1915 - Die Geburt des Langfilms

30.07.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
The Birth of a Nation
Epoch Producing Co.
The Birth of a Nation
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Aus den Nuller und Zehner Jahren des 19. Jahrhunderts sind unzählige Kurzfilme bekannt. David Wark Griffith erkannte eines Tages, dass das Publikum mehr wollte und drehte mit Die Geburt einer Nation einen bis heute kontroversen 190-Minüter.

Er war ein Pionier der frühsten Filmgeschichte, Mitgründer einer jahrzehntelang erfolgreichen Produktionsfirma und Regisseur von sage und schreibe fünfhundertfünfunddreißig Filmen, darunter echte Meilensteine. Bei einer sonntäglichen Umfrage in der nächstbesten Fußgängerzone wüssten, so wage ich zu spekulieren, trotzdem siebenundneunzig von hundert Menschen nichts mit dem Namen David Wark Griffith anzufangen. Dabei war der Mann vor gerade mal knappen hundert Jahren noch ein echter Kassenschlager.

Vom Tellerwäscher zum Motion-Picture-Millionär
Als der nur mäßig erfolgreiche Dramatiker D.W. Griffith aus Kentucky nach New York kam, glaubte freilich noch niemand an den großen Erfolg, den der Mann mit sich bringen würde. Edwin S. Porter (richtig, der mit Der große Eisenbahnraub) gab ihm immerhin eine Rolle in dem Kurzfilm Rescue from an Eagle’s Nest. Griffith hatte nun endgültig Blut geleckt und begann, sich im Filmbusiness umzusehen. Er wurde Regisseur bei der Produktionsfirma Biograph.

Und was tut ein Regisseur, wenn er in ein kleines, unbekanntes Dorf mit hübscher Landschaft und freundlichen Menschen kommt? Er dreht dort einen Film: In Old California brachte ganze 17 Minuten auf die Leinwand und gilt als der erste Film, der jemals in Hollywood gedreht wurde. Bei all seinem Erfolg – sein Studio ließ Griffith nicht die freie Hand, die er sich wünschte. “Biograph thought that a movie that long would hurt the audience’s eyes”, so brachte es die Schauspielerin Lillian Gish später auf den Punkt.

Ein teures Vergnügen
Aber D.W. Griffith wollte mehr. Er verließ seinen Heimathafen, gründete die Reliance-Majestic Studios und realisierte dort ein Werk, das mit seinen 190 Minuten Laufzeit alles bisher Dagewesene um ein Vielfaches übertraf. Ein Stunde – länger ging vorher kaum ein Film, und Skeptiker prophezeiten den frühen Ruin für Griffith. Um die damals astronomisch hohen Produktionskosten von 112.000 US-Dollar wieder einzuspielen, verlangte er an den Kassen den Rekordticketpreis von zwei Dollar. Würdet ihr stolze 45,95 US-Dollar für einen einzigen Kinobesuch hinblättern? So viel würde der Einlass heute im Verhältnis kosten.

Die Menschen rissen sich wider Erwarten die Karten gegenseitig aus der Hand und machten Geburt einer Nation zum ersten Blockbuster und dem erfolgreichsten Stummfilm aller Zeiten. Der Film basierte auf dem Roman The Clansmen von Thomas F. Dixon Jr. und zeigte den amerikanischen Bürgerkrieg aus der Perspektive der Südstaaten.

Innovativer Erneuerer oder böser Rassist?
Bis heute verehren Wissenschaftler und Kritiker Geburt einer Nation für seine vielen filmischen Innovationen. Für Nachtaufnahmen benutzte der Regisseur Magnesiumfackeln, er ließ einen eigenen Soundtrack für ein Orchester komponieren, färbte bestimmte Sequenzen ein, um den Film zu einem dramatischen Höhepunkt zu bringen, und um hunderte Statisten für seine spektakulären Schlachtenszenen zu dirigieren, stellte er sich am Set auf einen zehn Meter hohen Turm. Selbst Leuchtsignale kamen zum Einsatz, wenn all die Rauchbomben und Geschosse seine Anweisungen übertönten.

Auf der Liste der kontroversesten Filme aller Zeiten der Entertainment Weekly steht das epische Werk von D.W. Griffith allerdings nicht umsonst auf Platz 7. Schon seit der Premiere hagelte es Rassismusvorwürfe. Nicht nur, dass alle wichtigen schwarzen Rollen im Film von geschminkten weißen Schauspielern gespielt wurde, auch die Inhalte des Films waren fragwürdig. Er sympathisierte mit der Sklavenhaltung in den Südstaaten genau wie mit dem berüchtigten Ku-Klux-Klan, der mittlerweile mit dem Streifen Mitglieder anwirbt.

Was die Kritiker davon halten
Ob der Rassismus im Film nun unüberlegt oder gezielt daherkam, ist noch heute Gegenstand von Diskussionen. Die Romanvorlage ist in jedem Fall schwarzenfeindlich, vielleicht wählte D.W. Griffith den Stoff aber auch nur wegen des visuellen Schauwertes für seinen Film. Die Kritik an seinem Werk verstand er jedenfalls bis zu seinem Tod im Jahre 1948 nicht.

Die National Association for the Advancement of Colored People nannte Geburt einer Nation „drei Filmmeilen Schmutz“. Der berühmte Filmkritiker und Pulitzer-Preisträger Roger Ebert drückte sich etwas differenzierter aus. Für die Chicago Sun-Times schrieb er: „The Birth of a Nation ist kein schlechter Film, weil er eine böse Sache vertritt. Wie Leni Riefenstahls Triumph des Willens ist er ein großer Film, der eine böse Sache vertritt. Zu verstehen, wie er das tut, heißt viel über Film zu lernen und sogar etwas über das Böse selber.“

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1915 bewegte:

Sechs Filmleute, die geboren sind
21. April 1915 – Anthony Quinn, der Emir aus Sindbad, der Seefahrer
06. Mai 1915 – Orson Welles, Jahrhundertregisseur von Citizen Kane
20. Juni 1915 – Terence Young, Regisseur von James Bond 007 jagt Dr. No
29. August 1915 – Ingrid Bergman, „Kleines“ aus Casablanca
12. Dezember 1915 – Frank Sinatra, Reporter aus Die oberen Zehntausend
19. Dezember 1915 – Édith Piaf, französische Chanson-Sängerin, unter anderem gespielt von Marion Cotillard in La Vie en rose

Drei Filmleute, die ihr Debut feierten
Douglas Fairbanks in The Lamb von Christy Cabanne
W.C. Fields in einem unbetitelten Film von Ed Wynn
Erich von Stroheim mit The Country Boy (ohne Credit)

Zwei Ereignisse der Filmwelt
18. Juni 1915 – die Motion Picture Directors Association wird gegründet
18. November 1915 – Inspiration von George Foster Platt wird veröffentlicht, der erste Film mit einer Nacktszene der Hauptdarstellerin (Audrey Munson)

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
22. März 1915 – mit der Belagerung von Przemysl endet die größte Belagerung des Ersten Weltkrieges
22. April 1915 – bei der Zweiten Flandernschlacht setzen die Deutschen erstmals Giftgas ein
07. Mai 1915 – die britische RMS Lusitania wird von einem deutschen U-Boot versenkt

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