Wird Hollywood künftig mehr sexuelle Vielfalt wagen?

01.07.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Sanfte Verschmelzungsbilder: Im Hollywoodkino sucht man queere Liebesszenen wie die der Netflix-Serie Sense8 vergeblich.
Netflix
Sanfte Verschmelzungsbilder: Im Hollywoodkino sucht man queere Liebesszenen wie die der Netflix-Serie Sense8 vergeblich.
57
32
Überall darf in den USA bald gleichgeschlechtlich geheiratet werden. Es liegt an Hollywood, der Benachteiligung von Lesben, Schwulen und Trans*Personen nun auch im Filmgeschäft einen Riegel vorzuschieben – und mehr queeres Begehren zuzulassen.

"Love wins", twitterte  Präsident Barack Obama Ende vergangener Woche, als der Oberste Gerichtshof der USA die gleichgeschlechtliche Ehe in allen Bundesstaaten für legal erklärte. Umgehend feierten auch Hollywoodstars das mustergültige Urteil, von LGBT-Aktivisten wie Ian McKellen bis hin zum republikanischen Schwergewicht Arnold Schwarzenegger, der sich als kalifornischer Gouverneur einst gegen  die "Ehe für alle" aussprach. Einen schönen Moment lang ließen Aufbruch- und Jubelstimmung in den von Regenbogenfarben übergossenen sozialen Netzwerken vergessen, dass die Diskriminierung schwullesbischer und transidentischer Menschen noch immer zu unserem Alltag gehört – auch beziehungsweise besonders im liberalen Hollywood, das nicht-heterosexuelle Schauspieler_innen beruflich und persönlich stark benachteiligt , vor allem aber weiterhin einen großen Bogen um queere Kinogeschichten macht. Darf man jetzt vielleicht auf einen positiven Effekt der politischen Weichenstellung und eben eine historische Wende auch innerhalb des US-amerikanischen Filmsystems hoffen?

Mehr: Hollywood reagiert auf Legalisierung der Homo-Ehe

Zehn Jahre ist es her, seit mit Brokeback Mountain erstmals ein dezidiert schwuler Liebesfilm zum internationalen Kassenhit wurde. Nicht nur eroberte er ein Mainstream-Publikum, das zuvor wenig Berührung hatte mit queeren Erzählungen, sondern der von Ang Lee so meisterhaft wie einfühlsam inszenierte Film widerlegte auch jenes Vorurteil vom LGBT-Kino als Nischenphänomen, das Produzenten wie Studios engagiert pflegen. Schule aber machte der Erfolg von Brokeback Mountain nicht. Kaum ein halbes Dutzend queerer Mainstream-Filme hat es seither aus Hollywood gegeben, obwohl The Kids Are All Right, Milk oder zuletzt Dallas Buyers Club sowohl künstlerisch als auch kommerziell Anerkennung fanden. Stattdessen sind es diffuse Berührungsängste, die den Erfolg queer-thematischer Produktionen sogar gezielt zu vereiteln scheinen: Der von Hollywoodstudios angeblich als "too gay" verschmähte Liberace feierte seine Erstaufführung in Cannes, um anschließend auf HBO versendet zu werden; die starbesetzte, aber irreführend vermarktete Homo-Komödie I Love You Phillip Morris wiederum erhielt erst zwei Jahre nach ihrer Premiere einen limitierten US-Kinostart.

Mehr: Dallas Buyers Club und das Tabuthema AIDS

In keinem dieser Filme werden LGBT-Figuren auch tatsächlich von LGBT-Schauspieler_innen dargestellt. Dem US-Branchenblatt Variety  gegenüber bekräftigte Ellen Page ihre Entscheidung, sich im vergangenen Jahr öffentlich zur eigenen Homosexualität zu bekennen. Das Coming Out habe sie zu einem glücklicheren Menschen gemacht, auch wenn es nach wie vor ein Narrativ gebe, das diesen Schritt als karrierehinderlich brandmarkt. Dazu zähle vor allem die allzu selbstverständlich kolportierte Idee, dass das Publikum zwar heterosexuelle Schauspieler_innen in homosexuellen Rollen, nicht aber homosexuelle Stars in heterosexuellen Parts akzeptieren könne. Zuletzt verweist Page auf die Schwierigkeiten junger lesbischer Frauen in Hollywood, sich mit einem solchen System zu arrangieren: "Es gibt nicht viele Rollen, die überhaupt in Frage kommen. Und unter denjenigen, die verfügbar sind, muss man entweder eine bestimmte Funktion zugunsten der männlichen Hauptfigur einnehmen oder sich dem männlichen Blick entsprechend sexualisieren lassen".

Mehr: Studie offenbart Homo- und Transphobie in Hollywood

Derartige Hindernisse tragen einen entscheidenden Teil zur mangelhaften Repräsentation von LGBT-Themen und deren für den Abbau von Vorurteilen und Diskriminierung sicherlich nicht unerheblichen Vermittlung durch LGBT-Schauspieler_innen im US-amerikanischen Kino bei. Bis heute hat die hiesige Filmindustrie keinen aktiven A-Star hervorgebracht, der seine mögliche Homo- oder Transsexualität nicht bis zum Ende einer Karriere zu verstecken braucht (womit Hollywood nunmehr auch ganz offiziell den einst letzten großen, nämlich sportlichen Bastionen vermeintlicher Heterosexualität, der NBA und NFL, hinterherhinkt). Prominenten LGBT-Stars wie Jodie Foster, Zachary Quinto oder Neil Patrick Harris mag es vielleicht gelungen sein, das eigene Coming Out mit den Bedingungen einer Arbeit in Mainstream-Kontexten zu vereinbaren. Doch besitzt niemand von ihnen ausreichend kommerzielle Zugkraft, um Filme allein Kraft ihres Namens in potentielle Hits zu verwandeln (der Einwand, dass es überhaupt keine Stars mehr gibt, denen so etwas gelingt, ist berechtigt – aber dann wäre man wieder bei Franchisemarken und Comichelden, die bekanntlich ebenfalls nur heterosexuell sein dürfen).

Das könnte dich auch interessieren

Schaue jetzt Sense8

Kommentare

Aktuelle News