1995 - Braveheart weckt schottischen Nationalstolz

29.10.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
1995 - Braveheart weckt schottischen Nationalstolz
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1995 - Braveheart weckt schottischen Nationalstolz
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Verrückt, welche Auswirkungen Filme auf Kultur und Politik haben können. Ein halbwegs aktuelles und faszinierendes Beispiel ist Mel Gibsons historisches Schlachtenepos Braveheart, das 1995 schottischen Nationalstolz weckte.

Wie stellte mein Sportlehrer damals auf Klassenfahrt in einem philosophischen Moment fest? Am Ende geht es doch immer nur um die Frauen. Klingt banal, zugegeben, aber da ist schon was dran. Ein Blick in die Weltgeschichte reicht aus, um zu sehen, dass wegen Frauen Kriege ausgelöst, Städte angezündet und hohle Holzpferde nach Troja geschmuggelt wurden. Und selbst bei ehrenhaften Nationalheroen lassen sich Vertreterinnen weiblichen Geschlechts als auslösendes Moment für lange Heldenkarrieren im Lebenslauf ausfindig machen.

Schottischer Nationalheld, Frauenversteher und Jesus in einer Person
Als ein bösartiger Sheriff William Wallaces frisch angetraute Kindheitsliebe Murron hinrichten lässt, schwört der tief Gekränkte Rache. Dies ist die Geburtsstunde der legendären Figur Braveheart, die die Schotten in die Unabhängigkeit von der Unterdrückung der Besatzungsmacht England führen sollte. Und auch wenn das Schlachtenepos von und mit Mel Gibson sich nicht in allem an die historische Faktenlage hielt, so schaffte es doch, den Schotten ein neues Selbstbewusstsein zu geben.

Der Eindruck liegt nahe, dass sich auch Mel Gibson gern als eine Art internationaler Nationalheld sieht. Der Australo-Amerikaner, der in Mad Max sein Spielfilmdebüt gab, wurde in den Achtziger Jahren zu einem gefeierten Hollywoodstar und kontroversen Filmemacher, der mit Was Frauen wollen Genderforscher und mit Die Passion Christi Katholiken gegen sich aufbrachte. Heute macht der einstige Superstar zwar eher Schlagzeilen mit Alkoholismus, homo- und xenophoben Äußerungen, seine großen Erfolge kann ihm aber niemand so schnell absprechen.

Jahrtausende alte Geschichte kommt im Mainstream an
Braveheart nahm weltweit 210.409.945 US-Dollar ein und gewann fünf Oscars, unter anderem für den Besten Film und den Besten Regisseur. Aber ganz so historisch korrekt, wie es sich gern präsentierte, war das Machwerk von Mel Gibson dann doch nicht. Die blaue Kriegsbemalung war zur Zeit, in der der Film spielt, schon seit gut 1000 Jahren aus der Mode, Kilts trugen die beinharten Schotten noch lange nicht, und die von Sophie Marceau verkörperte Prinzessin Isabella, das französische Love-Interest unseres Helden, war zur entsprechenden Zeit tatsächlich noch ein Kleinkind.

Aber hey, ein erfolgreiches Blockbuster-Drehbuch muss eben einige gängige Spielregeln befolgen, und das Aufhübschen des Spannungsbogens zahlte sich aus. Die Wirkung von Braveheart ging über die direkten Reaktionen im Kinosaal weit hinaus. In der ganzen Welt und auch im Land selbst weckte der Film plötzlich Interesse an der schottischen Geschichte.

„…aber niemals nehmen sie uns unsere Freiheit!“
Die jährliche Braveheart-Konferenz im Stirling-Castle verzeichnete ein Jahr nach der Veröffentlichung des Films plötzlich mehr als doppelt so viele Teilnehmer, historische Schauplätze und Drehorte wurden geradezu überrannt und Tourismusforscher räumten ein, dass der sogenannte Braveheart-Effekt der Branche in den folgenden Jahren bis zu 15 Millionen Pfund mehr in die Kassen spülte.

Eine 12 Tonnen schwere Sandsteinskulptur von Mel Gibson in der Rolle des William Wallace wurde im Park nahe Stirling aufgestellt. Die Reaktionen hierauf überschlugen sich allerdings nicht gerade vor Begeisterung. Ein Anwohner bezeichnete die Skulptur als einen „Haufen Scheiße“, und auch Vandalismus blieb nicht aus. Das Bauwerk jede Nacht in einen schützenden Stahlkäfig zu sperren, gefiel den Leuten jedoch auch wieder nicht, denn das lief schließlich Wallaces Ruf nach „Freiheit!“ zuwider.

Was zu beweisen war…
Die historisch geprägten und emotional aufgeladenen Debatten um Braveheart machten sich wie zu erwarten auch Politiker zunutze. Die Krimi- und Drehbuchautorin Lin Anderson unterstellte dem Film sogar, die politische Landschaft Schottlands Mitte der Neunziger Jahre sehr stark geprägt zu haben. Und auch heute muss Braveheart noch oft als Gallionsfigur für politisches Kalkül herhalten.

Wenn sich die Schlacht von Bannockburn in zwei Jahren zum 700. Mal jährt, sollen fünf Millionen Schotten in einer Volksabstimmung die Unabhängigkeit vom Vereinten Königreich erklären. Das hat Alex Salmond, der Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei versprochen, und geriert sich somit ein wenig als neuer Robert the Bruce. Ob aus dem Anliegen des Nationalisten tatsächlich etwas wird, sei aber dahingestellt. Denn schließlich müssten die Schotten dann auch identitätsstiftende Symbolfiguren wie die allgegenwärtige Queen aufgeben. Quod erat demonstrandum: Am Ende geht es doch wieder nur um die Frauen.

Drei Filmleute, die ihr Debut feierten
Charlize Theron in Kinder des Zorns 3
Michael Bay mit Bad Boys – Harte Jungs
Peter Sarsgaard in Dead Man Walking

Drei Filmleute, die gestorben sind
22. Februar 1995 – Ed Flanders, Pater Dyer aus Der Exorzist III
17. Juli 1995 – Harry Guardino – Lt. Al Bressler aus Dirty Harry
25. Dezember 1995 – Dean Martin, Jamie aus Auf dem Highway ist die Hölle los

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscar – Braveheart von Mel Gibson (Bester Film, Bester Regisseur)
Golden Globe – Sinn und Sinnlichkeit von Ang Lee (Bestes Drama)
Goldene Palme – Underground von Emir Kusturica

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Stirb langsam – Jetzt erst recht von John McTiernan
Toy Story von John Lasseter
Apollo 13 von Ron Howard

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
17. Januar 1995 – Erdbeben der Stärke 7,2 in Kobe, Japan
24. Juni – 7. Juli 1995 – Christo und Jeanne-Claude verhüllen den Reichstag
15./16. Dezember 1995 – die Regierungschefs der EU einigen sich auf den Euro als gemeinsame Währung

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