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Creation – Vom Mensch sein und Mensch bleiben

01.04.2016 - 18:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Der Mann, der den Menschen unter die Tiere gerechnet hat
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Der Mann, der den Menschen unter die Tiere gerechnet hat
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Charles Darwin ist mitunter der Mann, der wissenschaftlich bewiesen hat, dass wir Menschen uns biologisch gesehen eigentlich zu den Tieren rechnen müssen, und dass alles in der Natur denselben Gesetzen unterliegt. Und nachdem ich Creation von Jon Amiel gesehen hatte, musste ich einfach diesen Text verfassen. Ein Text darüber, warum wir Menschen den natürlichen, ja, den animalischen Prinzipien unterliegen, und warum wir aber trotzdem etwas Eigenes sind – denn wunderbarerweise erzählt der Film über den Mann, der Mensch und Menschenaffe auf eine gemeinsame Herkunft zurückgeführt hat (wenn auch noch nicht ganz korrekt), vor allem davon, was es heißt, ein Mensch und kein Tier zu sein.

Achtung, es folgt mitunter ein kleiner Crashkurs in Evolutionstheorie. Die Biologiestudentin ist wieder am Werk.

Der Witz ist – wenn ich an „animalisch“ denke, fallen mir natürlich auf Anhieb lauter Tiere ein. Aber wenn ich nur ganz kurz länger darüber nachdenke, begreife ich, dass man bei diesem Thema genauso gut über das unserer Meinung nach gegenteilige Thema schreiben kann – über „menschlich“. Im Endeffekt sind wir Menschen schließlich auch Teil des großen Stammbaums der Tiere.

Unsere Ahnenlinie ist irgendwann von der der Menschenaffen abgezweigt. Wenn man ganz weit zurückgeht, über Menschen, Menschenaffen, Wirbeltiere, Chordatiere...dann waren unsere ganz frühen Vorfahren in Kolonien lebende, auf Steinen pappende, blinde Tiere ohne großes Hirn oder Ähnliches. Die Veränderung, die in der Natur stets vonstatten geht, dass Arten von Stammarten abzweigen und sich aus diesen Arten wieder neue entwickeln, all das ist auch in unserer Ahnenlinie passiert. Wir sehen uns sehr gerne als etwas ganz Besonderes innerhalb des großen Systems – ohne es biologisch gesehen zu sein. Es gibt so gesehen nicht Menschen und Tiere, sondern nur die Metazoa – das System der Tiere, von dem auch wir Teil sind.

Im Reich der lebenden Wesen sind wir aus demselben Prinzip heraus geboren wie alle anderen auch: Der besser Angepasste überlebt (Das ist nämlich die richtige Übersetzung des berühmten Satzes „Survival of the fittest“, Nicht „Der Stärkere überlebt.“). Die Lebewesen, die nicht so fit, nicht so gut angepasst sind, geben eben mit geringerer Wahrscheinlichkeit ihr Erbgut weiter und irgendwann verschwinden bestimmte Gene eben. Und dadurch landeten wir Menschen irgendwann auf zwei Beinen, ohne Fell, dafür mit enormer Hirnleistung (zumindest manche) und opponierbarem Daumen. Nicht, weil wir uns so toll geplant evoluiert haben, Evolution ist etwas Passives. Und schon gar nicht, weil wir nach dem Ebenbild eines göttlichen Planers geschaffen wurden.

Dieses Prinzip, dessen Erkenntnis eine ganze Gesellschaft über den Haufen werfen würde, hatte Darwin erkannt. Und dieses Prinzip ist das, was wir von ihm kennen.
Aber auch, wenn man uns theoretisch als einfache Tiere bezeichnen und damit eigentlich richtig liegen könnte – so sind wir es doch eigentlich nicht. Und das zeigt ein besonderer Film am Beispiel einer einzigen Person, und dann auch noch am Beispiel der Person, die die „Krone der Schöpfung“ auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat.

Creation heißt er, und ist in der Hauptrolle erstaunlich gut besetzt. Paul Bettany hat mich für knapp zwei Stunden völlig verdattert mitgenommen auf das Anwesen Darwins. Er und Jon Amiel haben mir gezeigt, was sich aus all der Asche, in die Darwins Theorie die Erhabenheit der menschlichen Schöpfung verwandelt haben, trotz allem hervortut. Was für uns Studenten so sehr auf reine Wissenschaft, auf reine Natur, Rohheit und Überleben reduziert wird, war auch nur ein Mensch.

Ein Mensch, dessen bahnbrechende Idee in der Lage war, die gesamte menschliche Gesellschaft aus den Angeln zu heben und zu erschüttern. Statt sich lange in wissenschaftlichen Diskursen zu ergehen, zeigt Amiel allerdings, warum wir Menschen vielleicht biologisch, evolutiv gesehen nichts Besonderes sind, aber wenn man es in einem anderen Licht betrachtet, eben doch: Uns bleibt nämlich noch unsere Menschlichkeit.

Ich habe in der Uni nie etwas über den Menschen Charles Darwin erfahren, und eigentlich ist es schwierig, zu rekonstruieren, wie ein solches Genie genau getickt hat. Sein Hauptwerk ist uns erhalten, Briefe, Tagebücher. Aber den Menschen selbst können wir nicht mehr befragen. Das war auch den Machern von Creation klar und sie haben es trotzdem versucht. Haben die Geschichte eines Mannes erzählt, der Familie und wissenschaftliche Arbeit, gesellschaftliche Regelungen, Krankheit und Tragödien, Kritiker und Freunde unter einen Hut bringen musste. Im Endeffekt ist die Geschichte nichts großartig Besonderes, denn das große Welterbe ist zwar ein immer wiederkehrendes Motiv – das Buch, das den Mann so umtrieb – doch eher ein Erzählkniff als Hauptthema. Eigentlich geht es nämlich nur um das Leben eines Familienvaters, der eben eine neue Idee hatte. Und um Menschlichkeit.

Menschlichkeit ist etwas, was man glaube ich nie ganz biologisch erklären können wird. Liebe, Mitgefühl, die Verbindung zwischen einem Vater und seiner Tochter, Leiden am Tod eines geliebten Menschen – das alles ist sicherlich bis zu einem gewissen Punkt analysierbar. Aber irgendwann kommt jeder Wissenschaftler an einem gewissen toten Ende an. Die Menschlichkeit, die Seele eines Menschen, das ist nicht fassbar und nicht erörterbar – aber sie macht uns aus, egal ob wir Wissenschaftler oder Priester sind.
Und darum sieht man in Creation zwar Strecken der Reisen Darwins, man sieht ihn mit seinen Tauben, die er zur Vererbungsuntersuchung gezüchtet hat. Man kann ihm über die Schulter schauen beim Schreiben und ihn bestimmte Arten bestimmen hören – aber worum es in Creation wirklich geht, ist alles, was dahinter stand.

Denn Darwin selbst hatte seelisch viel zu ertragen und zu erleiden. Hat auf menschlicher Ebene viel mitgemacht. Er war selbst immer wieder schwer krank, ohne eine Diagnose oder wirkliche Therapie zu haben. Er hat seine älteste, ihm unglaublich nahe stehende Tochter verloren. Und er stand am einen Ufer, seine geniale Theorie im Gepäck, die er nicht loslassen konnte, und musste irgendwie mit allem fertig werden, und der für ihn gefühlte Rest der Welt stand am anderen Ufer. Und damals war die Erklärung für alles Leid auf der Welt nicht die Wissenschaft, sondern die Religion. Charles konnte sich am Glauben kaum festhalten, um seine seelischen Verletzungen zu heilen, doch seine Frau schon. Er war kurz davor, den Glauben völlig zu untergraben, und ihr war der Glaube sehr wichtig.

All das wird sehr...ich möchte fast sagen, „zärtlich“, erzählt. Ein sehr großer Teil der Szenen sind Interaktionen Darwins mit seinen Kindern: Liebevoll und einfühlsam gezeichnet, immer verknüpft mit seiner Art, der Familienvater UND Wissenschaftler zu sein. Er spielte mit ihnen, zeigte ihnen aber auch seine Welt. Jede einzelne Szene gibt einem das Gefühl, selbst eines der Kinder zu sein, sicher auf dem Schoß des Vaters, geborgen und geliebt. Es ist ein Stück heile Welt, sobald Darwin bei seinen Kindern ist.

Nur, wenn er alleine mit seinen Sorgen, seinen überwältigenden Gedanken ist, zerbricht das – und hier gibt es auch immer wieder surreale Szenen voll wirrer Traumbilder, die wunderschön und meiner Meinung nach sehr nachvollziehbar zeigen, was für eine geistige und seelische Belastung alles Erlebte für den Menschen Charles Darwin gewesen sein muss. Selbstzweifel, Familie, und der Zwiespalt zwischen dem was man weiß und dem was man fühlt.

Paul Bettany und Jennifer Connelly stellen diesen Zwiespalt wunderbar dar, und auch, dass man ihn irgendwie überbrücken kann, wenn man Religion und Wissenschaft kurz über Bord wirft, und einfach nur sein Gegenüber sieht, nur den Menschen, den man liebt. Ich glaube, dass hier ein echtes Ehepaar vor der Kamera stand, gibt dem Ganzen den rechten Schliff. Gott, klinge ich heute kitschig. Aber es ist doch wahr. Am Ende ist es egal, woran wir glauben, an Gott oder die Wissenschaft, uns eint trotzdem die Tatsache, dass wir am Ende Menschen sind, mit einem Herz und einer Seele, und beide Seiten können die nicht grade gut erklären. Wir wissen nur, dass sie da sind. Und wir können sie auch nicht einfach ablegen und uns „weiter entwickeln“. Wir sind alle an unsere Gefühle und unseren seelischen Zustand gebunden. Wir trauern um unsere Verstorbenen und freuen uns über die Siege unserer Liebsten. Und das bleibt eine Tatsache, obwohl wir auch "nur Tiere" sind.

Ich weiß nicht wirklich, wie nah der Film und die Buchvorlage dafür, „Annie’s Books“, wirklich an der Realität sind – ich weiß, dass sehr viel Material von den direkten Erben Darwins zur Verfügung gestellt wurden, unter anderem persönliche Schätze von Anne Darwin, der als Kind verstorbenen ältesten Tochter Charles‘. Aber trotz aller Aussagen von Regisseur und Autor bleibt es ein Biopic, ein Film, der sich als solches Medium gar nicht auf reine Fakten beschränken DARF. Aber selbst, wenn man sich hier künstlerisch auch etwas mehr ausgetobt hat, gefällt mir der Gedanke, dass in diesem großen wissenschaftlichen Genie ein ganz menschliches Wesen steckte, wie du und ich, mit Gefühlen, einer Familie, und einer Seele – mit dem, was uns eben vielleicht doch zu etwas Besonderem macht.

Viele kritisieren an „Creation“, dass er sich zu sehr im Melodram verliert und zu sehr an einem Ereignis seines Lebens aufhängt, statt sich mit seinen Reisen nach Galapagos oder Ähnlichem zu beschäftigen. Vielleicht geht es nur mir anders, weil ich die „spannenden“ Teile seines Lebens schon so oft zu hören bekommen habe. Weil ich endlich mal was vom Vater und Ehemann sehen wollte. Und weil es sich für mich echt angefühlt hat und eben nicht melodramatisch.

Ich kann euch den Film wirklich nur empfehlen, und das, obwohl ich eigentlich kein sonderlicher Biopic-Fan bin. Genießt die Musik, die Bilder, fühlt mit, lasst euch wie ich von Paul verzaubern und zum Lächeln bringen. Er hat sich übrigens sehr süß dazu geäußert, wie schwer es war, als Nicht-Genie ein solches „Mastermind“ darzustellen:

„I imagined that if I stared at barnacle long enough people would think that I was very very bright.“

Und er sagte noch, dass er vielleicht keine Ahnung von diesen großen wissenschaftlichen Diskussionen habe, aber sehr wohl davon, ein Ehemann und Vater zu sein, von Wahnsinn und Zerrissenheit, und dass er das versucht hat, mit unterzubringen. Es ist ihm gelungen. Auf sehr menschliche Art und Weise.

Für alle, die bis hierhin durchgehalten haben: Respekt. Diesen endlosen, dämlichen Monolog muss man erstmal ertragen. Well done, you. Und jetzt zieht los, und lest euch die anderen Artikel der diesmonatigen Aktion durch!

Über losgelassene Hunde von Grimalkin: https://www.moviepilot.de/news/who-let-the-dogs-out-169369 

Über sein Leben in Zoomania von Martin Canine: https://www.moviepilot.de/.../wie-wurde-mein-leben-in... 

Über Wolfskinder von Amarawish: https://www.moviepilot.de/.../wolfskinder-die-wildnis-im... 

Und über tierische Einflüsse von Stefan Ishii: https://www.moviepilot.de/news/tierische-einflusse-168788 


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