Warum Robert Altman in die Top 250 der besten Regisseure gehört

02.05.2017 - 09:45 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Robert Altman am Set von Last Radio Show
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Robert Altman am Set von Last Radio Show
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Diesen Monat werden euch auf Moviepilot nach und nach die 250 besten Regisseure aller Zeiten präsentiert. Robert Altman wird nicht dabei sein und das ist ein kleiner Skandal.

Achtung, Spoiler: Die Moviepilot-Community-Wertungen haben ergeben, dass Robert Altman nicht zu den 250 besten Regisseuren aller Zeiten gehört. Ein Satz, den man so eigentlich gar nicht schreiben sollen dürfte. Er mag nicht der einzige prominente Name sein, der es nicht auf die Liste geschafft hat, aber niemand der anderen Abwesenden hat das Kino fast 50 (fünfzig!) Jahre lang mit derart aufregenden, in jeglicher Hinsicht eigensinnigen Filmen versorgt wie Robert Altman. Ein genauerer Blick auf die Statistik verrät, wo das Problem liegt: Viele seiner besten Filme sind an der nicht besonders hohen 100-Bewertungen-Hürde gescheitert.

Zwar scheint sich die Community über die Qualitäten von den in die Statistik eingeflossenen M.A.S.H., McCabe & Mrs. Miller, The Long Goodbye, Nashville, The Player, Short Cuts und Gosford Park (allesamt mit Durchschnittswertungen von mindestens 7,0) einig zu sein. Das bringt aber nichts, wenn die anderen Altman-Beiträge mit über 100 Bewertungen unter anderem so mittelmäßige oder gar unterirdische Filme (die, nebenbei bemerkt, größtenteils auf Studiodruck entstandene Auftragsarbeiten waren) wie Popeye, Prêt-à-Porter, Gingerbread Man oder Dr. T and the Women sind, während eine Vielzahl der spannendsten Arbeiten in seiner zugegebenermaßen etwas unübersichtlichen Filmographie schlichtweg kaum gesehen wurden. Insofern ist dieser Text vor allem darum bemüht, einige von Robert Altmans vergessenen Perlen hervorzuheben. Mit der leisen Hoffnung, dass er in einer zukünftigen Bestenliste seine angemessene Platzierung bekommt.

"Es gibt niemanden wie ihn. Er kann imitiert werden und er kann beeinflussen, aber er kann niemals eingeholt werden", schreibt Paul Thomas Anderson, bekennender Fanboy, in seinem Vorwort zu Altman on Altman. Dass es "niemanden wie ihn" gebe darf hier ruhig wörtlich verstanden werden: Robert Altmans Karriere ist von Beginn an von Ärger mit den Produzenten durchzogen, die von der unkonventionellen, völlig freischwebenden Arbeitsweise Altmans bis zur Weißglut getrieben wurden. Er hielt nichts von Plot-versessenen Geschichten, sondern interessierte sich ausschließlich für die Menschen vor der Kamera. In der Umsetzung bedeutete das eine radikale Vernachlässigung des Drehbuchs zu Gunsten oftmals improvisierter Charakterstudien. In Robert Altmans Filmen wird die Anwesenheit jedes noch so nebensächlich erscheinenden Charakters geschätzt und der Vorantreibung einer Handlung übergeordnet, hier dürfen Figuren ins Bild platzen und wieder verschwinden, ohne sich zu erklären, hier dürfen sie Teil eines mit losen Fäden um sich schmeißenden Porträts von Zwischenmenschlichkeit werden, so ungreifbar und vital wie in 24 Bildern pro Sekunde eingefangenes Leben nur sein kann.

Und die Studiobosse, wie gesagt: ratlos. Wenn Robert Altman einen Film dreht, beziehungsweise, wie er es selbst formuliert, "mit den Kumpels eine Sandburg baut", dann stellt er drei Kameras auf, stattet sämtliche Akteure - egal wie viele es sind - mit einem eigenen Mikrofon aus und lässt sie allesamt am Zeiger drehen. Wenn sich dann letzten Endes zwangsläufig ergibt, dass mehrere Schauspieler zur selben Zeit sprechen, dann ist das kein notwendiges Übel. Dann ist das gut, findet Robert Altman. Produzenten finden das aber nicht so gut, die finden das sogar ziemlich scheiße, und erteilen dem Regisseur dafür gerne Mal Hausverbot in den eigenen Studios und stellen seine Sachen zur Abholung vor das Eingangstor (so geschehen während der Dreharbeiten zu Countdown). Damals, zu Beginn seiner Karriere, hat er das noch so hingenommen, später funktionierte das nicht mehr: Als ein Produzent ihn dazu drängen wollte, sechs Minuten aus California Split zu schneiden, haute Altman ihm kurzerhand eine rein. Der Produzent fiel in den Swimming Pool, California Split wurde nicht gekürzt.

Dementsprechend war Robert Altman permanent dazu gezwungen, seine liebsten Filme mit verschwindend geringem Budget zu drehen, unter dem Radar der großen Studios, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen. So entstand beispielsweise Images. Altman schrieb das Drehbuch selber und mochte es genauso wenig wie Hauptdarstellerin Susannah York. Trotzdem flog er extra nach Griechenland, um sie zu der Rolle zu überreden, schließlich sei das Drehbuch "nur der Ausgangspunkt für den Film". Wie der Ausgangspunkt aussah, wissen wir nicht, und genau genommen lässt sich der Endpunkt genauso wenig definieren. Die Geschichte um eine schizophrene Kinderbuchautorin könnte man vielleicht als Horrorfilm charakterisieren, doch dafür geht Altman zu rücksichtslos mit den Konventionen des Genres um. Der Film tritt mit seiner Raucherlunge einen Marathon durch die Psyche seiner Protagonistin an, sucht Antworten, findet Fragen, nimmt es in Kauf, auf halber Strecke womöglich zu kollabieren. Images maßt sich nicht an, die Komplexität der menschlichen Gefühlswelt entschlüsseln zu können, aber er tut alles, um es zu probieren.

So gesehen war kaum jemand der New Hollywood-Ära, die sich die Zelebrierung der Charaktere und nicht ihrer Geschichten auf die Fahne schrieb, so aufrichtig wie Robert Altman. Wenn er sich einer Figur nähert, dann hat er zwar keinen Plan, wohin die Reise gehen soll, dafür aber unerschöpfliches Interesse. Anders hätte er einen Film wie 3 Women wohl nicht drehen können: In Anlehnung an Ingmar Bergmans Persona lässt er zwei verlorene Seelen aufeinander prallen, beide kurz davor, an den Blicken der Menschen zu Grunde zu gehen. Die eine, Millie (Shelley Duvall), lebt als Echo ihrer Umwelt ein manisches Schauspiel zur Maskierung ihrer Einsamkeit. Die andere, Pinky (Sissy Spacek), ist besessen von der Idee, sich vor der Welt zu verstecken, indem sie jemand anderes wird. Beide entfremden sich in einem Identitäten-Wechselspiel von ihrer eigenen Persönlichkeit, während sie einfach nur versuchen, in ihrem Leben zurecht zu kommen. Robert Altman lässt ihnen dabei mit seiner unverbindlichen Führung wie so oft allen Platz der Welt.

Nur ein Jahr später drehte Altman A Wedding, ein Film, der nur auf den ersten Blick nicht weiter von 3 Women entfernt sein könnte. Fast schon eine schwarze Komödie, beobachten wir zwei Stunden lang eine Hochzeitsfeier der Oberschicht, bei der die Veranstalter größte Mühe haben, alle Probleme des Fests unter einen Hut zu bekommen. Altman porträtiert das Familienfest als Feuerwerk der Identitätsvertuschung: Alle Gäste wollen sich von ihrer besten Seite zeigen, alle sind besorgt darüber, was die anderen von ihnen halten könnten. Dass das nicht lange gut gehen kann, liegt auf der Hand. Nach und nach fängt die Fassade trotz aller Bemühungen an zu bröckeln. A Wedding ist ein kein einfacher Film, weil er dem Zuschauer keine Verschnaufpause geben möchte, sondern seine Horde an Charakteren im hysterischen Kampf mit sich selbst auf die Leinwand bringt. Am Ende sind wir selbst genau so sehr aus der Puste wie die Figuren im Film, der nur dann vergnüglich ist, wenn man gewillt ist, mit ihm mitzuhalten.

In seinen besten Momenten ist Robert Altman ein anstrengender Filmemacher. Völlig zu Recht kann die Frage gestellt werden, wieso man das bitte mitmachen sollte. Schlauer wird niemand nach einem seiner Filme, Altman verzichtet ebenso auf moralische Statements wie auf Lösungsvorschläge für menschliches Leid. Er möchte Menschen nicht als Ausführungen großer Ideen verstehen, er möchte sie im Grunde nicht einmal als Figuren in einem Film betrachten. Eigentlich möchte das Kino von Robert Altman nichts anderes, als das Leben mitsamt seinen wahnsinnigen und unerklärlichen Facetten einzufangen, es auf einen Podest zu heben und es für immer zu konservieren.

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