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Tierische Einflüsse

01.04.2016 - 07:46 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
"Das Turiner Pferd"
Basis-Film-Verleih
"Das Turiner Pferd"
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Kinder oder Tiere funktionieren immer? Naja, bei mir nicht so häufig. Und trotzdem gibt es eine Reihe an wunderbaren Filmen, die ohne Auftritte tierischer Charaktere einfach nicht so stark wären. Sie haben Einflüsse auf ihre Filme, die einfach nicht zu bestreiten sind. Sie sind Symbol, Auslöser oder Spiegel. Mal offensichtlich, mal subtil. Hier könnt ihr eine Top-5-Liste meiner Lieblinge finden.

In diesem BMIYC-Artikel habe ich einmal eine Liste meiner Lieblingsfilme aufgestellt, in denen Tiere eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielen. Dabei habe ich mich bewußt auf reale Tiere beschränkt, da es mir um einen bestimmten Aspekt in der Verwendung von Tiercharakteren geht. Zeichentrickfilme haben da leider keine Chance. Auch Horrorfilme wie Der weiße Hai oder Die Vögel, in denen Tiere Angst und Schrecken verbreiten, lasse ich außen vor, da sie sich in diesen Filmen zumeist eher unnatürlich verhalten. Und genauso habe ich außerirdische Wesen wie beispielsweise die Sandwürmer aus Dune oder die Xenomorphen aus Alien für meine Liste nicht berücksichtigt. Letzterer Film hätte es aber trotzdem beinahe in diesen Artikel geschafft, da es ja dort neben dem unheimlichen Wesen aus einer fremden Welt auch noch das Kätzchen Jones gibt. Wenn ich jedoch an eine Katze denke, hat mich ein anderer felidäischer Auftritt stärker beeindruckt. Und dieser Film hat es damit verdient, auf meinem fünften Platz zu landen.

Platz 5: Kommt Regen, kommt Sonnenschein (Südkorea, 2011)

"Kommt Regen, kommt Sonnenschein": Lim Soo-jung und das süße Kätzchen

Dieser Film des von mir sehr geschätzten koreanischen Regisseurs Lee Yoon-ki ist in erster Linie ein Beziehungsdrama: Ein Mann, eine Frau, eine gescheiterte Beziehung, eine Trennung. Dieser Film basiert allerdings auf einer Kurzgeschichte von Areno Inoue und dessen Titel "The Cat That Can Never Come Home" deutet die Anwesenheit einer Katze mehr als nur an. Der Mann nimmt die Trennung einfach so hin und ein letzter Tag in der gemeinsamen Wohnung ist geprägt von fehlender Kommunikation und trauriger Akzeptanz. Doch als ein Sturm aufzieht, der ein kleines entlaufenes Kätzchen nach einem Obdach in der Wohnung des getrennten Paares suchen läßt, bringt die plötzliche Anwesenheit des Tieres tief verborgene oder unterdrückte Gefühle an die Oberfläche. Die Rolle der Katze ist scheinbar klein, doch sie dient als Katalysator für etwas emotional Großes und ist damit eminent wichtig für dieses bewegende Drama.

Andere Filme zeigen deutlich mehr tierische Bilder, aber der Einfluss dieser auf die Entwicklung der entsprechenden Hauptfiguren könnte kaum größer sein als beim Kätzchen aus Kommt Regen, kommt Sonnenschein auf das ehemalige Liebespaar. Auch in dem Film, der es hier auf Platz 4 gebracht hat, steht ein Tier nicht wirklich im Zentrum der Handlung, aber wichtig für das Geschehen ist es allemal.

Platz 4: Drei Farben - Rot (Schweiz/Frankreich/Polen, 1994)

"Drei Farben - Rot": Irène Jacob und der angefahrene Hund

Im abschließenden Film von Krzysztof Kieslowskis Drei-Farben-Trilogie fährt die junge Hauptfigur Valentine (Irène Jacob) mit ihrem Auto einen Schäferhund an. Sie wird bei der Suche nach dem Besitzer des verletzten Hundes mit einem zynischen und zurückgezogen lebenden pensionierten Richter (Jean-Louis Trintignant) konfrontiert, der seine Nachbarn ausspioniert. Sie freunden sich trotz aller Unterschiede und Skepsis mit einander an und in der resultierenden merkwürdigen Beziehung sind Grenzen zwischen Schicksal und Zufall verschwindend gering. Das letzte Werk des polnischen Ausnahmeregisseurs ist formal nahezu perfekt und durchdrungen von großer Mitmenschlichkeit und tiefverwurzeltem Mitgefühl. Mit profunder Menschenkenntnis zeichnet Kieslowski ein faszinierendes und breitgefächertes Panorama menschlicher Verhaltens- und Denkweisen und ihrer Verständigungsmöglichkeiten. Er fragt nach Gründen der Entfremdung und interessiert sich nicht nur einfach für gesellschaftliche Aussenseiter, er verurteilt seine Charaktere auch trotz offensichtlichem Fehlverhaltens niemals. Diese Haltung, die Kieslowski hier so unbeschreiblich stark zum Ausdruck bringt, macht Drei Farben - Rot zu einem meiner Lieblingsfilme überhaupt. Und Auslöser der Handlung ist ein Hund, auch wenn er im Verlauf für den Film eigentlich keine große Bedeutung mehr hat.

Der nächste Film auf meiner kleinen Liste stellt seine animalische Hauptfigur allerdings wohl an die zentralste Stelle, die für ein Tier im Rahmen der realistischen Möglichkeiten überhaupt denkbar ist. Der Name des Tieres läßt sich dabei sogar im Titel finden.

Platz 3: Zum Beispiel Balthasar (Frankreich, 1966)

"Zum Beispiel Balthasar": Anne Wiazemsky und der Esel Balthasar

Robert Bressons herzzerreißend trauriger Film Zum Beispiel Balthasar ist die Geschichte des Esels Balthasar, dessen Leben untrennlich mit dem Schicksal des schüchternen Bauernmädchens Marie (gespielt von Anne Wiazemsky) verknüpft ist. Auch wenn sie von einander getrennt sind, so verfolgt der Film weiterhin die Lebenswege beider Wesen und zeigt parallel wie sie unter anderen Menschen zu leiden haben. Der Esel wird zumeist lieblos bis grausam ausgenutzt und trotzdem erträgt er sein Schicksal mit stoischer Ruhe. Der Film zeichnet sich durch einen stilistischen Minimalismus aus und verwendet religiös allegorische Bilder. Vom französischen Filmemacher und -kritiker Jean-Luc Godard stammt folgendes Zitat, das die Wirkung dieses Films wundervoll beschreibt:

Everyone who sees this film will be absolutely astonished, because this film is really the world in an hour and a half.

Bresson verwendet in diesem Film den Esel also als Spiegel für menschliches Fehlverhalten. Es gibt auch Regisseure, die Tieren ganz bewußt vielfältige Funktionen innerhalb ihrer Filme zuweisen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der Film auf Platz 2 dieser Liste. Er verwendet verschiedene Tiere auf teilweise sehr unterschiedliche Weisen.

Platz 2: Frühling, Sommer, Herbst, Winter und... Frühling (Südkorea, 2003)

"Frühling, Sommer, Herbst, Winter und... Frühling"

Die Tiere sind in Kim Ki-duks Frühling, Sommer, Herbst, Winter und... Frühling wahrlich keine tragenden Figuren oder Auslöser emotionaler Lawinen und trotzdem empfinde ich sie als unglaublich wichtig für den Film. Die verschiedenen Episoden des Filmes veranschaulichen anhand der Jahreszeiten und der Entwicklung eines buddhistischen Mönches den Kreislauf des Lebens. In jeder der Episoden sind (mehr oder wenig relevant) verschiedene Tiere zu sehen. In der ersten Frühlingsgeschichte quält beispielsweise der junge Mönch kleine Tiere: Fisch, Frosch und Schlange. Diese Tat und die daraus gelernte Lektion soll ihm bis zum Ende im Gedächtnis bleiben. Sie wiederholt sich jedoch auf ähnliche Weise in der zweiten Frühlingsepisode. Später wird ein Huhn verwendet, um mit einem Boot an Land anlegen zu können. Im Herbst schreibt der Meister mit dem Schwanz einer Katze Auszüge aus buddhistischen Sutren auf das Klosterfloß. Es lassen sich noch viele weitere Tiere wie ein Hund, ein Insekt oder Zierfische in diesem Film entdecken. Sie alle haben gewisse Funktionen. Überhaupt verwendet Regisseur Kim sehr gerne Tiere als Symbole in seinen Filmen, aber in keinem Film so vielseitig wie in Frühling, Sommer, Herbst, Winter und... Frühling.

In meinem persönlichen Lieblingsfilm, was die Verwendung von Tieren betrifft, läßt sich hingegen nur ein einziges sehen: Ein Pferd! (Und ich mag noch nicht einmal Pferde.)

Platz 1: Das Turiner Pferd (Ungarn, 2011)

"Das Turiner Pferd": János Derzsi, Erika Bók und das Pferd

Der Film des ungarischen Filmemacher Béla Tarr zeigt sechs Tage im Leben eines alten Fuhrmanns namens Ohlsdorfer (János Derzsi) und dessen Tochter (Erika Bók). Der entbehrungsreiche Alltag ist geprägt von Wiederholungen, fehlender Kommunikation und monotoner Kargheit. Während sich außerhalb des Bauernhauses ein furchtbarer Sturm zusammenbraut und Merkwürdigkeiten geschehen, wiederholt sich im hermetischen Inneren ein immergleicher Kreislauf aus schlafen, essen und arbeiten. Der alte Mann ist dabei abhängig von seinem Pferd, das jedoch plötzlich nicht mehr fressen möchte und damit die komplette Existenz der kleinen Familie bedroht. Worauf dies hinausläuft, möchte ich hier jedoch nicht vorwegnehmen.

Der Titel und die Handlung des Films beziehen sich auf eine Anekdote: Friedrich Nietzsche  soll kurz vor seinem geistigen Zusammenbruch in Turin ein streikendes Kutschenpferd vor dem Zorn des wütenden Kutschers bewahrt haben, indem er schluchzend seine Arme um den Hals des Tieres legte. Wie handschriftliche Aufzeichnungen Nietzsches belegen, war er zu diesem Zeitpunkt bereits dem Wahnsinn verfallen; vermutlich einer progressiven Paralyse als Folge einer Syphiliserkrankung. Das Pferd war also ganz sicher nicht der Auslöser seines Zusammenbruchs, aber einen grandioser Ansatz für einen Film, der etwas zu erzählen hat, bietet es allemal. Zwei Tage lang lag Nietzsche übrigens nach den Turiner Ereignissen apathisch auf einem Sofa, bevor er nach seinen berühmten letzten Worten ("Mutter, ich bin dumm!") noch weitere zehn Jahre bis zum Tode stumm unter der Obhut seiner Familie verbrachte. "Was mit dem Pferd geschah, wissen wir nicht.“

Das Turiner Pferd ist wohl Tarrs letzter Film überhaupt. Das Werk ist ein typischer Film des Ungarn: Er verzichtet größtenteils auf Dialoge und setzt auf lange, ungeschnittene Kameraeinstellungen in Schwarzweiß. Bei einer Lauflänge von 146 Minuten kommt der Film auf gerade einmal gut zwei Dutzend Einstellungen. Den Film als künstlerisch beeindruckend zu bezeichnen ist noch eine Untertreibung. Er hat seinen ersten Platz hier aus meiner Sicht wirklich verdient, auch wenn das Pferd in diesem stillen und bedrohlichen Film noch die kleinste aber trotzdem eine sehr bedeutende Rolle spielt.

* * *

Natürlich hätten es noch einige weitere Werke verdient, an dieser Stelle erwähnt zu werden, wie beispielsweise Werner Herzogs Grizzly Man. Möglicherweise habe ich sogar noch einige tierische Filme übersehen... Ich habe mich für diese Liste allerdings auf Filme beschränkt, in denen Tiere entweder als Symbol, Auslöser oder Spiegel menschlicher Probleme fungieren. Ein jeder kann sich selbst die Rahmen einer solchen Auflistung definieren. Mich würde tatsächlich sehr interessieren, welche Filme mit tierischen Charakteren bei anderen Moviepiloten auftauchen würden. Lasst es mich doch bitte in den Kommentaren wissen!

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Ein Monat für Tierfreunde! Alles, was mit Tieren zu tun hat, ob real oder animiert, ob Tintenfischszene aus "Oldboy", der Bär aus "The Revenant", "My Little Pony: Freundschaft ist Magie", Disney's "Der König der Löwen" oder ganz neu: "Zoomania". Dieses Thema wird ein tierischer Spaß! Alle weiteren Texte zum Thema "Animalisch" findet ihr hier:

Grimalkin: Who let the dogs out? 

Martin Canine: Wie würde mein Leben in Zoomania aussehen?

Amarawish: Wolfskinder: Die Wildnis im Herzen

pleasent28: Creation – Vom Mensch sein und Mensch bleiben


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