattdessen um das Versagen der Menschen im Umgang mit dem technologischen Fortschritt dreht, beschreibt Gugu Mbatha-Raw die große Stärke von San Junipero weiter:

Ich glaube, San Junipero ist die bisher hoffnungsvollste Episode, weil sie so vielschichtig und vielseitig ist. Es gibt durchaus düstere Ecken in der Geschichte, versteckte, tiefere Level, die sich erst nach und nach offenbaren. Vielleicht braucht es aber gerade diese Balance aus Paranoia und Hoffnung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Mischung dafür verantwortlich ist, dass San Junipero einen solch bleibenden Eindruck hinterlässt.

Abseits davon bewahrt sich die Serie dadurch ihre Unberechenbarkeit, erläutert Charlie Brooker. In einer Zeit der ständigen Wiederkehr immer gleicher Dinge gehört diese Eigenschaft wohl zu einem der wertvollsten Güter, die Black Mirror zu bieten hat.

Wenn jede einzelne Episode im puren Grauen enden würde, dann wäre der Effekt spätestens nach einer Staffel nicht mehr so stark. Eine Desensibilisierung, für die eigentlichen Probleme, die angesprochen werden, darf auf keinen Fall stattfinden. In Black Mirror geht es nicht um eine realistische Reflexion der Realität, sondern um eine bewusst, in verschiedene Richtungen übersteigerte.

Was San Junipero im Black Mirror-Universum so einmalig macht? Dazu gehört mit Sicherheit die sprunghafte Bewegung durch verschiedene Dekaden unserer Vergangenheit. Bisher bewegten sich die einzelnen Black Mirror-Episoden stets in einer Zeitebene. San Junipero sprengt dieses Konzept. Doch warum gerade diese obsessive Fixierung auf die 1980er Jahre?

Ursprünglich habe ich mit dem Gedanken gespielt, am Ende ganz viele Verschiedenen Ären zu zeigen. Die 1920er, die 1930er, die 1960er ... aber ich glaube, die 1980er Jahre, das waren die Jahre, die für mich am meisten Sinn gemacht haben. Ich wurde 1971 geboren. Also bin ich nun ungefähr 550 Jahre alt [lacht]. 1987 war ich aber erst 16 und konnte die Musik und alles drumherum überhaupt nicht leiden.

Noch ehe Charlie Brooker seine Anekdote zu Ende erzählen kann, gibt es von der anderen Seite des Tischs Protest: "Die Musik war soooo gut! Erzähl nichts!?", meldet sich Gugu Mbatha-Raw überrascht-entsetzt zu Wort. Aber genau darum geht es Charlie Brooker. Jetzt aus der Distanz greift die Nostalgie und es ist deutlich leichter über etwas zu schreiben, mit dem nostalgische Gefühle verbunden sind. Daraufhin ergänzt Gugu Mbatha-Raw:

Außerdem sind die 1980er Jahre so eine unglaubliche witzige, gutgelaunte Zeit. Gerade im Bezug auf den Hintergrundgedanken von San Junipero. Ohne viel zu spoilern, aber es geht hier um einen warmherzigen Ort, voller Überschwänglichkeit und Lebensfreude. Angenommen San Junipero wäre ein deprimierender Ort - das wäre definitiv eine weitaus weniger schöne Erfahrung.

"Ich wollte auch auf keinen Fall ins San Junipero des Jahres 2016 gehen", platzt es aus Charlie Brooker heraus. "Das kann ich mir auch nicht vorstellen", bestätigt seine Kollegin. "Die Gegenwart ist furchtbar." Zustimmendes Nicken am Tisch - und dieses Interview wurde geführt, bevor die US-Wahlen ihren verheerenden Höhepunkt erreicht hatten.

Black Mirror - Staffel 3, Episode 4: San Junipero

Um vom Frust abzulenken, erkundige ich mich nach den vielen popkulturellen Referenzen, in San Junipero. Filmplakate von The Lost Boys, Scream - Schrei! und Die Bourne Identität sind offensichtlich im Hintergrund des Geschehens zu erkennen. Warum gerade diese Auswahl?

Teilweise liegt es schlicht daran, dass es die einzigen Filme waren, bei denen wir die Rechte klären konnten. Es liegt oft nur an solchen Dingen. The Lost Boys ist trotzdem interessant: Die Figuren werden niemals älter und sterben nicht. Das steht, glaube ich, sogar auch auf dem Poster. In diesem Fall spiegeln die popkulturellen Bezüge die Thematik der Episode wieder. Darüber hinaus haben wir uns ebenfalls Gedanken gemacht, welcher Hinweis die Zuschauer sofort in die jeweilige Zeit versetzt. Die Bourne Identität zum Beispiel - das ist so 2000er.

Dabei vergessen werden darf natürlich nicht die Musik. Gugu Mbatha-Raw gesteht, dass sie sich zur Vorbereitung auf ihre Rolle eine ganze Playlist mit Songs aus den 1980er Jahren erstellt hat. Allerdings basierte ihre Auswahl auf ersten Entwürfen von Charlie Brookers Skript. Madonna, Prince, Janet Jackson, Whitney Houston: Leider haben es zum Schluss nicht alle in die finale Fassung der Episode geschafft. Es war trotzdem sehr hilfreich, sich in die jeweilige Zeit der einzelnen Szenen hineinzuversetzen - auch mittels Kleider, Frisuren und Make-up. Gugu Mbatha-Raw schwärmt zudem vor allem von der Zusammenarbeit mit Mackenzie Davis und hat auch für Regisseur Owen Harris nur lobende Worte übrig. Wenngleich es nur sehr wenig Zeit zum Proben gab: "Ich würde es sofort wieder tun", lautet Gugu Mbatha-Raws abschließendes Fazit.

Black Mirror - Staffel 3, Episode 4: San Junipero

Ob es bald eine Reunion, etwa in Form einer Sequel-Episode, geben wird, will ich daraufhin wissen. Ehe ich mich versehe, sammeln die beiden erste Ideen. "Dieses Mal würde die Geschichte in den 1920er Jahren spielen und sie würde richtig düster und erschreckend werden", scherzt Gugu Mbatha Raw. "Du würdest Menschen nur mit deinen eigenen Händen umbringen. Das wären die amischen Morde. Und der finale Twist ist, dass bei all dem Schrecken überhaupt keine Technologie involviert war", denkt Charlie Brooker die spaßige Idee zu Ende. Black Mirror, Staffel 4? Here I come!

Alle Recaps zur 3. Staffel von Black Mirror:

Freut ihr euch auf die 3. Staffel von Black Mirror?

Das könnte dich auch interessieren

Schaue jetzt Black Mirror

Kommentare

Aktuelle News