1964 - Filmgeschichte für eine Handvoll Dollar

03.09.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
1964 - Filmgeschichte für eine Handvoll Dollar
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1964 - Filmgeschichte für eine Handvoll Dollar
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Vom Blick nach Fernost der letzten Woche wendet sich Markante Momente heute dem glatten Gegenteil zu: dem Western. Aber halt, ganz so westlich wird es nicht. Schließlich gibt es ja noch die italienische Variante.

Einsam läuft ein Mann in dunkelgrünem Poncho durch die staubigen Straßen, rauchend. „Get three coffins ready“, beauftragt er nüchtern den alten Sargbauer, und zwei Minuten später sind vier Männer tot. „My mistake, four coffins“, sagt Clint Eastwood im Vorbeigehen trocken zum Sargbauer. Über allem schwebt die charakteristische Musik von Ennio Morricone, ein Stakkato aus Glockenklängen, Blockflötentönen und Peitschenschlägen. Die Rolle des einsamen Cowboy aus der Low-Budget-Produktion Für eine Handvoll Dollar machte nicht nur seinen Hauptdarsteller zum Star, sondern auch seinen Regisseur Sergio Leone zum Begründer eines neuen Genres.

Western goes Europe
In den sechziger Jahren ächzten Lichtspielhäuser auf dem ganzen europäischen Kontinent unter zurückgehenden Kartenverkäufen. Nur in Italien rissen sich die Menschen nach wie vor die Kinotickets aus den Händen. Arthouse-Produktionen von Federico Fellini und Michelangelo Antonioni feierten große Erfolge und gleichzeitig verlangte das Publikum unterhaltende Genrefilme. Krimiformate wie der nach den gelben Umschlägen der billigen Kriminalromanheftchen benannte Giallo, florierten und gothic-angehauchte Horrorfilme fesselten die Zuschauer. Die satirische Commedia all’italiana nahm die Gesellschaft auf die Schippe und Sandalenfilme beschworen die Zeit der Antike.

Und noch ein weiteres Genre feierte seine Geburtsstunde. Während in den USA der klassische Western, der von André Bazin gekürte „American film par excellence“, zunehmend ausblutete, feierte im Süden Europas der Italowestern Kassenerfolge. Die Figuren im neuen Subgenre kämpften nicht mehr ehrenhaft altruistisch für das Gute. Sie waren von Rache getrieben oder gleich vom schnöden Mammon, pflegten einen nur allzu lockeren Umgang mit ihren Waffen und legten Wert auf ihr Image als einsamer Wolf.

Der unausweichliche Showdown
Der Spaghettiwestern war stark beeinflusst vom japanischen Samuraifilm. Auch Für eine Handvoll Dollar war ein Remake des nur ein paar Jahre älteren Yojimbo, der Leibwächter von Regie-Legende Akira Kurosawa. Neben all der Unterhaltung kamen natürlich auch die filmtechnischen Innovationen nicht zu kurz. Bei Sergio Leone ging die Kamera so nah an die Schauspieler heran, dass nur noch die Augen den gesamten Bildkader ausfüllten. Schnelle Schnitte zwischen Gesichtern und Waffen markierten den unausweichlichen Showdown, der mit den Jahren immer brutaler inszeniert wurde.

So schloss sich schließlich der Kreis und der Italowestern beeinflusste wiederum den US-amerikanischen Spätwestern, der mit monumentalen Werken wie The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz neue Gewaltexzesse hervorrief. Was wohl John Ford dazu gesagt hätte?

Django – Der Mann mit dem Sarg
Die Geschichte des Italowestern steckt neben filmhistorischen Innovationen aber auch voller Skurrilitäten. Mit Django landete Sergio Corbucci 1966 einen Riesenerfolg und sein Hauptdarsteller Franco Nero wurde mit der Rolle so berühmt, dass kurzerhand ein eigentlich im Vorfeld abgedrehter Film zu Django – Der Rächer umbenannt und als Fortsetzung deklariert wurde.

Viele Produktionen sprangen in den folgenden Jahren auf diesen Erfolgszug auf und ganz besonders deutsche Verleiher waren hochmotiviert, wenn es darum ging, allen neuen Streifen mit Franco Nero den Namen ‚Django‘ in den Titel zu knallen. Und das selbst, wenn es sich wie bei Dschungel Django nicht einmal mehr um einen Western handelte.

Der seltsame Humor deutscher Verleiher
Die deutschen Verleiher hatten in Sachen Italowestern generell einen ziemlich seltsamen Humor. Nicht nur, dass sie die Werke meist in schwer verstümmelten Schnittfassungen in die Kinos brachten, auch die Synchronisation verfälschte nicht selten den ursprünglichen Dialog bis zur Unkenntlichkeit. So lamentierte Clint Eastwood in der deutschen 1980er Neufassung von Für eine Handvoll Dollar über seinen Maulesel Alfons, das „empfindsame Tierchen“, anstatt wie im Original nicht auch nur eine einzige Silbe zu verschwenden.

So oder so boten aber vor allem die billig produzierten Spaghettiwestern immer wieder unfreiwillige Komik, letztlich auf die Spitze getrieben durch das Hau-Drauf-Duo Bud Spencer und Terence Hill. Letzterer hatte seine Karriere der verblüffenden Ähnlichkeit zum blauäugigen Franco Nero zu verdanken, und persiflierte nun in der Kombination mit seinem schwergewichtigen Kumpanen das Genre an allen Ecken und Enden. Noch heute treffen sich begeisterte Spencerianer zu gemeinsamen Bohnensuppen-Gelagen um Streifen wie Vier Fäuste für ein Halleluja zu sehen. So wie ich als Kind gemeinsam mit meinem Opa. Der Italowestern hat wohl mehr Leben beeinflusst, als einige vielleicht denken.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1964 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
07. Januar 1964 – Nicolas Cage, verfluchter Kopfgeldjäger aus Ghost Rider
05. Februar 1964 – Laura Linney, hinterhältige Ehefrau aus Die Truman Show
09. März 1964 – Juliette Binoche, flatterhafte Süßwarenproduzentin aus Chocolate

Drei Filmleute, die gestorben sind
23. März 1964 – Peter Lorre, pfeifender Verbrecher aus M – Eine Stadt sucht einen Mörder
13. April 1964 – Veit Harlan, umstrittener Regisseur von Jud Süß
15. Oktober 1964 – Cole Porter, gespielt von Cary Grant in Tag und Nacht denk’ ich an dich

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Tom Jones von Tony Richardson (Bester Film, Regisseur)
Goldene Palme – Die Regenschirme von Cherbourg von Jacques Demy
Goldener Löwe – Die rote Wüste von Michelangelo Antonioni

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
My Fair Lady von George Cukor
James Bond 007 – Goldfinger von Guy Hamilton
Mary Poppins von Robert Stevenson

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
27. März 1964 – Das Karfreitagsbeben in Alaska ist das bisher stärkste Erdbeben in der Geschichte der USA
12. Juni 1964 – Nelson Mandela, Anführer des African National Congress wird wegen Subversion und Sabotage zu lebenslänglicher Haft verurteilt
10. Dezember 1964 – Martin Luther King erhält in Oslo den Friedensnobelpreis

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