Community

Wolfskinder: Die Wildnis im Herzen

01.04.2016 - 07:20 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
In der Wildnis Zuhause
Walt Disney
In der Wildnis Zuhause
4
12
In Legenden, Mythen und Märchen aller Kulturen gibt es sie, die menschlichen Findelkinder, die von wilden Tieren adoptiert und aufgezogen werden. Nicht wenige Filme behandeln fiktionale Geschichten der sogenannten Wolfskinder. Für das April-Thema "Animalisch" wählte ich drei bekannte Geschichten aus, um mich dem menschlichen Herz, geformt durch die Wildnis, zu widmen. Achtung, Spoilerspuren zu den Filmen "Das Dschungelbuch", "Disney's Tarzan" und "Prinzessin Mononoke".

Es sind Grundfragen unserer Existenz, mit denen wir uns hier konfrontiert sehen, auf diesen unsere Neugierde und unsere Faszination sich begründen: »Was macht uns zum Menschen?«

Ein Mensch, der in freier Wildbahn erzogen wurde ist die Verkörperung eines natürlichen, primitiven Lebenselementes, dass wir durch die Eingliederung in die menschliche und zivilisierte Gesellschaft verloren glaubten. Im Grunde ist dieser Instinkt nur unterdrückt. Und hier spreche ich nicht nur vom temperamentvollen Verhalten oder dem instinktiven Handeln. Das was uns vom Tier unterscheidet ist bekanntlich primär die Fähigkeit des kreativen Denkens und die Möglichkeit des freien Willens. Doch was passiert, wenn wir gezwungen werden uns an einen von Menschen fernen Lebensraum anzupassen ohne jedoch die menschliche Gesellschaft gekannt zu haben? Wir lassen den etwas tiefer verborgenen Aspekt der animalischen Seite geboren werden, die wir von uns weitgehend abstreiften als wir uns zum Menschen weiterentwickelten.


Wolfskind als Begriff

Schon Romulus und Remus könnte man als sogenannte Wolfskinder bezeichnen, wurden die Begründer des alten Roms der Sage nach doch von einer Wölfin aufgezogen. Reale Wolfskinder müssen jedoch nicht zwingend von Tieren adoptiert sein, was der Begriff fälschlicherweise annehmen lässt. Der Definition nach versteht man unter Wolfskinder jene Kinder, die aufgrund temporärer sozialer, menschlicher Isolierung, im Vergleich zu normal aufgewachsenen Kindern, ein verändertes, der jeweiligen Umgebung angepasstes Verhalten aufweisen, wie auf vier Beinen zu gehen, verbesserte Sinneswahrnehmung oder der Verzehr von rohem Fleisch. Diese Kinder haben entweder allein oder unter Tieren in der Wildnis gelebt oder wurden von anderen Menschen eingesperrt, isoliert und misshandelt.

Rund 50 solcher Fälle wurden in den letzten 300 Jahren wissenschaftlich bekannt. Die meisten davon entpuppten sich allerdings als reine Fantasieprodukte.


Das Gesetz des Dschungels

Das undurchdringliche Dickicht des geheimnisvollen, indischen Dschungels ist der Ort, an dem das Findelkind Mogli aufwächst. Der Junge wird von Wölfen aufgezogen und von seinen beiden Beschützern, dem Bären und dem Panther im Gesetz des Dschungels unterrichtet. Seit dem Disney-Märchen Das Dschungelbuch ist diese tierische Geschichte wohl das bekannteste filmische Beispiel zum Thema Wolfskind.

Jungle Book: Sketch Book

Titel: Das Dschungelbuch
Regie: Wolfgang Reitherman
Produktion: USA - 1967

Nimm das Menschenjunge fort mit dir und erziehe es, wie es sich ziemt für einen vom freien Volk. - aus der Buchvorlage

Literarische Vorlage: Die Geschichte basiert auf einer Sammlung von Erzählungen und Gedichten aus der Feder des britischen Autors Rudyard Kipling, die er in den Jahren 1894 und 1895 verfasste. Bestehend aus sieben Fabeln, davon erzählen allerdings nur die ersten drei vom Findelkind Mogli, welches von Wölfen groß gezogen wird. Die Handlung ist im indischen Dschungel angesiedelt, die Tiere haben menschliche Eigenschaften und handeln menschengleich nach moralischen Grundsätzen.

Im Laufe der Zeit entdeckt Mogli seine wahre Natur und fühlt sich trotz der Fremdheit zu seinem Volk, mehr und mehr davon angezogen. Die Begegnung mit dem Dorfmädchen Shanti und das damit aufkeimende Interesse an ihr, veranlasst ihn letztendlich dazu in die Welt der Menschen zurück zu kehren.

Die Geschichte hat zahlreiche filmische Verkörperungen erfahren. Am populärsten ist allerdings das aus 1967 stammende Disney Märchen. Es wird von einer verzauberten Kindheit, mit weniger bedrohlichen und dramatischen Elementen als in der Vorlage erzählt.

älteste Verfilmung: Das Dschungelbuch von Zoltan Korda (1942)
neueste Verfilmung: The Jungle Book von Jon Favreau (2016)


Der Mann aus dem Dschungel

Tarzan ist ein Mann, der zunehmend zwischen seinem bürgerlichen und seinem wilden Selbst hin - und her gerissen ist. Er ist das klassische, wilde Kind, das im Säuglingsalter von Tieren erzogen wurde, die sowohl mit menschlichen, als auch mit nichtmenschlichen Attributen ausgestattet sind.

Concept Art: Disney's Tarzan

Titel: Walt Disney's Tarzan
Regie: Chris Buck/Kevin Lima
Produktion: USA - 1999

But the girl, ah--that was a different matter. He did not reason here. He knew that she was created to be protected, and that he was created to protect her. - aus der Buchvorlage

Literarische Vorlage: Im Jahr 1914 schuf der amerikanische Schriftsteller Edgar Rice Burroughs die Figur Tarzan, dem Helden aus dem Urwald. Tarzan zählt bis heute zu einer der bekanntesten Figuren der Abenteuerliteratur.

Eine junge Familie aus England strandet nach einer Meuterei auf See an der afrikanischen Küste und baut sich im Dschungel ein neues Heim, doch die Eltern fallen der wilden Natur zum Opfer. Das Kind überlebt und wird von einer Gruppe Affen aufgezogen. Der erwachsene Tarzan begegnet im Dschungel zufällig Jane, der Tochter eines Wissenschaftlers und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Durch das Aufeinandertreffen mit seinesgleichen beginnt er nach seinen Wurzeln zu suchen.

Auch hier ist das Ende mit der Rückkehr in die menschliche Zivilisation verbunden, dessen Interesse dafür durch die Begegnung mit Jane ausgelöst wurde. Anders als in der Disney-Verfilmung, wo Jane gemeinsam mit ihrem Vater im Dschungel verbleibt und sie somit ihre animalische Seite erwecken und leben, entschließt sich Tarzan zusammen mit Jane den Dschungel zu verlassen und mit ihr nach England zu gehen.

älteste Verfilmung: Tarzan bei den Affen von Scott Sidney (1918 )
neueste Verfilmung: The Legend of Tarzan von David Yates (2016)


Unter Wölfen

Die mythologische Fantasie von Prinzessin Mononoke trägt nicht nur Miyazakis Lebensphilosophie, im Einklang mit der Natur zu leben in sich, sondern greift auch das Thema des Wolfskindes, diesmal anhand einer starken Frauenfigur, auf.

Concept Art: Prinzessin Mononoke

Titel: Prinzessin Mononoke
Regie: Hayao Miyazaki
Produktion: Japan - 1997

Ihre Menscheneltern, die meinen Wald besudelten, sind vor mir geflohen und haben mir ihr Kind vor die Füße geworfen! Ich habe sie aufgezogen! Und nun ist meine arme, hässliche, schöne Tochter weder Wolf noch Mensch! - Moro

Die erste Begegnung mit der der titelgebenden Prinzessin, San genannt, spiegelt bereits die innige Bindung zu den Wölfen wider. Nicht nur das Wohlergehen ihrer Familie liegt ihr am Herzen, sondern auch das des Waldes und seiner sonstigen Bewohner. Ihr größtes Anliegen ist es, die Menschen, die den verwunschenen Wald des Waldgottes zu zerstören drohen, zu stoppen, wenn es sein muss, durch den Tod.

Miyazakis Figuren können bekanntlich selten bis nie in eine schwarze oder weiße Kategorie eingeordnet werden. San ist anfänglich in ihrem blinden Hass auf die Menschen gefangen. Ihre Einstellung gegenüber ihnen ist nicht gerade verwunderlich, wenn man bedenkt, dass sie diese nur aus dem Blickwinkel der Tiere, als Bedrohung wahrgenommen und kennen gelernt hat. Eine Entwicklung Sans ist allerdings definitiv erkennbar, da sie im Laufe der Geschichte immer mehr Vertrauen zum menschlichen Prinzen Ashitaka, aufgrund seiner Ehrlichkeit, fasst. Er vermag auch ihre Ablehnung gegenüber Lady Eboshi etwas zu mindern, die nicht nur den Wald immer mehr aufgrund notwendigen Holzmaterials verkleinert, sondern auch den Waldgott zu töten versucht. Somit stellt Ashitaka zumindest eine dünne Verbindung zwischen dem Menschenvolk und dem Wolfsmädchen her. Die aufkeimenden Gefühle des Vertrauens zu ihm irritieren San anfangs und veranlassen sie ihre menschliche Seite zu erforschen und sich selbst zu hinterfragen. Zuvor verleugnete sie diese, denn sie hatte sich stets als vollwertige Wölfin angesehen.

Vorlage: Der Originaltitel lautet auf japanisch Mononoke-Hime, was übersetzt soviel wie Geisterprinzessin bedeutet. Im japanischen Volksglauben besitzt die Geisterprinzessin die Fähigkeit mit den Tiergeistern zu kommunizieren. San ist im Film zwar menschlich, aber ihre Figur ist definitiv von dieser Gestalt inspiriert.

Anders wie den beiden anderen Geschichten existiert hier keine explizite, schriftliche Vorlage, sondern fungiert vielmehr der frühere Film und dessen Hauptfigur Nausicaä als solche. Nausicaä und San verfügen beide über viele Ähnlichkeiten wie beispielsweise, dass sie mit Tieren kommunizieren können oder ihre Verbundenheit zur Natur.


Fazit: Alle drei Geschichten nehmen eine Wendung, wenn die wilden Kinder der Natur auf ihresgleichen treffen, sozusagen durch die Konfrontation von Tier- und Menschenwelt. Es erweckt in ihnen etwas, was man als Gefühl der Zugehörigkeit benennen kann. Die kindliche Neugierde, die sie sich stets bewahrten ist Mitgrund, warum sie meistens zu ihnen zurück kehren und ein Leben in der neuen Welt wählen. Ein Leben in menschlicher Zivilisation.

....

Weitere animalische Beiträge:

Who let the Dogs out? von Grimalkin

Wie würde mein Leben in Zoomania aussehen? von Martin Canine

Tierische Einflüsse von Stefan Ishii

Creation: Vom Mensch sein und bleiben von pleasant28

....

blog me if you can

FAQ - Artikelübersicht

THEMA FÜR DEN 1. MAI: Schöne neue Welt: Zukunftsvision, Lebensraum, Gesellschaftsstruktur: Diesen Monat geht es um Dystopien und Utopien.

Interesse, auch bei blog me if you can mitzumachen? Meldet euch bei chita91 oder Grimalkin!

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News