Wie Amazon und Netflix das Kino revolutionieren

13.03.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Beasts of No NationNetflix
18
5
Mit prestigeträchtigen Eigenproduktionen und siebenstelligen Sundance-Einkäufen fordern Amazon und Netflix die großen Hollywood-Studios heraus. Das könnte die Filmindustrie revolutionieren.

Der Kampf der Titanen hat begonnen. Nachdem Amazon und Netflix bereits mit ihren Serienformaten um die digitale Gunst der Zuschauer buhlen, bereiten die Internetriesen mit prestigeträchtigen Filmproduktionen und siebenstelligen Sundance-Einkäufen nun auch den Sturm der Kinosäle vor. Nicht nur zum Leidwesen der großen Hollywood-Studios.

Anfang 2015 kündigte Amazon an, jährlich ein Dutzend Filme zu produzieren, die schon kurz nach Kinostart auch Amazon Prime-Kunden digital zur Verfügung gestellt würden. Zum Vergleich: Disney Pictures, das wohl größte Studio in Hollywood, bringt dieses Jahr elf Filme ins Kino, die durchschnittlich erst nach vier Monaten auf DVD oder Blu-ray zum Kauf angeboten werden. Bis sie ihren Weg auf die VoD-Plattformen finden, vergeht meist fast ein Jahr.

Mehr: Für ein paar Dollar mehr - Können wir Kinofilme bald sofort daheim gucken?

Das Geschäftsmodell von Netflix ist sogar noch radikaler. Im Oktober 2015 erschien Beasts of No Nation, dessen internationale Vertriebsrechte sich der Konzern für 12 Millionen US-Dollar gesichert hatte, simultan als Video-on-Demand und in einigen unabhängigen Kinos. Da hiermit das traditionell den Kinobetreibern zustehende Auswertungsfenster von 90 Tagen entfiel, wurde der Film allerdings von den vier größten amerikanischen Kinoketten AMC, Regal, Cinemark und Carmik boykottiert. Ähnlich erging es dem ersten durch Amazon vertriebenen Film Chi-Raq von Spike Lee, den im Dezember 2015 ebenfalls nur wenige US-Kinos ins Programm aufnahmen.

Idris Elba als skrupelloser Anführer einer Kinderarmee in Beasts of no Nation

Beim diesjährigen Sundance Film Festival erwarben Amazon und Netflix mit Rekordsummen in einem regelrechten Kaufrausch die internationalen Distributionsrechte für zahlreiche Independent-Filme. So sicherte sich Netflix für 7 Millionen US-Dollar die Rechte an The Fundamentals of Caring, während Amazon für Manchester by the Sea sogar 10 Millionen hinblätterte. Den höchsten jemals gezahlten Betrag für einen Sundance-Film machte Fox Searchlight locker, die für das Sklavendrama The Birth of a Nation 17,5 Millionen US-Dollar springen ließen. Zwar hatte Netflix sogar 20 Millionen geboten, aber da der Film bereits jetzt als Oscarfavorit gilt, entschied Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Nate Parker, seinen Film durch ein renommiertes Studio vertreiben zu lassen. Trotz hervorragender Kritiken war der Netflix-Film Beasts of No Nation unter anderem aufgrund seiner limitierten Kinoveröffentlichung beim Oscar 2016 übergangen worden.

Auf den ersten Blick birgt die Einmischung der VoD-Giganten in die Indiefilmszene für die Zuschauer nur Vorteile. Ihr paralleles Geschäftsmodell erlaubt es, auch Filme mit heiklen Thematiken zu finanzieren, da etwaige Verluste an den Kinokassen durch die zusätzlichen Einnahmen aus den Abonnements abgefedert werden können. Traditionelle Filmverleiher besitzen diesen Vorteil nicht. Damit sich ein Film für sie rechnet, muss immer ein Mindestkontingent an Karten verkauft werden. Amazon und Netflix hingegen können es sich leisten, auch Projekte zu vertreiben, die anderen zu riskant erscheinen. Darüber hinaus können sie auch Filmen mit kleinem Budget die notwendige Unterstützung für einen Kinostart angedeihen lassen. So können Independent-Filme sogar mit Blockbustern konkurrieren, deren millionenschwere Promokampagnen allein schon die gesamten Produktionskosten von Filmen wie Beasts of No Nation oder Chi-Raq um ein Vielfaches übersteigen. Bei Eigenproduktionen können Amazon und Netflix den Filmemachern unter Umständen mehr kreative Freiheiten gewähren, was in Fällen wie The Ridiculous 6 mit Adam Sandler allerdings nicht zwangsläufig ein Gewinn für die Zuschauer sein muss.

Schöne neue Kinowelt?

Wer im Biologieunterricht aufgepasst hat, weiß, dass die Einführung einer neuen Spezies zu gravierenden Veränderungen innerhalb eines Ökosystems führt, insbesondere, wenn es sich um einen Allesfresser handelt. Ebenso, wie Amazon durch massive Preissenkungen beinahe die traditionellen Buchhändler zerstört hätte und Napster die Entwertung der Musik einleitete, könnte die Einmischung der Megakonzerne auch der Filmindustrie am Ende mehr schaden als nutzen.

Letztlich spiegeln die millionenschweren Sundance-Einkäufe von Amazon und Netflix weniger die außergewöhnliche Qualität dieser Filme wider, als dass sich dahinter eine äußerst medienwirksame Marketingstrategie verbirgt. So werfen die traditionellen Sundance-Kunden wie New Line Cinema, Lionsgate und Sony Pictures den digitalen Konkurrenten denn auch vor, absichtlich die Preise nach oben zu treiben, um eine Geldblase entstehen zu lassen, die unter dem steigenden Druck irgendwann platzen muss. Ohne die Einmischung von Netflix hätte Fox Searchlight vermutlich nie eine derart exorbitante Summe für The Birth of a Nation gezahlt, selbst wenn der Film an den phänomenalen Erfolg von 12 Years a Slave anknüpfen sollte. Und weil die VoD-Anbieter nicht auf hohe Einspielergebnisse an den Kinokassen angewiesen sind, steigt das Risiko lediglich aufseiten der Studios. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu sein, müssen auch kleinere Filmverleiher in Zukunft immer mehr Geld ausgeben, was im Falle finanzieller Einbußen die Monopolstellung der Internetriesen vorantreibt.

Hinzu kommt, dass Netflix und Amazon sich anders als lokale Medien nicht an der Finanzierung von Filmproduktionen der Länder, in denen sie operieren, beteiligen müssen. Dieser unfaire Marktvorteil wird durch den Vorschlag der Europäischen Kommission noch verschärft, die national gebundenen Urheberrechte für Film und Fernsehen zugunsten eines digitalen europäischen Filmmarktes abzuschaffen. Dies würde verhindern, dass Produzenten die Rechte an ihren Filmen von Land zu Land unterschiedlich vergeben dürfen. Da Filme überall in Europa zur selben Zeit verfügbar werden würden, dürfte dies im Umkehrschluss kleinere Verleiher davon abhalten, gleich die Distributionsrechte für einen ganzen Kontinent zu erwerben. Eine Maßnahme, die in erster Linie zur Stärkung der europäischen Filmindustrie ersonnen wurde, würde damit den globalen Internetriesen in die Hände spielen, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, sich diese Rechte zu sichern. Statt einer heterogenen Kinoleinwand könnte diese Wettbewerbseinschränkung unter Umständen das genaue Gegenteil bewirken.

Dennoch wäre es verfehlt, die Schuld an dieser Entwicklung allein bei Amazon oder Netflix abzuladen. Diese reagieren letztlich nur auf stagnierende Besucherzahlen und die neuen Möglichkeiten des Internets. Die immer weiter steigende Anzahl ihrer Abonnenten scheint ihnen Recht zu geben. Schließlich ist unbestreitbar, dass sich unser Konsumverhalten innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte grundlegend gewandelt hat. Videotheken sind so gut wie vom Erdboden verschwunden, Kinofilme sind immer früher auch über andere Kanäle erhältlich und höhere Bandbreiten erlauben Videostreams, die sich nahezu mit der Qualität des Kinos messen können. Hinzu kommt die Konkurrenz durch andere Medien wie Videospiele oder Serien. Das alles kulminiert in immer höheren Ticketpreisen und einer immer homogener werdenden Kinoleinwand, weil Filme, die nicht von einer großen Soundanlage und dem Kinospektakel profitieren, publikumsträchtigen Blockbustern mit Superhelden und bombastischen Zerstörungsorgien weichen müssen. Falls dies also der Abgesang des Kinos sein sollte, wie wir es kennen, sind wir als Konsumenten daran nicht ganz unbeteiligt.

Das könnte dich auch interessieren

Schaue jetzt Beasts of No Nation

Kommentare

Aktuelle News