Weekend - Meine Liebe zu Godards Untergangsvision

05.07.2016 - 12:55 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Mireille Darc und Jean Yanne in WeekendArthaus
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Filmrevolutionär Jean-Luc Godard inszenierte bereits 1967 einen Film, der weit über heutige apokalyptische Szenarien hinausging. Sein Weekend ist für mich nicht weniger als die Definition eines cineastischen Untergangsszenarios.

In einer zombifizierten Zeit wie der heutigen ist der Begriff der Apokalypse eng mit dem Phänomen der Untoten verbunden. Die AMC-Serie The Walking Dead ist sicherlich der populärste Vertreter dieser Gattung. Gern ausgespielt wird ein Szenario des totalen Untergangs auch in den Sphären von Katastrophenfilmen à la 2012 oder extraterrestrischen Invasionsfantasien (Independence Day). Ihnen gemeinsam ist eine Erzählung, die ihren Fokus vor allem auf die im Zentrum stehenden Charaktere setzt, mit denen wir als Zuschauer bestenfalls sympathisieren.

Jean-Luc Godard allerdings geht einen anderen Weg. Sein 1967 erschienener Experimentalfilm Weekend ist inhaltlich eine von einer grundlegend düsteren Kompromisslosigkeit gezeichnete Tour de Force. Auch filmästhetisch präsentiert sich Godard hier entfesselt, experimentell und auf alle Konventionen tretend. Es ist nicht nur ein in seiner Erzählung verankerter Untergang, sondern ebenso die Dekonstruktion einer bekannten Filmsprache. So ist das Werk auch eine Kampfansage an die Wiederholung von Altbekanntem und steht damit voll im Geiste der Nouvelle Vague, die in den 50ern und 60ern gegen das "Französische Qualitätskino" wetterte, wie es Godards einstiger Weggefährte François Truffaut (Sie küßten und sie schlugen ihn) in seiner Grundsatzschrift "Eine gewisse Tendenz im französischen Film" von 1954 bereits niederschrieb.

Eine allumfassende Horrorvision

Schon zu Beginn von Weekend lässt Jean-Luc Godard keine Zweifel an dem abgründigen Zustand seiner Geschichte aufkommen. Im dunklen Zwielicht sitzt Protagonistin Corinne Durand (Mireille Darc) mit einer Art Liebhaber in einem abgedunkelten Raum zusammen. Die Kamera gleitet ohne Unterbrechung eines Cuts durch die Szenerie, während die beiden offen und unterkühlt über intimste Sexualpraktiken sprechen. Es kommt heraus, dass Corinne ihren Mann Roland (Jean Yanne) nicht liebt und sich ihre Interessen aus einer finanziellen Motivation speisen. Diese Sequenz ist vor allem wegen ihres pessimistischen Menschenbilds ein Schlag in die Magengrube, der durch die ruhige Kamera zusätzlich an Kraft gewinnt. Der Kontrast zwischen Geschehen und Inszenierung, zwischen menschenverachtendem Dialog und ruhiger Kameraführung, verstärkt sich wechselseitig. Hier beschwört der Franzose schon früh eine Welt am Abgrund, in der Menschlichkeit keinen Platz hat und die von Egozentrismus, Gier und einer verschlingenden Konsumgesellschaft geprägt ist.

Eine der wohl bekanntesten Sequenzen der Filmgeschichte erinnerte mich an Lars von Triers (Dogville) bekannten Ausspruch: "Ein Film sollte wie ein Stein im Schuh sein." In einer minutenlangen Plansequenz  beansprucht Godard den Zuschauer nämlich auch physisch. Die Durands sind mit dem Auto auf dem Weg zu Corinnes Vater, um sein Testament in Empfang nehmen zu können. Sie geraten in einen durch einen Unfall verursachten Stau, den der französische Filmemacher als quälende Warterei inszeniert. Das Paar versucht, sich genervt und schimpfend mit ihrem Gefährt irgendwie durch die endlos erscheinende Ansammlung von Autos zu quetschen. Es herrscht reges Treiben auf der Straße und am Rande, das teils durch absurde Impressionen verstärkt wird. Der omnipräsente Lärm der Autohupen reißt nicht ab und beherrscht die Kamerafahrt, deren Fluss nur von kurzen Texttafeleinblendungen unterbrochen wird. Godard lässt den Zuschauer mitfühlen, indem er durch den genialen Einsatz einfacher filmischer Mittel auf ihn selbst einhämmert. So wird die Drängelei durch das geradezu surreal wirkende Geschehen zu einem Kraftakt des Zuschauers selbst, an dessen Ende das Blutbad des Unfalls wartet.

Weekend ist eine abrechnende Collage mit nahezu allem, was gesellschaftlich, politisch, kulturell und philosophisch Ende der 60er von Belang war. Der Film ist nicht nur ein Angriff auf die vom linken Godard verhasste Bourgeoisie, sondern ein allumfassender Rundumschlag: Eine Gruppe rebellischer Hippies stellt sich als praktizierende Kannibalen heraus, fiktive Figuren, die an Lewis Carroll-Charaktere erinnern, werden verbrannt. Es gibt offenbar nichts mehr, das von Beständigkeit und Interesse ist. In dieser Welt findet sich kein Wert mehr. Mitunter entdecke ich in all der Gewalt und Hoffnungslosigkeit aber auch ein melancholisches Bedauern über diesen Zustand der Welt. Etwa, wenn vom Wesen eines Steins die Rede ist, und warum dieser nicht auch als Kunstobjekt angesehen und stattdessen mit Nichtbeachtung gestraft wird. Godard stellt hier gängige Denk- und Empfindungskonventionen auf den Kopf. Weekend ist Sprengstoff für den Verstand und das Empfinden. In jenem Moment, in dem er dann noch mit der Einblendung "Fin du cinéma" (Ende des Kinos) schließt, ist eine Welt ohne Perspektive endgültig geschaffen. Das Kino ist am Ende. Die Welt ist am Ende. Ende. Fin.

Warum du dir dieses Wochenende nehmen solltest

Weekend war und ist für mich immer wieder aufs Neue eine prägende Erfahrung. Zum Einen ist es die Schonungslosigkeit, mit der Jean-Luc Godard seine Geschichte bis zum bitteren Ende erzählt. Seine über gut anderthalb Stunden dargelegte Fassung einer kaputten Welt polarisiert, ist eine Abrechnung mit Phänomenen, die in jener Zeit aktuell waren: Vietnamkrieg, Hippies, Klassenkampf. Zum Anderen ist es sein filmästhetisches Inferno, das er hier in entfesselter Weise von der Leine lässt. Es ist ein Gegenentwurf zu den braven, wohlstrukturierten Filmen nicht nur jener, sondern auch heutiger Zeit. Das erlebbare Jonglieren mit den Eigenheiten des Films als Kunstform ist ein virtuoser Akt des Filmemachens: die ständig variierenden Kamerafahrten und -einstellungen, das Spiel mit Toneffekten und Musik, kommentierende Texttafeln und ständiger Selbstbezug zur Welt und sich als Werk. Der Durchbruch der Vierten Wand, die ständige Konfrontation von Fiktion und Reflexion, ist ein ständiger Begleiter. Dieser Film ist eine zwar zehrende, aber ebenso gebende Erfahrung und bewegt sich somit auch aus filmischer Sicht an den vermeintlichen Grenzen des Machbaren. Denn Grenzen sind letztlich doch nur illusorische Gebilde. Es gibt etliche Drehbuchratgeber, Hinweise zum so genannten "perfekten" Ausleuchten einer Szene etc. Weekend steht über diesen Dingen und ist somit eine weitaus reichere Erfahrung, da er eine Filmwelt ohne Grenzen offenbart. Durch immer wieder absurde Situationen, in die Godard seine beiden Hauptfiguren schickt, erhält sich dieses Roadmovie eine gewisse Leichtigkeit.

Ein zeitloses Wochenende

Auch wenn Godard häufig auf Vorkommnisse der 60er referiert, ist Weekend ein zeitloser Monolith. So lassen sich zeitspezifische politische und gesellschaftliche Referenzen durch Variation auch aufs Heute übertragen, zumal die verarbeiteten Themen fast fünfzig Jahre nach Erscheinen des Films noch immer aktuell sind: Ungleichheit, Wertfragen, Kriege. Vor allem aber ist es die Art, mit der Godard all dies tut. Schon mit seinem Erstling Außer Atem zeigte er, dass er nicht der Mann fürs Konventionelle ist. Auch seine nachfolgenden Werke, wie Die Verachtung oder Die Chinesin, erzählten mehr als eine Geschichte. Sie sind mit der Frage nach dem Wert und der Fähigkeit des Films verbunden. Stets selbstbezogen und vor allem subjektiv. Für mich ist Weekend damit eine Aufforderung, nicht zu vergessen, was und wie Film sein kann. Es ist ein Zeugnis gegen die Wiederholung und für die kompromisslose Vision. So bewahrt sich das Werk ein halbes Jahrhundert nach Kinostart eine aufdrängende Aktualität, die in Zukunft nicht altern wird. Es sei denn, das Menschsein ändert radikal sein Wesen, wovon in naher Zukunft wohl eher nicht auszugehen ist. Das ist gar nicht pessimistisch oder gar nihilistisch zu verstehen. Das Gegenteil ist meines Erachtens der Fall: Es ist die motivierende Aufforderung, die Welt selbst mit etwas Besonderem zu füllen. Welcher Film kann diese Konsequenz schon von sich behaupten?

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